Große Friedensdemo am 25. November 2023 in Berlin
Was wir von der Friedensbewegung des vorigen Jahrhunderts lernen können
(Foto: J.H. Darchinger/FES - Friedensdemo mit 300.000 Menschen in Bonn am 10. Oktober 1981)
„Es vollzieht sich in unserem Land eine Militarisierung der Gesellschaft. (…) Die Menschen sollen den dritten Weltkrieg als eine Möglichkeit annehmen“. (Dorothee Sölle)
Die Friedensbewegung hat aktuell zu einer großen Friedensdemo am 25. November 2023 in Berlin aufgerufen, vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und in Nahost und in anderen Teilen der Welt sowie der gigantischen Aufrüstungsprogramme. Sie kann sich dabei auf Friedensaktivisten berufen, die bereits im vorigen Jahrhundert die heutige Entwicklung vom kalten Krieg zum heißen Krieg vorausgesehen haben und Alternativen aufzeigten oder Widerstand leisteten. Ihre erschütternden Worte klingen wie aus der Gegenwart und rütteln mehr denn je auf. Es sind radikale Stimmen der Vernunft.
Dafür stehen Namen von Pazifisten wie Dorothee Sölle, Heinrich Gollwitzer, Heinrich Albertz und Dietrich Bonhoeffer als evangelische Theologen und Uta Ranke-Heinemann als katholische Theologin. Unvergessen ist auch die Schriftstellerin und Friedensnobelpreisträgerin aus der Friedens- und Frauenbewegung, Bertha von Suttner, aber auch Politiker wie Gustav Heinemann oder die grüne Politikerin Petra Kelly, die Schriftsteller Heinrich Böll, Freimut Duve und andere. Hören wir heute auf ihre zeitlosen Worte, allen voran Dorothee Sölle, dann begreifen wir: Der Krieg beginnt in den Köpfen.
Damals hieß es: "Nie wieder Krieg!" Heute verkündete Verteidigungsminister Pistorius: "Wir müssen wieder kriegstüchtig werden." Er beschwört die reale Gefahr eines weiteren Krieges in Europa und fordert einen "Mentalitätswechsel" im (friedensverwöhnten) Deutschland. Und Außenministerin Baerbock beklagte zuvor die "Kriegsmüdigkeit" in unserem Land.
„Warum ist es heute möglich, Kriege zu führen, obwohl sie unmoralisch, grausam und für die Mehrheit der Bevölkerung zum Nachteil sind und gegen das Völkerrecht verstoßen? (Jonas Tögel in „Der Freitag“). Hier sollte die Friedenbewegung den Finger in die Wunde legen. Kriege sind ein großes Geschäft, denn das sind die Realitäten: Die weltweiten Militärausgaben sind 2022 auf den Rekordwert von 2,24 Bio. US-Dollar angestiegen. Davon entfallen auf die USA 39%, auf China 13% und auf Russland nur 3,9%. (Russland will aber seine Rüstungsausgaben nun um 70% erhöhen). Die 29 NATO-Staaten steuern 1,18 Bio. € bei.
Den stärksten Anstieg gibt es in Europa vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges. Demgegenüber wurden weltweit nur 319 Millionen Dollar (=0,016 %) für die Welthungerhilfe und 204 Mrd. Dollar für die Entwicklungshilfe aufgebracht. Die Verwendung des Volksvermögens für tödliche Waffen ist Diebstahl an den Armen. Ist es nicht so, dass die Rüstung in aller Welt Konflikte erzeugt, Entspannung gefährdet, soziale Missstände verewigt und das friedliche Zusammenleben der Völker verhindert? Kriege und Rüstung tragen massiv zu Klimaschädigungen bei, die 2022 volkswirtschaftlich 270 Mrd. Dollar an Kosten verursacht haben und demnächst zu neuen Verteilungskriegen und Fluchtbewegungen führen.
Höchstes Rüstungsniveau in der Menschheitsgeschichte befördert Kriegslust
Das höchste Rüstungsniveau in der Menschheitsgeschichte hat die Kriege nicht eingedämmt, sondern befördert. In 2002 gab es weltweit insgesamt 363 begrenzte Kriege, bewaffnete und gewaltsame Konflikte oder bedrohliche Dispute. Die 10 Atommächte weltweit mit ihren über 12.000 Atomsprengköpfen bzw. 15.000 Atomwaffen könnten die Hälfte der Menschheit töten und verstärken die drohende Gefahr eines dritten Weltkrieges.
Und die Militarisierung schreitet voran: Die USA, China und Russland haben die mächtigsten Armeen der Welt mit jeweils 1,4 Mio. bis 2 Mio. Soldaten, die NATO mit insgesamt 3,3 Mio. Soldatinnen und Soldaten. Mit einer Truppenstärke von 184.000 Soldaten und 15.000 Reservisten steht Deutschland auf Platz 26 des Rankings der größten Armeen der Welt. Hierzulande arbeiten 135.000 Menschen in der Rüstungsindustrie, die ca. 30 Mrd. € Wertschöpfung erwirtschaftet.
Deutschland spielt militärisch in der oberen Liga mit
Deutschland hatte mit 52,3 Mrd. € den fünfthöchsten bzw. sechsthöchsten Verteidigungshaushalt hinter USA, China, Russland, Saudi-Arabien und Indien, hinzu kommen 100 Mrd. € „Sondervermögen“ für die Ausrüstung und Aufrüstung der Bundeswehr. Der grüne Vizekanzler Robert Habeck forderte aktuell eine weitere Aufstockung. (Der Verteidigungsetat 2023 ist so hoch wie der Etat für Bildung, Gesundheit und Familien zusammen; Sozialleistungen werden gekürzt). In den nächsten 3 Jahren ist zudem eine Steigerung des deutschen Verteidigungshaushaltes um 12,4 Mrd. € vorgesehen.
Die Bundeswehr gehört weltweit zu den TOP 20 bei ihrer Gesamtstärke und Ausrüstung. Die deutschen Rüstungsexporte auch in Kriegs- und Krisengebiete erreichten zuletzt Rekordwerte von 8 bis 10 Mrd. € pro Jahr. Die Exporte in die Ukraine haben sich vervierfacht. Mit 17 Mrd. € Finanzhilfe für die Ukraine für gelieferte Waffen und militärische Zwecke liegt Deutschland an zweiter Stelle nach den USA (mit 42 Mrd. €). Wir sind das Land mit der stärksten Rüstungsindustrie und mit den höchsten Verteidigungsausgaben in Europa.
Profite mit der Zerstörung und dem Wiederaufbau
Der Krieg befeuert die Rüstungsaktien. Allein der Rüstungskonzern Rheinmetall (mit ehemaligen Bundesministern als Lobbyisten) konnte in 2022 seinen Umsatz um 13% auf 6,4 Mrd. € steigern. Beteiligt an allen Dax-Konzernen mitsamt Rüstungsaktien ist bekanntlich der weltweit größte Vermögensverwalter BlackRock, für deren deutsche Vertretung CDU-Chef Friedrich Merz lange Zeit Aufsichtsratsvorsitzender war. Die Spitzenökonomin von BlackRock, Elge Bartsch, ist kürzlich als Beraterin von Minister Robert Habeck ins Bundeswirtschaftsministerium gewechselt. BlackRock soll nunmehr für das profitable Wiederaufbau-Geschäft in der Ukraine private Investitionsgelder beschaffen, nachdem es zuvor über seine Rüstungsaktien an der Zerstörung des Landes mitverdient hatte.
•Allen „Falken“ und „Bellezisten“ in Regierung, Parlament und Medien sei folgendes ins Stammbuch geschrieben - sowie allen vom Aussterben bedrohten Pazifisten zur Unterstützung dargereicht:
Zitate von Dorothee Sölle* und anderen Pazifisten:
Die Gefahr eines dritten Weltkriegs
„Bei uns gibt es immer noch Menschen, die selbst aus zwei Kriegen nicht viel, nicht genug gelernt haben. Es gibt Menschen hierzulande, die müssen unbedingt einen dritten Krieg vorbereiten, die fühlen sich mit mehr Militarismus und mehr Atombomben sicherer.“ (Dorothee Sölle 1981 „Im Hause des Menschenfressers – Texte zum Frieden")
„Es werden nur die Ratten sein, die uns noch überleben nach einem dritten Krieg“.
„Die Bedrohung durch endgültige Selbstzerstörung infolge eines Nuklearkriegs ist die größte Gefahr, der die Welt ausgesetzt ist.“ (UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim 1977).
„Ich befürchte die Ausweitung des Ukraine-Krieges in einen großen Krieg hinein, mit dem Risiko eines Atomkrieges. Die Aussicht auf Frieden wird immer geringer.“ (UN-Generalsekretär Antonio Guterres 2022)
„Wenn wir die Rüstung nicht abschaffen, dann schafft sie uns ab.“ (Heinrich Gollwitzer)
„Es vollzieht sich in unserem Land eine Militarisierung der Gesellschaft. (…) Die Menschen sollen den dritten Weltkrieg als eine Möglichkeit annehmen.“
„Der Militarismus, der in unserem Land wächst, vernichtet die Lebenschancen der Dritten Welt. Er bedroht die Zukunft unserer Kinder, aber er zerstört auch unser gegenwärtiges Leben. Er nimmt uns die Fähigkeit (…), Friedenstifter zu werden.“
„Seit dem Dezember 1979, als die NATO die atomare Bewaffnung Europas einen großen Schritt vorangetrieben hat, ist meine Angst gewachsen. Ich finde den Dezember 1979 als einen tiefen historischen Einschnitt, viel wichtiger als zum Beispiel Afghanistan.“
„Vielleicht wird man später einmal sagen: die Zeit vor dem Dezember 1979, das war die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Und die Zeit nach dem Dezember 1979, die wird man nennen: Die Zeit vor dem Dritten Weltkrieg.“
Die reale Gefahr der Zerstörung der Erde
„Wir brauchen die Erfahrung der älteren Menschen von dem, wozu Aufrüstung schon zweimal in diesem Jahrhundert geführt hat. Wir brauchen die elementaren Ängste vor der Zerstörung unserer Erde, die in der jungen Generation lebendig sind. Wir brauchen jeden Menschen in unserem Land, um gegen den Tod aufzustehen.“
„Niemand hat uns gefragt, ob wir die totale Aufrüstung wollen. Auch die Regierung weiß, dass Deutsche, die aus der Geschichte gelernt haben, nicht noch einmal brüllen werden: Ja!“
„Heute brüllen die Dämonen ja nicht mehr. „Wollt ihr den totalen Krieg?“ Sie sagen „modernisieren“ wenn sie aufrüsten, sie sagen „Waffenhaushalt“, als ginge es um ein paar Töpfe oder Pfannen mehr; sie sagen Verteidigung, wenn sie Eroberung meinen; sie fühlen sich bedroht und schlottern mit den Knien: „die Lichter gehen aus“, winseln sie, da müssen wir doch aufrüsten.“ (…) „Und schließlich können wir dafür jeden Russen elfmal töten, ist das nicht großartig? (…) Nachrüsten wird als neues Wort für Aufrüsten erfunden“.
Aufrüsten statt Abrüsten: Frieden sichern mit immer mehr Waffen?
„Jede Mark und jeder Kopf, den wir für die Erhaltung des steinzeitlichen Umgangs der Völker miteinander verwenden, fehlt uns für die Lösung der zentralen menschheitlichen Fragen.“
„Nach dem zweiten Weltkrieg wandte die Regierung kosmetische Sprachveränderungen an: das Militär benannte seine Institutionen um: aus Kriegsministerium, Kriegshaushalt Kriegsforschung wurden Verteidigungsministerium, Verteidigungshaushalt, Sicherheitsforschung.“
„Wir haben uns daran gewöhnt zu sagen: Rüstung hilft den Frieden erhalten – aber bedroht sie nicht das Leben aller Menschen? Rüstung schafft Arbeitsplätze – aber entzieht sie nicht Millionen von Hungernden das Brot? Rüstung hilft Gewalt eindämmen – aber ruft sie nicht Krieg und Terror auf den Plan? Wir haben bisher die Hoffnung auf die Abrüstung gesetzt – aber werden nicht immer perfektere Waffensysteme entwickel?
„Ist es nicht so, dass die Rüstung in aller Welt Konflikte erzeugt, Entspannung gefährdet, soziale Mißstände verewigt und das friedliche Zusammenleben der Völker verhindert? Bewirkt die „Bereitstellung der Mittel“ durch den heutigen Waffenhandel nicht die Militarisierung der ganzen Welt mit ihren drohenden Gefahren von kriegerischen Ausbrüchen?“ (Arbeitskreis pro Ökumene 1980)
„Nein, wir glauben an Aufrüstung. (…) Wir können eben nicht abrüsten wegen der Russen! Weil wir nicht abrüsten können, können wir die Hungrigen nicht speisen. Stattdessen müssen wir die Preise für Lebensmittel hoch genug halten und die Lebensmittel vernichten.“
„Die Klage gegen den Wahnsinn des Rüstungswettlaufs ist angesichts des Hungers in der Welt mit Recht heute in aller Munde.“
„Was den Rüstungshaushalt angeht, so fließt zurzeit von rund 59 Mrd. Mark jede dritte in die Verteidigungskasse. Deren Erhöhung ist beschlossen. Eine Gesellschaft, die sich so etwas leistet, darf man mit Recht als „militarisiert“ bezeichnen“. Ein Land mit der stärksten europäischen Militär- und Polizeimacht ist, in den Augen seiner Nachbarn zumindest, ein militarisiertes Land. Ein von Dämonen besetztes Land.“
„Nicht die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts militärischere Macht ist das Gebot der Stunde, sondern der Bruch mit dem militärischen Sicherheitsdenkens. Frieden heißt nicht Sicherung, sondern Entwicklung.“ (Arbeitskreis pro Ökumene 1980)
Gesellschaft demokratisieren statt militarisieren
„Was in unserem Land vor sich geht, ist eine umfassende Militarisierung. Da werden Rekruten mit größter Öffentlichkeit, viel Pomp und Lautstärke vereidigt. Da entdecken die armen Männer in der Bundeswehr plötzlich, dass sie keine Orden haben. Ein ganz neues Bedürfnis, sich zu schmücken. Da wird der Verteidigungsetat angehoben, während alles andere, Schulen, Gesundheit, Arbeitsplatzbeschaffung, gekürzt wird. Und da wird die Parole „Frauen in die Bundeswehr“ ausgegeben und uns sogar als ein Fortschritt in Sachen Frauenbefreiung angepriesen!“
„In unserem Land ist Militär nicht mehr eine hinterfragte Lebensnotwendigkeit, er braucht keine moralische Rechtfertigung mehr. Er durchdringt zunehmend alle gesellschaftlichen Institutionen: die Produktion, die Wirtschaft, die politische Theorie, das soziale Leben, Erziehung und Psychologie. In all diese Bereiche rückt der Militarismus vor“.
„Ein weiteres Faktum: Rekrutenvereidigungen finden öffentlich und unter großer Beteiligung der Medien pomphaft statt. Es ist etwas Wichtiges, worauf man noch stolz sein muss, man meint, es muss damit ins rechte Licht gerückt werden.“
„Was neu ist und was durch die Militärpflicht für Frauen erheblich gefördert würde, ist die Militarisierung des Bewusstseins“.
„Es tröstet uns jeder junge Mann, der heute angesichts der atomaren Aufrüstung „nein danke“ zu einer Bundeswehr sagt , die uns nicht mehr verteidigt, sondern durch ihre Erstschlagwaffe zum neuen Vernichtungsziel des Atomkriegs macht. (…) Atomwaffen sind Atomziele!“
Krieg gegen die Armen: Militärische Aufrüstung und soziale Abrüstung
„Wir leben in dem Kalten Krieg, der zwischen den Reichen und den Armen stattfindet und bei dem die Armen auf der Strecke bleiben. Die Bomben fallen jetzt! (…) Jetzt verhungern die von uns Ausgeplünderten und Im-Stich-Gelassenen.“
„Der alte Slogan „Kanonen statt Butter“ heißt heute wohl: Verteidigungsbereitschaft statt Lebensqualität. In den nächsten Jahrzehnten werden die ökonomischen Probleme und die Gewinnung alternativer Energien alle unsere Anstrengungen finanzieller und intelligenzmäßiger Art brauchen.“
„Unser extrem hoher Lebensstandard soll mit militärischen Mitteln verteidigt werden. Was bei der Vorbereitung des Nazi-Weltkriegs „Volk ohne Raum“ hieß, heißt heute „Volk ohne Öl“(oder Gas). Wir brauchen die Aufrüstung, um die wichtigste Energiezufuhr zu sichern, wenn´s sein muss mit Gewalt.“
„Dieses Abhängig machen, Ausrauben und Verelenden anderer Teile der Welt ist eine Folge unserer Wirtschaftsexpansion, für die wir die militärische Aufrüstung als Sicherheit brauchen.“
„Der Dämon, mit dem wir zu kämpfen haben, ist nicht nur blutrünstiger Militarismus noch bloßes Sicherheitsbedürfnis und Missachtung des menschlichen Lebens. Militarismus ist eine Notwendigkeit für das ökonomische System, unter dem wir leben.“
„Die Armen müssen noch ärmer werden. Die Industrieländer haben dreißigmal mehr Geld für Aufrüstung als für Entwicklungshilfe. Täglich werden mehr als zwei Milliarden für die Zerstörung der Menschheit aufgebracht. Unsere Bomben und Raketen fallen nicht irgendwann einmal, sondern heute. Auf die Verhungernden.“
„Solange die Reichen das Gewaltrecht zum Schutz ihrer Güter unverhüllt in Anspruch nehmen – weil sie dazu in der Lage sind – mit unvorstellbaren Summen ihre Gewaltmittel finanzieren, kann man den Armen das Recht nicht absprechen, das Gewaltrecht für die Erlangung der elementaren Menschenrechte und Lebensgrundlagen ihrerseits zu fordern.“
Rüsten wir uns zu Tode?
„In der Hoffnung, die Sowjetunion (heute russische Föderation) zu Tode rüsten zu können, rüsten wir tatsächlich die Dritte Welt zu Tode, weil wir ihnen nicht die Hilfe geben, die sie brauchen, ja mehr, weil wir sie nach wie vor an eine Weltwirtschaft anbinden, deren erklärtes Ziel es ist, die Reichen reicher und die Armen ärmer zu machen.“
„Wir haben uns vor dem Elend der Armen versteckt. In einem waffenstarrenden Luxuspalast wohnen wir. Wir rüsten auf und lassen verhungern“.
„Um militärisch aufzurüsten, müssen wir sozial abrüsten. Die Gesellschaft wird durchmilitarisiert. Die Bundeswehr wird öffentlich aufgewertet, gefeiert und mit Orden „geehrt“. Friedenskräfte werden diskriminiert. Überprüft wird das Gewissen nicht derer, die das Töten lernen, sondern derer, die Alte und Kranke pflegen."
„Ärzte und Pflegerinnen, Sozialarbeiter und Lehrerinnen müssen eingespart werden, um militärisch aufzurüsten. Aber noch ganz anders trifft es die Verarmten in der ganzen Welt. Westdeutschland (heute das vereinigte Deutschland) ist unter den führenden Nationen im Waffenhandel. So exportieren wir den Tod zu den Ärmsten.“
Neuer Rüstungswettlauf: Von der Sicherheitsneurose zur Selbstzerstörung
„Der Wunsch nach absoluter Sicherheit schlägt in die größte Unsicherheit und Selbstzerstörung um, jeder Eheberater weiß das. Wenn der Wunsch nach Sicherheit neurotisch wird (…), dann schützt er nicht, sondern zieht die Vernichtung an.“
„Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen – wenn das schon nicht an Kasernentoren steht, warum nicht an Kirchenmauern?“.
„Der Militarismus, der in unserem Land wächst, vernichtet die Lebenschancen der Dritten Welt. Er bedroht die Zukunft unserer Kinder, aber er zerstört auch unser gegenwärtiges Leben. Er nimmt uns die Fähigkeit (…) Friedensstifter zu werden.“
„Wir sind von einem Dämon beherrscht; er sitzt weder in Washington noch in Moskau, sondern durchaus eigengesetzlich in der Rüstung selber.“
„Wie wird die Rüstungsspirale im Jahre 2000 aussehen? Niemand von denen, die heute für präventive Aufrüstung reden, kann im Ernst glauben, die Spirale später, durch Verhandlungen, zurückdrehen zu können.
„Ich weiß nicht, ob es in der Militärgeschichte jemals den Fall gegeben hat, dass man einem Planungsstab, einer militärischen Einheit oder gar einer wirtschaftlichen Lobby, die das Bombengeschäft bereits in der Tasche hat, dass man ihnen das neue Spielzeug wieder wegnehmen kann, nichts scheint mir psychologisch und ökonomisch unwahrscheinlicher.“
„Ich habe Angst vor der zunehmenden Selbstverständlichkeit, mit der wir hinnehmen, das Panzer unsere Straßen beschädigen, Übungsplätze unsere Erholungsgebiete verdrängen, Kasernen unsere jungen Leute „erziehen“, Rüstungslasten unser Bildungs- und Sozialwesen aushöhlen.“
Krieg gegen die Natur: Die zentralen ökologischen Probleme werden hintenan gestellt?
„Krieg ist keine Naturkatastrophe – Krieg wird vorbereitet.“
„Wir leben schon jetzt in einem Krieg gegen das wirkliche Leben. Wir leben im Krieg mit der Natur, die wir ausplündern. Wir leben im Krieg mit unseren eigenen Bedürfnissen nach einem einfacheren Leben, die wir verdrängen und verschieben müssen.“
„In den nächsten Jahrzehnten werden die ökologischen Probleme und die Gewinnung alternativer Energien alle unsere Anstrengungen, finanziell und intelligenzmäßig, brauchen. Jede Mark und jeder Kopf, den wir für die Erhaltung des steinzeitlichen Umgangs mit anderen Völkern verwenden, fehlt uns für die Lösung der zentralen menschheitlichen Fragen. Die Bomben, die wir für später, für den Ernstfall produzieren, fallen jetzt: auf die Hungernden, auf die Zerstörten, auf die, die eine sanfte Energie suchen und dafür zusammengeschlagen werden.“
„Lassen Sie uns nicht vergessen: Wir leben alle auf EINEM Planeten! Wir sind EINE Menschheit!“ (Michail Gorbatschow 2022)
Die neue Konzeption der NATO: „Angriff ist die beste Verteidigung“?
„Die alte Konzeption der NATO als eines Schutz- und Trutzbündnisses ist aufgegeben worden (…).Die neuen Waffen sind offensiv, nicht defensiv. Das neue Schlachtfeld ist Europa, auf jeden Fall die beiden Deutschland.“
„Die NATO-Führer in Brüssel brauchen sich nicht demokratisch zu legitimieren, obwohl sie mehr Kontrolle über das Leben jedes Schulkindes in meinem Lande haben als irgend jemand, den ich wählen könnte.“
„Die Verlogenheit der militärischen Sprache ist oft beobachtet worden (…):Die NATO solle ihren Auftrag neu definieren; die Verteidigung eines angegriffenen NATO-Staates sei nicht mehr ausreichend, wirkliche Verteidigung verlange auch vorsorgliche Erstschläge. Wirkliche Verteidigung ist offensiv. Verteidigung ist Angriff. (…) Gegenschlag ist eine Vorvernichtung der feindlichen Nuklearwaffen, ehe der Krieg überhaupt begonnen hat.“
„Seit 1974 simuliert die NATO ihre Manöver anders. Fremde Heere aus dem Osten überfallen uns, wie schon so oft. Hungernde Arbeitslose von innen machen mit ihnen gemeinsame Sache. Das ist neu bei den vorbereitenden Kriegsspielen.“
„Jetzt wird mit den alten Idealen, als sei die NATO zur Verteidigung von angegriffenen Ländern da, als sei der Pazifismus etwas Besseres als der Militarismus, gründlich aufgeräumt. Immer mehr Falken melden sich zu Wort, der Rüstungswettlauf wird auf eine neue Ebene gebracht, der Militärhaushalt erhöht.“
„Bisher hat sich nur die BRD als europäischer Bündnispartner der NATO bereit erklärt, atomare Mittelstreckenraketen zu stationieren. „Linientreu“ erhöht sie darüber hinaus ihren Rüstungshaushalt. (…) Die Gefahr, dass in der BRD der nächste Krieg ausgetragen wird, ist besonders groß, weil die BRD militärisch der Hauptverbündete und wirtschaftlich einer der Hauptkonkurrenten der USA ist.“ (Aus dem Aufruf zur „Aktionswoche der Frauen“ vom März 1981).
Krieg als militärischer „Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit“?
„Frei werden wir erst, wenn wir uns mit dem Leben verbünden gegen die Todesproduktion und die permanente Tötungsvorbereitung. Frei werden wir weder durch den Rückzug ins Private, ins „Ohne mich“, noch durch Anpassung an die Gesellschaft, in der Generäle und Millionäre besonders hoch geachtet werden. Frei werden wir, wenn wir aktiv, bewusst und militant für den Frieden arbeiten lernen“. (Dorothee Sölle)
„Die größte Missetat gegen den, der Gerechtigkeit und Frieden will in unserer Welt, ist der Militarismus, den wir dulden und in den wir uns nicht einmischen.“
„Der bestehende Weltzustand, die internationale Arbeitsteilung zwischen uns, den Reichen, den Exporteuren der großen Technologien, und den Zonen der niedrigsten Gehälter und billigsten Arbeitskräften, muss militärisch abgesichert werden. (…) Mehr denn je gehören heute Eigentum und Militarisierung, Märkte und Waffen zusammen.“
„Die ökonomisch ungetrübten Beziehungen, die die Bundesrepublik zu den meisten Terrorstaaten unterhält, wirken sich nicht nur in unserer Medienpolitik aus, sondern wie ich meine, in der Psyche der Einzelnen hierzulande.“
„Das psychische Elend, vom dem wir umgeben sind, hängt mit unserer wirtschaftlichen, politischen und geistigen Situation zusammen: wir exportieren Waffen und atomare Technologien, aber ist es nur Profit, den wir daraus machen? Schlägt der Tod, den wir exportieren, nicht zurück?“
„Das Heiligste in unserem Land ist das Privateigentum an Produktionsmitteln; dient es dem Tod, so ist es noch heiliger, noch schützenswerter, noch mehr tabuisiert. Jede Verletzung dieses Tabus wird als „Gewalt“ verschrien werden.“
„ Wir wollen dem Militarismus nicht dienen, nicht mit Worten, nicht mit Geld und nicht mit Lebenszeit! (…) Der Terror hat nicht das letzte Wort.“
Wissenschaft und Forschung im Dienste des Militarismus
„Man schätzt, dass über 400.000 Wissenschaftler und Techniker in der Rüstungsindustrie beschäftigt sind; ganz zu schweigen von denen, deren Forschung nur vermittelt zur Erhöhung der Tötungskapazitäten benutzt wird.“
„Man muss sich klarmachen, was diese Zerstörung der menschlichen Vernunft bedeutet; was diese Erniedrigung der menschlichen zur bloß noch instrumentellen Vernunft im Menschen anrichtet. Wenn Wissenschaft und Erforschung von Wahrheit zu einem Anhängsel der Militärmaschine werden, so wird auch die Freiheit der Forschung limitiert auf die Interessen der Sicherheitsideologie.“
Frauen als Soldaten beim Militär – Sieg oder Niederlage des Feminismus?
„Vor einiger Zeit wurde von Seiten der Verteidigungslobby eine Diskussion angeleiert, wann denn Frauen endlich in die Bundeswehr dürfen. Die Frage hieß von vornherein nicht ob, sondern wann. Und das ist nur konsequent: zur militärisch-technologischen Eskalation gehört die psychologische Vorbereitung. Da müssen Gehirne gewaschen werden.“
„Da tauchen Erwartungen auf wie: Ausbildungschancen für die technisch interessierten Mädchen, die in unserer Wirtschaft keinen Platz finden. Da wird mit Hilfe von Diskussionen, die selbstverständlich ganz neutral das Für und Wider abwägen, Wehrbereitschaft hergestellt.“
„Wäre es anders, wenn Frauen auf den Abrüstungskonferenzen säßen? Ist die Institution der Bundeswehr das geeignete Instrument, um die Interessen der Frauen und der Abrüstung voranzutreiben? Die Wahrheit ist doch wohl, ökonomisch wie psychologisch, dass die Frauen „williger und billiger“ sind und darum gebraucht werden.“
„Frauendienstpflicht würde unsere Gesellschaft von Grund auf militarisieren. (…) Frauendienstpflicht stünde der Aufgabe entgegen, auf den Frieden zu orientieren und zur Abrüstung beizutragen. Wir Frauen wissen schon lange, dass ein würdigeres Leben für Mann und Frau sich nur entfalten kann, wenn der Rüstungshaushalt entschieden gekürzt wird.“
„Die Lage ist zu ernst, als dass wir sie den Männern überlassen können. (…) Befreit die Welt von den Atomwaffen, beginnt damit in der Bundesrepublik!“
„Das Interesse der Frau an der Erhaltung des Lebens soll wieder einmal in patriarchalische Tötungsstrategien eingebunden werden. (…) Es tröstet mich jedes junge Mädchen, das nicht von Händen gestreichelt werden will, die außerdem das Töten lernen.“
Können wir den Frieden wagen?
„Das Wort Frieden taucht in den Reden führender Politiker immer seltener auf.“
„Wie sähe eine sanfte Republik, ein den Frieden suchendes Land aus? Wie könnte ein besetztes Gebiet, als das immer mehr Menschen dieses Land erfahren, ein Land für Menschen werden?“
„Wir können den Frieden wagen, indem wir auf Gewalt verzichten, auch einseitig; indem wir begrenzt abrüsten, indem wir die Gesellschaft demokratisieren statt sie zu militarisieren.“ (Dorothee Sölle 1980 auf ihrer Rede in Hamburg).
„Wie wird Friede? Durch eine allseitige „friedliche“ Aufrüstung zum Zweck der Sicherstellung des Friedens? Nein! Es gibt keinen Frieden auf dem Weg zur Sicherheit. Denn Friede muss gewagt werden, ist das eine große Wagnis und lässt sich nie und nimmer sichern. Sicherheit fordern heißt Misstrauen haben, und dieses Misstrauen wiederum gebiert Krieg.“ (Dietrich Bonhoeffer1934)
„Wer davon ausgeht, dass Friede Entwicklung heißt und dass der Bruch mit dem militärischen Sicherheitsdenken Bedingung für das Überleben der Menschen ist, der hat keinen Grund, sich vor der Aktion „Ohne Rüstung leben“ zu fürchten.“ (Arbeitskreis Pro Ökumene 1980)
„Nicht unsere Friedensfähigkeit wird als unterentwickelt angesprochen, sondern unsere Verteidigungsfähigkeit, unsere Wehrkraft. (…) Die kritische Einstellung der jungen Generation gegenüber der Bundeswehr wird als Begründung für das Behandeln Sicherheits- und friedenspolitischer Fragen im Schulunterricht als neues Schulfach genannt.“
„Frieden ist ein naturrechtlich verbürgter Normalzustand, dem der Krieg als eine Folge menschlichen Irrwahns gegenübersteht“.
„Jeder Krieg fügt ein weiteres Glied an die Kette des Übels, die den Fortschritt der Menschlichkeit verhindert.“ (Albert Einstein in "Für einen militanten Pazifismus")
"Frieden kommt nicht von oben, sondern durch gewöhnliche Männer und Frauen"
„Mit Eingaben, Briefen an Angeordneten, Flugblättern und Demonstrationen allein ist gegen die Arroganz der Macht, die sich im Militarismus ausdrückt, nicht anzugehen.(…) Wir haben noch viel zu lernen und ziviler Ungehorsam drückt einen Glauben an die Lernfähigkeit von Menschen aus. (…) Für den Frieden eintreten, gewaltfrei und illegal, sich einmischen, Partei ergreifen für das Leben. (…) Misch dich ein. Verweigere die Kooperation mit dem Tod! Wähle das Leben! Lass nicht zu, dass man dir deine Seele austauscht!“
„Wir müssen der Illusion oder Zwecklüge (…) der Regierung entgegentreten, man könne durch und nach Aufrüstung besser verhandeln, als ob sich die 572 Euro-Raketen so leicht wieder abschaffen ließen, wenn wir sie erst einmal haben.“
„Frieden kommt nicht von oben, durch reisende Diplomaten oder mächtige Kaiser. Frieden wird durch gewöhnliche Männer und Frauen gemacht. (…) Und wie könnte Frieden werden, wenn wir nicht umdenken lernen? (…) Es ist notwendig, Widerstand zu organisieren. (…) Menschen zu aktiven Werkzeugen des Friedens zu machen, ist der erste Schritt.“
„Der Geist macht uns aber Mut, die Wahrheit zu erkennen, die Informationen uns anzueignen und die Wahrheit zu verbreiten. Wenn die Medien uns nicht helfen – wir sind selber das Medium!“
„Wir werden neue Methoden des Kampfes finden, die sich an den Vorbildern der Gewaltlosigkeit orientieren, wie Gandhi, wie Martin Luther King, wie die bolivianischen Frauen, die durch einen Hungerstreik 52 politische Gefangene befreiten.“
„Wir brauchen ein grundlegendes weltpolitisches Umdenken, bei dem Gewaltfreiheit in den internationalen Beziehungen an erster Stelle steht. (…) Doch die führenden Politiker kommen vor lauter Tagesgeschäft einfach nicht dazu, sich damit zu beschäftigen.(…) Ich bin zuversichtlich, dass die Zivilgesellschaft eine immer größere Rolle spielt.“ (Michail Gorbatschow 2022)
*) Soweit nicht anders gekennzeichnet, sind die zuvor aufgeführten Zitate überwiegend von Dorothee Sölle aus ihrem Band „Im Hause des Menschenfressers –Texte für den Frieden“ (Rowohlt aktuell 1981)
Dorothee Sölle (* 30. September 1929 in Köln; † 27. April 2003 in Göppingen), war eine feministische deutsche evangelische Theologin und Dichterin. Eine Anerkennung im Wissenschaftsbetrieb blieb ihr weitgehend versagt. Als theologische Schriftstellerin und Rednerin war sie weltweit bekannt.
AKTUELLE NACHBETRACHTUNG:
Heutige Politiker-Generation hält Krieg für legitimes Mittel der Politik?
Hier soll zum Schluss der vorherigen Zitatensammlung ein Blick auf einen besonders schlimmen Fall der "politischen Gehirnwäsche" gerichtet werden: Da erklärte im Juni letzten Jahres der Bundesvorsitzende der ehemaligen Friedenspartei SPD, der Soldatensohn Lars Klingbeil vom konservativen SPD-Flügel - zuvor Mitglied in einigen Lobbyorganisationen der Rüstungsindustrie wie dem „Förderkreis Deutsches Heer“ - folgendes:
„Friedenspolitik bedeutet für mich, auch militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik zu sehen“. (Frei nach Clausewitz: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“?). In 2022 rief er die Rüstungsindustrie zu „mehr Tempo bei der Munitionsbeschaffung“ auf.
Leider konnte ihm der verstorbene Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow nicht mehr die Leviten lesen. Er sagte 1990:
„Politiker, die meinen, Probleme und Streitigkeiten könnten durch Anwendung militärischer Gewalt gelöst werden – und sei es auch nur als letztes Mittel – sollten von der Gesellschaft abgelehnt werden, sie sollten die politische Bühne räumen.“
Wir haben auch die Worte von Friedensnobelpreisträger Willy Brandt aus 1971 noch im Ohr: „Krieg ist nicht mehr die „ultima ratio“, sondern die ultima irratio.“ Die Irrationalität in der gegenwärtigen Debatte um den Ukraine-Krieg, sofern noch eine abweichende oder gar gegensätzliche Meinung geduldet wird, ist befremdend.
Von Willy Brandt stammt auch der Satz: „Rüstungsexporte sind Exporte des Todes“. Das sieht sein heutiger Nachfolger im Amt des SPD-Chefs der einstigen Friedenspartei und zeitweiliges Mitglied im Verteidigungsausschuss völlig anders.
„Den Krieg kann nur loben, wer ihn nicht erfahren hat“
Der verstorbene Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) sagte 2004: "Sich vorzustellen, dass Deutschland in der Weltpolitik eine Rolle zu spielen habe, finde ich ziemlich abwegig." Trotzdem fühlen sich die meisten derzeitigen Politiker aktuell dazu berufen, für eine führende Rolle Deutschlands in Europa und der Welt einzutreten.
Helmut Schmidt war besorgt, dass die heutige Politiker-Generation, die selber nie einen Krieg erlebt hat, die Gefahren und Risiken unterschätze. Bei einer Preisverleihung 2007 zitierte Altbundeskanzler Schmidt ein pazifistisches Zitat des niederländischen Philosophen Erasmus von Rotterdam: „Den Krieg kann nur loben, wer ihn nicht erfahren hat.“
Deshalb veröffentlichten Helmut Schmidt zusammen mit Richard von Weizsäcker, Egon Bahr und Hans-Dietrich Genscher 2009 in der New York Times und in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen gemeinsamen Appell für eine atomwaffenfreie Welt. Er ist aber seither auch in Deutschland ungehört verhallt, wo die jetzige Politikergeneration eine „atomare Teilhabe“ im Rahmen der NATO-Strategie anstrebt.
Anders klingt es aus den Gewerkschaften: Die GEW hat bereits 2014 zum Antikriegstag (75. Jahrestag des Überfalls Deutschland auf Polen) ihre Forderung nach Selbstverpflichtung zu einer Erziehung zum Frieden und zur friedlichen Bewältigung von Konflikten erhoben.
Und die 1978 gegründete Ökumenische Aktion „Ohne Rüstung Leben“ folgte einem Apell der Weltkirchenkonferenz 1975 in Nairobi: „Die Kirche sollte ihre Bereitschaft betonen, ohne den Schutz von Waffen zu leben und bedeutsame Initiativen ergreifen, um auf eine wirksame Abrüstung zu drängen.“ Ihr Ziel ist es, Krieg zu verhüten, Gewalt zu reduzieren und Frieden zu entwickeln. Mit Dialog und Protest, Aktion und Lobbyarbeit engagiert sich Ohne Rüstung Leben gegen Rüstungsexporte und Kleinwaffen, für eine atomwaffenfreie Welt.
Die Jugend wendet sich von den militaristisch orientierten Parteien ab
Eine atomwaffenfreie Welt und eine friedliche Zukunft in einer lebenswerten Welt ist auch die Sehnsucht der Jugend, deren Zukunft gefährdet ist. Wen wundert es, wenn somit die jungen Menschen grundsätzlich mit dem System hadern.
Laut Studien und in einer Befragung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung sagte über die Hälfte der Befragten, dass es keine Partei gibt, dessen Angebot sie überzeugt. Sie sorgen sich um ihre Zukunft und soziale Absicherung und wünschen sich Klimaschutz, Gerechtigkeit und Frieden.
Sie erwarten von den Parteien Problemlösungen und politische Teilhabe.
Doch nur 3% wären zu einem Engagement in Parteien bereit und nur 3% vertrauen überhaupt noch den Parteien. Sie vermissen den Blick der Parteien auf die Wünsche und heutigen Wertvorstellungen der Jugend.
Für Rüstungsausgaben sprechen sich dabei nur elf Prozent aus ¬– die Mehrheit würde lieber in Bildung investieren. In der weltweit größten Umfrage zu Bedürfnissen von Jugendlichen von 2023 standen Bildung und Jobs im Vordergrund.
In der Jugendstudie „Junges Europa 2022“ der TUI-Stiftung zu Klima, Krieg und Corona wurden die Jugendlichen auch gefragt, wie sie über die Weltkrisen denken. Die Klimakrise wird als noch größere Bedrohung als der Ukraine-Krieg empfunden, den sie aber als eine Zeitenwende ansehen. Außenpolitik und Verteidigung rangieren bei ihnen erst an vierter Stelle.
Bedrohliche Kriege als Einschnitt im Leben der besorgten Jugendlichen
Viele empfinden aber den Krieg als einen grundlegenden Einschnitt, der die Ordnung der Welt verändert. Kriege werden von Jugendlichen als persönliche und reale Bedrohung empfunden.
Im „Jugendbarometer 2022“ wurden die Jugendlichen ebenfalls auch zu Krieg, Frieden und Geopolitik befragt und äußerten große Besorgnis, dass sich der Krieg in der Ukraine auf weitere Staaten ausbreiten könnte. Der Überfall Russlands auf die Ukraine wird laut „Jugendstudie 2022“ als persönliche Bedrohung angesehen. Zwar befürworten 61 Prozent der jungen Menschen in Europa Waffenlieferungen an die Ukraine, davon allerdings weniger als ein Drittel der Befragten (27 Prozent) „voll und ganz“. 34 Prozent unterstützen sie „eher“. 38 Prozent der Befragten gaben an, dass der Begriff „militärisches Bündnis“ die EU am besten beschreibt.
Die Furcht vor einem Krieg in einem EU-Land nimmt zu: Fast die Hälfte (46 Prozent) der jungen Europäer halten einen Krieg in einem EU-Mitgliedsland in den nächsten zehn Jahren für möglich, 2020 waren es nur 37 Prozent. Junge Menschen waren im Jahr 2022 weniger optimistisch, was ihre Zukunftsaussichten angeht.
Seit 2017 fragt die TUI Stiftung diese Zukunftsaussichten ab, noch nie wurden die eigenen Perspektiven von jungen Menschen so negativ bewertet. Gleichzeitig bewerten junge Menschen ihre Zukunft teils dramatisch und weniger optimistisch als in den vergangenen fünf Jahren. Die Stimmung trübt sich ein.
Der Kriegsdämon verfehlt seine Wirkung nicht
Diejenigen Jugendlichen, die sich nach starken Führungsfiguren sehnen und deren Vertrauen in die Demokratie erschüttert ist, haben auch ein gewisses Verständnis für das Vorgehen Russlands. Selbst in der Schweiz, einem Land mit hohem Vertrauen in die Demokratie, hat jeder vierte Jugendliche zumindest ein gewisses Verständnis für das Vorgehen Russlands in der Ukraine. In Singapur finden ganze 46%, in den USA 44% und in Brasilien 35% der jungen Erwachsenen, man müsse Russland zumindest ein gewisses Verständnis entgegenbringen. Das zeigt: Das geopolitische Kräftemessen zwischen Demokratie und Autokratie hinterlässt seine Spuren auch in den Köpfen der jungen Menschen.
„Kinder und Jugendliche wollen Frieden, keine Waffen!“
„Kinder und Jugendliche wollen Frieden, keine Waffen!“ Das beschloss bereits 2016 die Hauptversammlung des Bundes der Katholischen Jugend (BDKJ): „Kinder und Jugendliche wollen Frieden! Sie wollen leben, spielen, lernen und in einer bunten Welt aufwachsen. Sie sehnen sich nach Frieden, nach Familie, Freundschaften und sicheren Orten. Sie wollen gesund aufwachsen und frei sein.“ Weiter heißt es dort:
„Kinder und Jugendliche sind von Unfrieden besonders betroffen. Ein Aufwachsen unter guten Bedingungen, wie die UN-Kinderrechtskonvention sie allen Kindern rechtsverbindlich garantiert, ist in Konfliktgebieten unmöglich. Menschen kommen zu uns, weil Unfrieden herrscht. (…) Die weltweit bewaffneten Konflikte sind so viele wie nie zuvor. Die fortdauernde globale Ungerechtigkeit bzgl. des Nutzens der Globalisierung und der Verteilung von Reichtum und Wohlstand ist ein ständiger Gefahrenherd für den Frieden.“
„Auch der aus sozialen Nöten und wirtschaftlichen Interessen hervorgehende Raubbau an der Schöpfung (…) schaffen immer neues Konfliktpotential. Wir wehren uns dagegen, dass die Debatte um Flucht nach Europa als Begründung für neue militärische Interventionen herangezogen wird – die im schlimmsten Fall ihrerseits neue Fluchtbewegungen erzwingen."
„Waffen sind zum Töten geschaffen“
In dem Beschluss des BdKJ heißt es weiter: „Konflikte werden durch Waffen angeheizt. Der stete Zustrom an Waffen und Kriegsmaterial trägt dazu bei, Konflikte aufrecht zu erhalten und zu verstärken. Es sind auch Waffen aus Deutschland, vor denen Menschen flüchten: Deutschland gehört zu den weltweit größten Rüstungsexporteuren."
"Eine besonders problematische Rolle spielt dabei die unkontrollierte Verbreitung von Kleinwaffen (Handfeuerwaffen, Sturmgewehre). Sie trägt zur Destabilisierung von Staaten und Gesellschaften bei. Die Verbreitung dieser Waffen beginnt meist als legaler, von der Bundesregierung genehmigter Rüstungsexport. Der Verbleib von Kleinwaffen wird allerdings kaum kontrolliert. Über vielfältige Wege gelangen diese nahezu ungehindert in Konfliktgebiete und führen dort zur Gewalteskalation.“
„Waffen sind zum Töten geschaffen und, einmal in der Welt, schwer kontrollierbar. Zivilgesellschaftliche Kontrolle über Rüstungsexporte ist schwierig, weil Protokolle und Berichte der Geheimhaltung unterliegen und erst spät rückwirkend veröffentlicht werden. Militärisch ausgetragene Konflikte der letzten Jahrzehnte haben nirgendwo nachhaltig zu Stabilität und Frieden beigetragen. Wir sind vielmehr überzeugt, dass nachhaltiger Frieden nur durch die Herstellung von mehr Gerechtigkeit möglich ist.“
„Der Wunsch nach Frieden ist nicht naiv. Er ist gerade in diesen Tagen mehr als notwendig.“
Dieser Feststellung der kirchlichen Jugendorganisation ist nichts hinzuzufügen.
Wilhelm Neurohr *, 29. Oktober 2023
**) Näheres zur bundesweiten Friedensdemo in Berlin: "Nein zu Kriegen – Rüstungswahnsinn stoppen – Zukunft friedlich und gerecht gestalten"unter:
http://www.wilhelm-neurohr.de/aktuelles/25-november/
*) Die Rede des Autors auf dem Ostermarsch Rhein-Ruhr 2023 bei der Friedenskooperative in Gelsenkirchen "Abrüsten statt Aufrüsten" ist hier nachzulesen:
https://www.friedenskooperative.de/ostermarsch-2023/reden/wilhelm-neurohr-gelsenkirchen
Siehe auch weitere Artikel des Autors zur Friedenspolitik:
Bürgerreporter:in:Wilhelm Neurohr aus Recklinghausen |
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