Hainhofen damals
Das war dann mal weg: DER FEUERSALAMANDER IM SCHUHLADEN
In die Nachbarorte verirrte man sich als Hainhofer Dorfkind nur wenn es unbedingt sein mußte, denn die dort ansässigen Rabauken war einem meist feindlich gesinnt und verhielten sich Eindringlingen gegenüber äußerst aggressiv. Nach Schlipsheim verschlug es uns nur, wenn beim "Haller Simmerl" ein Fahrrad zu reparieren war oder wenn man genügend Taschengeld für einen Ritt auf Winterhalders bockigen Eseln gespart hatte. Ottmarshausen galt als extrem heisses Pflaster, denn dort drohten einem ein rustikaler Haarschnitt vom Frisör Gröner oder ein paar Kopfnüsse der rauflustigen Lorenz-Brüder. Westheim war irgendwie die große Ausnahme im kleinen Grenzverkehr. Dort gab es mit dem Bahnhof die einzige Möglichkeit um in die Stadt zu kommen, dort hatten sich feine Restaurants und Cafés angesiedelt, dort standen eine weithin bekannte Eiernudelfabrik und sogar ein kleines Kaufhaus.
Wenn wir uns das Bild 01 aus dem Westheim der 60er Jahren betrachten, sehen wir einige Dinge, die dem Thema „Das war dann mal weg“ gerecht werden. Die vier Jungs sind Teil einer Hochzeitsgesellschaft, die im ehemaligen Restaurant Merk ihr Familienfest feierte, was man sich nur zu ganz besonderen Anlässen leisten konnte. Als noch exklusiver galt damals nur das renommierte Café Heider auf dem Westheimer Kobelhang. Im Hintergrund erkennt man etwas unscharf die bekannte Perlach-Eiernudelfabrik. Direkt unterhalb der Firma sehen wir die markante halbrunde Fassade des Schuhwarengeschäfts von Wilhelm Liepert.
Wenn man ein „neues Gwand“ brauchte, war dessen Kauf zu allen Zeiten kein Vergnügen für uns Kinder. Das nadelpieksende Anprobieren empfand man als die reinste Tortur, die man allerdings nicht oft erdulden mußte, denn neue Kleidung, selbst genäht oder gekauft, gab es nur zu klassischen Anlässen wie Einschulung und Erstkommunion. Ansonsten wurden Löcher in den Hosen vom Vater mit Hausarrest bestraft und von der Mutter in Heimarbeit gestopft. Funktionsfähige Kleidungsstücke wurden traditionell und allen modischen Trends zum Trotz innerhalb der Familie an die nächst kleinere Orgelpfeife weitergegeben.
Eine Ausnahme bildete das Schuhwerk. Die Ausstattung eines zwölfjährigen männlichen Familienmitglieds war sehr überschaubar. Da waren für die warme Jahreszeit die unvermeidlichen Sandalen nach Pfarrer Kneipp und für feuchte und kalte Tage der feste Halbschuh oder der Schnürstiefel. Schuhe konnte die Mutter gottseidank nicht selber stricken und anders als die viel zu großen aufgetragenen Pullover oder die viel zu kurzen Hochwasserhosen, sollten die Schuhe wenigstens einigermaßen passen. Gekauft wurden ein neues Paar beim „Liepert“ in Westheim. Dorthin ging man auch als Kind nicht ungern mit. Beim Betreten des Ladens läutete ein Glöckchen und wenn man dann staunend in dem kleinen Verkaufsraum voller Schuhkartons stand, umfing einen dieser betörende Duft von gegerbtem Leder. Daß es in einem Raum so gut roch war man weder von der winzigen Stube zuhause gewohnt, in der ein bullernder Kanonenofen ungefiltert seinen Dienst tat, noch vom miefenden Klassenzimmer der Unterklasse, wo 52 feuchte Käsefüsse unter den Schulbänken dampften. Neben den von Meister Liepert zwiefachgenähten Maßschuhen stand in den Regalen auch zugekaufte schwäbische Ware aus der nahen Schuhfabrik August Wessels in Augsburg und zunehmend erweiterten sogar überregionale Marken wie Romika und Salamander das Angebot.
Beim Namen „Salamander“ glänzten die Augen der kleinen Kunden nicht nur wegen der neuen Schuhe, sondern vor allem wegen „Lurchi“. Die schwarzgelbe gestiefelte Amphibie mit dem grünen Hütchen war das Markenlogo dieser Firma, die zu Beginn gar keine Kinderschuhe produzierte, aber um die nervigen Kleinen bei Laune und die Erwachsenen somit länger im Laden zu halten, hatte man voller List das kostenlose „Lurchi-Heft“ erfunden. Darin zu blättern beschäftigte den Nachwuchs wie heute das Starren aufs Smartphone und die Eltern konnten in aller Ruhe ein Paar Schuhe nach dem anderen anprobieren. Der erste Band mit den Abenteuern des Feuersalamanders und seinen Freunden wie dem Frosch Hopps und dem Zwerg Piping erschien bereits 1937, aber erst nach 1950 begann die wahre Erfolgsgeschichte der Lurchi-Hefte. Anders als die in Mode kommenden Comicstrips aus den USA wie Micky Maus, wurden diese Bildergeschichten aus deutschen Landen von den Erziehungsberechtigten nicht kritisch beäugt oder gar verboten. Das mag daran gelegen haben, daß sie als Werbeartikel gratis über den Ladentisch gingen, aber man sprach ihnen durchaus auch einen gewissen pädagogischen Nutzen zu. Die biederen Texte waren in Reimform gestaltet, was die ABC-Schützen zum Auswendiglernen animierte und sie waren in lateinischer Schreibschrift gedruckt und das überzeugte sogar den konservativsten Lehrkörper. Neben aufregenden Abenteuern erfuhren die jungen Leser eine Menge über fremde Länder oder den noch unerforschten Weltraum. Im Lauf der Jahre mutierte Lurchi zu einem wahren Kultobjekt, Büchlein im Pixi-Format, Malbücher, Hörspiele und vieles mehr kam auf den Markt und wurde von Sammlern begeistert gesucht und gehortet.
Eines dieser grünen dünnen „Heftla“ geschenkt zu bekommen war das schönste Erlebnis für die kleinsten Kunden beim Schuhkauf. Aber es gab noch andere begehrenswerte Dinge in Wilhelm Lieperts Laden. Da lagen z.B. diese hübschen glänzenden Blechdosen mit dem roten Froschkönig der Firma Erdal auf dem Deckel oder die Nigrin Schuhkreme mit dem schwarzen Kaminkehrer als Markenzeichen. War der Inhalt aufgebraucht, konnte man die leeren Dosen prima mit Sand füllen und als Puck beim Eishockey auf dem Schloßweiher benutzen.
Die Lurchi-Hefte gibt es bis zum heutigen Tag auch als Sammelbände zu kaufen, der Westheimer Schuhmachermeister Liepert hat sein gutriechendes Ladengeschäft im Jahr 1973 jedoch für immer geschlossen.
Exkurs: Kinderschuhe in den 40er Jahren:
Betrachten wir das Klassenfoto am Ende dieser Bildergalerie, sehen wir mit Erstaunen, um wieviel schlichter das Schuhwerk und die gesamte Kleidung der Schulkinder dieser Generation ausfiel. An den kurzen Hosen erkennt man, daß wir uns noch nicht in der kalten Jahreszeit befinden, trotzdem tragen die Jungs einheitlich schwere, grobe Schnürstiefel, vermutlich weil dies das einzige Paar Schuhe gewesen ist, das sie besaßen. Zwei der Buben kamen zum Fototermin so wie sie auch sonst von April bis Oktober in die Schule gingen, nämlich barfuß! Was uns Bürger der heutigen Wohlstandgesellschaft an diesem Bild nachdenklich machen sollte: Unzufriedenheit strahlen die beiden Barfußläufer trotzdem nicht aus !
Bürgerreporter:in:Helmut Weinl aus Neusäß | |
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