Hainhofen damals
PELIKAN UND BLEND-A-MED

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Vom Notstand im Wasserfarbkasten

Der größte Schatz, den sich ein ABC-Schütze in seinen ersten Schuljahren lange herbeisehnte, war der berühmte metallene Wasserfarbkasten von Pelikan. Er enthielt in zwei Reihen 12 Näpfchen mit den herrlichsten Deckfarben und dazu eine Tube reinstes Deckweiß in der seitlichen Halterung. Dazwischen eine Mulde für ein bis zwei Pinsel unterschiedlicher Stärke. Schon alleine die Namen der Farbtöne war faszinierend für die kleinen Malschüler: Zinnober- und Karminrot, Preußischblau und Ultramarin, Umbra und das exotische Gebrannte Siena. Es gab den Kasten auch als zweistöckigen Doppeldecker mit 24 Farben, aber diesen Luxus konnte sich kaum einer leisten. Was für ein erhebender Anblick, wenn man seinen Zauberkasten zum ersten Mal öffnete. Diesen jungfräulichen Zustand sollte man sich allerdings gut einprägen, denn so sahen die Malutensilien danach nie wieder aus. Die ersten ungelenken Versuche künstlerischen Schaffens verwandelten das Innenleben binnen kurzer Zeit in eine einzige Farborgie. Man tunkte meist zuviel Wasser auf die Pinsel und schnell bildeten sich mittige Trichter in den einzelnen Töpfchen. Oft lief die bunte Soße auch über die Ränder und besudelte den vormals cremeweißen Untergrund. In den Deckel des Kastens waren rechteckige Vertiefungen eingearbeitet, in denen man eigene Farbtöne zusammenmischen oder mit dem Deckweiß aufhellen konnte. Das Endergebnis war normalerweise eine Kakophonie der Farben und mangels ordentlicher Endreinigung nach jeder Malstunde sahen die Innenseiten bald höchst unappetitlich aus. Nicht besser erging es den Pinseln. Die sollte man nach der Schulstunde oder Hausaufgabe sauber auswaschen, was aber allzu häufig vergessen wurde und so trockneten die Borsten aus, wurden bockhart und fielen aus wie die Haare eines betagten Großvaters. Besonders die dünnen Pinsel traf dieses Schicksal unaufhaltsam. Auch das Auftragen der Wasserfarben auf den Zeichenblock gestaltete sich frustrierend. Da man immer zu ungeduldig den Pinsel schwang, liefen die Farben an den Schnittstellen häufig ineinander und weil man sie beratungsresistent mit zuviel Wasser anrührte, saugte sich das Papier voll und es bildeten sich echte Wellen auf dem Blatt, die nach dem Antrocknen nicht mehr glattzubügeln waren.
Die Farbnäpfchen leerten sich in unterschiedlichem Tempo. Während die unbeliebten Töne noch gut gefüllt waren, sah man bei Rot, Blau und Gelb schon bald den Boden durchscheinen, falls sie durch die ungezügelte Mischerei nicht ohnehin schon einen einheitlichen grünlichen Braunton angenommen hatten und ihre Grundfarbe gar nicht mehr zu identifizieren war. Man konnte die Näpfchen zwar einzeln nachkaufen, aber dazu mußte man in die Stadt oder zumindest nach Westheim zum Haushaltswarengeschäft Kritschker fahren und vor allem hieß es, das Geld dafür von den Eltern zu erbetteln. Einen noch schwereren Stand hatte die Tube Deckweiß, die in kürzester Zeit aufgebraucht war und leergepreßt und aufgerollt bis zur Verschlußkappe völlig vertrocknet im Kasten lag.

Mein großer Bruder war ein ordentlicher Schüler, der auf seine Sachen achtete. Außerdem konnte er ziemlich gut malen und signierte stolz seine Blätter bereits voraussehend in jungen Jahren mit seinen Initialen. Sein unbestrittenes Meisterwerk war eine Kopie von Pablo Picassos „Kind mit Taube“. Aber auch ihn ereilte eines Nachmittags bei der Anfertigung einer Hausaufgabe das Schicksal in Form von akutem Deckweißnotstand. Doch er wäre nicht mein großer Bruder, hätte er nicht eine geradezu geniale Idee gehabt. Auch in den ärmlichen Haushalten dieser Zeit gab es damals etwas, was ebenfalls weiß war und sich in einer Tube befand: die Zahnpasta! Also rührte er das Preußischblau mit einer gut abgemessenen Portion Blend-a-med zu einem zarten Himmelblau an und vollendete damit sein Gemälde zur vollsten Zufriedenheit. Zwar roch der Himmel anfangs etwas nach Pfefferminze, aber das verflog über Nacht und der Herr Oberlehrer war voll des Lobes über das stimmungsvolle Werk und benotete es mit einer glatten Eins. Die böse Überraschung sahen wir erst Tage später zuhause. Blend-a-med hatte wohl doch eine andere chemische Zusammensetzung als das Original Pelikan Deckweiß und der Himmel bekam zunächst Risse wie ein antikes Deckenfresko von Michelangelo und schließlich bröckelte er stückchenweise ab wie der feuchte Putz hinten am Kuhstall. Für die Nachwelt war das Bild somit für alle Zeiten beschädigt, aber die gute Nachricht war, daß die hervorragende Note ja schon unter Dach und Fach gewesen ist.

Bürgerreporter:in:

Helmut Weinl aus Neusäß

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