Warum sich der Troll nicht trollt
Alexander Glück hat ein „Handbuch für den Forentroll“ geschrieben. Es beginnt als Streitschrift zur Verteidigung des Trolls, geht in eine Anleitung zum Lügen und Betrügen in Online-Diskussionen über, bei der die Grenzen zwischen Realität und Ironie nicht immer klar sind, und erklärt kurz, wieso manche Menschen zum Troll werden. Des Rätsels Lösung könnte lauten: Trolle sind Forennutzer mit übersteigertem Geltungsbedürfnis, die in einer Diskussionsgruppe auf keinen grünen Zweig gekommen sind. Von Frust motiviert vermiesen sie anderen den Meinungsaustausch im Netz gezielt und bedienen sich dabei auch verbotener Mittel. Oder ist doch alles viel differenzierter?
Glück wandelt auf einem schmalen Grat zwischen soziologischer und kommunikationsphilosophischer Perspektive, Anleitung und Ironie. Der Autor hat sich bis zur Fertigstellung des Buches selbst in zehn bis 15 Foren betätigt und legt seine Erfahrungen, gekoppelt mit Überlegungen und der Lektüre von Sunzis Kriegskunst sowie dem „Handbuch des Stadtguerillero“ von Carlos Marighela im „Handbuch für den Forentroll“ dar. Glück war für Experimente auch als Troll unterwegs, hat aber nach eigener Aussage „Streitmuster auch als normales Gruppenmitglied kennengelernt“. Er bezeichnet den Forentroll als Selbstreinigungseffekt des Internets, vergleicht ihn mit dem Narr am mittelalterlichen Königshof.
Von Sockenpuppen, Sadismus und Sünden
„Erst am Troll bewährt ein Forum seine Daseinskraft“ (S. 12), verschafft er dem Störenfried seine Legitimation. Trolle provozieren demnach die Wahrheit hinter der Fassade – und haben, dieser Eindruck mag entstehen, offenbar sehr viel Zeit (was Glück zufolge gar nicht so ist bzw. sein muss). Sie wollen eskalieren und stören und arbeiten dabei – wie angeblich häufig auch Admins – mit Nebenidentitäten, sogenannten Sockenpuppen. Auf meine Frage nach der Motivation eines Trolls antwortet der Autor, es gehe „darum, den Tonangebenden das Heft aus der Hand zu nehmen, gerade weil dadurch Diskussionen zu neuen Lösungen gebracht werden können. Ich denke, dass dies auch viele andere reflektierte Trolle antreibt.“
Trolle wollen sich nicht konstruktiv zu einem Thema äußern, sondern vertreten immer den Gegenstandpunkt, schwingen die Nazi-Keule oder bringen einfach nur Off-Topic-Unruhe in ein Forum oder eine Community. Gemäß dem Troll-Leitfaden im Handbuch haben sie dabei bisweilen sadistische Züge (vgl. S. 98) und reihenweise unsympathische Eigenschaften: „Entscheidend ist, mit jeder Nachricht dem Administrator und anderen Forumsmitgliedern möglichst viel Zeit und Kraft zu entziehen“, beschreibt Glück auf Seite 111. Wo die Realität aufhört und die Ironie anfängt, wird eben leider selten klar. Wirkungsvolle Gegenmaßnahmen liegen entweder im kompletten Ignorieren oder in der Aufdeckung der wahren Identität des Trolls. „Zusätzlich kann man den Troll dazu bringen, eine seiner sieben Sünden zu begehen. [...] Interessanter finde ich allerdings die "Maßnahme", sich mit dem Troll in positiver Weise auseinanderzusetzen, sein Anliegen zu durchdenken und ihn zu integrieren/inkludieren statt ihn auszugrenzen“, meint der Autor auf meine Frage nach weiteren Methoden.
Titel: Handbuch für den Forentroll
Autor: Alexander Glück
Verlag: Röhrig Universitätsverlag
Erscheinung: St. Ingbert, 2013
ISBN: 978-3-86110-535-0
Bürgerreporter:in:Michael S. aus Neusäß |
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