Hainhofen damals
SÜNDENFREI FÜR 20 PFENNIG IM JAHR
Ein eigenartiger Ablaßhandel mit einem Märtyrer
Beim Stöbern im Archiv kommt mir ein seltsames Dokument aus dem Jahr 1962 in die Hände. Es ist quasi meine „Beitrittserklärung“ zur sog. „Sebastian Bruderschaft“, einer katholischen Vereinigung von gleichgesinnten Glaubensbrüdern, die es schon seit dem Mittelalter gab. Waren es zunächst Zusammenschlüsse von Nothelfern in Zeiten der Pestepidemien, verpflichteten sich die Mitglieder später zum gegenseitigen Gebet. Dieses fromme Ansinnen dürfte aber kaum der Grund für meinen Beitritt zu dieser Bruderschaft gewesen sein, denn mein Verhältnis zu Kirche und Pfarrer war zu keiner Zeit ein besonders warmherziges. Vermutlich wollte ich damit nur ein paar Pluspunkte beim strengen Herrn Böhler sammeln und immerhin erschien die Aussicht auf einen kompletten Sündenerlaß zum Preis von 20 Pfennig im Jahr, wie er in den bischöflich abgesegneten Statuten nachzulesen ist, nicht von der Hand zu weisen.
Mein „Lieblings“heiliger, so fern ich denn einen hatte, war der römische Offizier Sebastian ohnehin nicht. Dafür sorgte schon allein das grauslige Bild seines Martyriums am rechten Seitenaltar der Hainhofer Kirche. Im Angesicht des von Pfeilen durchbohrten, fast nackten Körpers, fiel es einem verängstigten Jungkatholiken schwer zu frohlocken und den Lieben Gott zu preisen, der solches Unrecht zuließ. Außerdem begründet diese tausendfach gemalte Szene einen großen Irrtum. Sebastian wurde zwar, nachdem er sich dem Christentum zuwandte, von seinem Dienstherrn Kaiser Diokletian zum Tode verurteilt und von unzähligen Pfeilen numidischer Bogenschützen durchbohrt, aber zu seinem Ableben hat dieses Martyrium tatsächlich nicht geführt. Eine später ebenfalls seliggesprochene Witwe, die Heilige Irene, hatte den Totgeglaubten auf wundersame Weise wieder gesundgepflegt. Doch Sebastian dachte sich „einmal Märtyrer, immer Märtyrer“, machte sich sofort wieder auf den Weg zu seinem Kaiser, bekannte sich erneut zum Christentum und wurde wie erwartet nochmals zum Tode verurteilt. Den mangelhaften Schießleistungen der Numiden vertraute Diokletian aber dieses Mal nicht mehr und er ließ seinen Offizier im Circus Maximus nach alter Tradition märtyrertodsicher mit Keulen erschlagen und in der hochmodernen römischen Kloake entsorgen. Auch von diesem zweiten und endgültigen Martyrium gibt es historische Gemälde, z.B. von Paolo Veronese, aber der katholischen Kirche erschien wohl die Schützenvariante publikumswirksamer zur Ausstaffierung der Gotteshäuser geeignet.
Vielleicht ist der Heilige Sebastian aus diesem Grund neben vielen anderen Ämtern auch der Patron der Schützen geworden. In manchen Schützenvereinen gibt es heute noch rein sportlich ausgerichtete „Sebastian-Bruderschaften“. In Hainhofen gedenkt man seinem Schutzheiligen mit einem besonderen Schießen auf die „Sebastiani-Scheibe“.
Bürgerreporter:in:Helmut Weinl aus Neusäß | |
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