Hainhofen damals
Spezereien und andere Spezialitäten

Ein wunderschönes harmonisches Gebäude: die Spezereihandlung Wolf mit dem Ladeneingang auf der rechten Seite. | Foto: Ausschnitt einer historischen Postkarte
7Bilder
  • Ein wunderschönes harmonisches Gebäude: die Spezereihandlung Wolf mit dem Ladeneingang auf der rechten Seite.
  • Foto: Ausschnitt einer historischen Postkarte
  • hochgeladen von Helmut Weinl

Gedanken zum Einkaufen im eigenen Dorf 

Wenn man heute ein Kind fragen würde, was man wohl in einem Geschäft mit der Aufschrift "Spezereien" kaufen konnte, wüßte vermutlich niemand mehr die Antwort. Aber wenn wir ehrlich sind: als Dreikäsehoch in den 50er und 60er Jahren konnten wir die Frage auch nicht beantworten! Dabei besaßen wir in unserem kleinen Dorf eine dieser "Spezereihandlungen", die sogar auf einer Ansichtskarte von Hainhofen abgebildet war.

Oftmals waren derartige Läden mit einem Schild bestückt, auf dem mit einem Angebot von "Spezereien & Kolonialwaren" geworben wurde. Das Wort Spezerei stammt aus dem Mittelhochdeutschen und bezeichnete zunächst Gewürze und Aromen, die aus Überseeländern stammten und nicht selten sehr kostspielig waren. Zu den Spezereien zählten u.a. Pfeffer, Safran, Ingwer, Zimt und Muskat. In Österreich verstand man unter Spezereien bald alle möglichen Arten von Delikatessen und auch bei uns dehnte sich die Bedeutung immer weiter aus und stand allgemein für Lebensmittel oder Gemischtwaren.

Eine ähnliche Herkunft wie die Spezereien hatten die sog. "Kolonialwaren". Es handelte sich um Erzeugnisse wie Rohrzucker, Kaffee, Tee, Reis und viele andere mehr, die von Kolonialwarenhändlern vorwiegend per Schiff in die großen deutschen Hafenstädte importiert wurden. Dort entstanden zur Weiterverarbeitung der exotischen Rohstoffe Kaffeeröstereien, Schokoladen- und Zigarettenfabriken und sogar Betriebe zur Herstellung von Rum. Mit fortschreitender Technik im Transportgewerbe konnten die Kolonialwaren bald direkt in kleinere Städte und Dörfer geliefert werden, wo in der Folge allüberall die kleinen Tante-Emma-Läden ihre Gemischtwaren anboten.

Wie ihr Name andeutet, stammten die Kolonialwaren aus den deutschen Kolonien in Übersee und damit haftet ihnen nicht zu Unrecht bis heute ein übler Beigeschmack an. In Gebieten wie "Deutsch-Ostafrika" oder Kamerun gehörte Zwangsarbeit zum harten Alltag und Geschäftsgebaren und auch in anderen Exportländern für Genußmittel wie Brasilien oder Kuba war Anbau und Ausbeutung durch Sklavenarbeit lange Zeit gang und gäbe. Wenn man realistisch ist, darf man als Kunde heute noch beim Kauf bestimmter Produkte, trotz aller Fair-Trade-Siegel, ein durchaus schlechtes Gewissen haben. Der Begriff Kolonialwaren verschwand in den 1970ern Jahren aus der Reklame, aber im Logo eines ganz bekannten Supermarkts finden wir ihn tatsächlich heute noch: aus der "Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler Berlin" kurz E.d.K. wurde irgendwann der Unternehmensverbund EDEKA und auf der Fassade im OT Steppach steht das immer noch in großen Lettern.

Die Spezereihandlung Sebastian Wolf in Hainhofen war für uns Kinder einfach ein Dorfladen, den die gutmütige Frau Babette Wolf führte. Der Innenraum war sehr eng und dunkel, aber immerhin gab es drinnen eine hölzerne Wartebank, wenn mal mehr Kundschaft am Tresen stand. Meistens duftete es im Verkaufsraum verführerisch nach Sauerkraut, das Frau Wolf bei Bedarf frisch aus einem Faß schöpfte. Mit der passenden Kittelschürze ergab das ein Bild, welches durchaus an Wilhelm Buschs Witwe Bolte erinnerte. Dort oben einzukaufen, machte uns Kindern sehr viel Spaß, besonders wenn man mit dem Fahrrad kam. Den steilen Hügel bis obenhin ohne abzusteigen zu schaffen, war praktisch das Leistungsabzeichen für junge Radler, aber noch mehr beeindruckte man die Freunde, wenn man die kiesige Abfahrt hinunterdonnerte und im Auslauf eine Vollbremsung hinlegte, ohne sich blutende Knie oder aufgeschürfte Ellenbogen zu holen. Dort unten gab es eine winzige Grünfläche in Hanglage, auf der wuchs einer der weit verbreiteten Wasserbirnbäume. Dessen kurzlebige saftige Früchte hatten damals schon einen besseren CO2-Fußabdruck als all die weit gereisten Spezereien und Kolonialwaren. Doch das hat man uns in der Volksschule nicht beigebracht und so mancher hat es bis heute nicht dazugelernt.

Bürgerreporter:in:

Helmut Weinl aus Neusäß

Helmut Weinl auf Facebook
45 folgen diesem Profil

2 Kommentare

Bürgerreporter:in
Karl-Heinz Mücke aus Pattensen
am 31.01.2025 um 22:27

Wir hatten in den 50er Jahren in unserem Dorf zwei "Dorfläden" in denen man anschreiben konnte. Freitags, wenn die Löhne ausgezahlt wurden, standen die Frauen an um ihre Männer abzukassieren um die Schulden zu bezahlen. Die Männer gingen dann meistens auch in die Kneipe um ihren Deckel abzubezahlen. Später gab es Rabattmarken beim Einkauf, die ich immer gesammelt habe um sie gegen Süßigkeiten oder Spielzeug einzulösen. Heute gibt es keine Kneipen oder Läden mehr. Man fährt in das nächste Einkaufszentrum.

Bürgerreporter:in
Florian Handl aus Augsburg
am 02.02.2025 um 14:25

Wundervolle Einblicke