Hainhofen damals
Grüne Erbsen statt Blauer Bohnen
Der Showdown am Bahndamm
Seit man in den Anfängen der Sechziger Jahre im Fernsehen erstmals amerikanische Wildwestfilme und Krimiserien gesehen hatte, wollten alle Lausbuben nichts lieber, als mit Schießprügeln durch die Gegend zu ballern. Erste Wahl waren für lange Zeit die mit Zündblättchen geladenen Colts, die zwar krachten und eine schwefelige Spur Pulverdampf verströmten, mit denen man aber nicht mal die Spatzen vom Gartenzaun verscheuchen konnte. Eine völlig neue Dimension in die Waffenkultur brachte erst die Erfindung der "Erbsenpistole", die mit den kugeligen Hülsenfrüchten geladen wurde und mit der man unter Dauerfeuer Mensch und Tier beschießen konnte. Findige kleine Waffenexperten tauschten die serienmäßige Feder bald gegen eine straffere aus und damit ließ sich locker die Fluchtdistanz von scheuem Federvieh und feigen Nachbarkindern überwinden. Die starke Nachfrage nach der veganen Munition führte zeitweise zu Lieferengpässen in den Dorfläden und Erbsenpüree verschwand für einige Zeit aus den häuslichen Speiseplänen, da der Rohstoff in unzähligen Straßenschlachten verballert wurde. In die Schule wurden die Pistolen natürlich auch eingeschleust, damit die Machtverhältnisse im Pausenhof und auf dem Nachhauseweg jederzeit geklärt werden konnten. So hatten mein bester Freund und ich unsere Friedensstifter in den Schulranzen griffbereit, als wir wie jeden Mittag vom Bahnhof Westheim den schmalen Fußweg entlang in Richtung der kleinen Unterführung schlenderten, wo unsere Fahrräder für die weitere Heimfahrt untergestellt waren. Der Weg führte direkt am Bahndamm entlang und war durch einen hohen Zaun von den Gleisen getrennt. Dahinter marschierten in gleicher Richtung wie wir eine Handvoll Bahnarbeiter auf dem Weg zu einer Baustelle. Damit ihnen und uns der gemeinsame Weg nicht zu langweilig wurde, holten wir stillschweigend unsere Pistolen hervor und begannen sie zunächst mit ein paar Warnschüssen zu provozieren und später mit Kreuzfeuer unter schweren Erbsenbeschuß zu nehmen. Durch den durchgehenden und scheinbar unüberwindbaren Zaun geschützt, wähnten wir uns in kindlicher Einfältigkeit unangreifbar "auf der sicheren Seite". Doch innerhalb weniger Sekunden wurden wir eines Besseren belehrt. Völlig unerwartet übersprang einer der Arbeiter olympiareif den Zaun vor uns und als wir uns zu Tode erschrocken umdrehten, stand 5 Meter hinter uns ein zweiter Arbeitskollege, der wohl ebenfalls das goldene Sportabzeichen bestanden hatte und uns nun breitbeinig den Rückweg versperrte. Der Rest des aussichtslosen Kampfs ging schnell und ohne ein einziges Wort über die Bühne. Der feindliche Arbeiter vor uns kam zielstrebig auf uns zu, packte jeweils mit einer Pranke jeweils einen Kopf von uns und haute diese ansatzlos gegeneinander. Blitze zuckten, Sterne blinkten, alle Englein sangen und als wir wieder klar sahen, gingen die Bahnarbeiter bereits zufrieden grinsend wieder auf ihrer Seite des Zauns ihrem Weg nach. Die Machtverhältnisse waren unmißverständlich gerade gerückt worden. Bedröppelt und mit tauben Köpfen verstauten wir unsere Waffen in den Schultaschen und taumelten wortlos zu unseren Drahteseln. Wir hatten unsere Lektion gelernt und beschossen fortan nie mehr auch nur einen einzigen dieser groben Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn auf dem Dienstweg.
Bürgerreporter:in:Helmut Weinl aus Neusäß | |
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