Hainhofen damals
DIE DREI FRAGEZEICHEN

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Kindheitserinnerungen an den Sommer in Hainhofen

Es mußten schon viele günstige Winke des Schicksals zusammentreffen, damit einer der größten Glücksmomente eines Dorfjungen der damaligen Zeit in Erfüllung gehen konnte. Zunächst brauchte man Geld und das war schwierig genug in den Fünfziger Jahren! Wo in den Lohntüten nur ein schmales Salär steckte, woher hätte da ein Luxus wie "Taschen"geld kommen sollen? Aber ab und zu bekam man halt doch ein Zehnerle zugesteckt oder man hatte es sich durch einen Botengang oder andere Hilfsarbeiten in Haus und Hof verdient. Eine günstige Wetterprognose war ebenfalls entscheidend dafür, ob man an das heiß ersehnte kühle Ziel kam oder nicht. Sommerliche Temperaturen waren dafür unbedingt erforderlich. Aber selbst dann mußte man mindestens bis 12 Uhr mittags warten, vorher ging gar nichts. Dann hieß es, die mühsam gesparten Münzen tief in der Hosentasche zu versenken und sich voller Spannung auf die kurzen Beine zu machen. Am Hof vom Meitinger vorbei, dann beim Seethaler ums Eck und an der nächsten Biegung bei der Post kam der aufregende Moment, der entschied über grenzenlose Freude oder tiefste Enttäuschung. War sie heute gehißt, die Flagge des Siegers? Gaben die 3 Buchstaben den Weg frei ins Reich der zart schmelzenden Verlockung? E - I - S ... drei fette, rote Lettern auf weißem Grund!!!

Im Sauseschritt die letzten 30 Meter genommen, dann abgehetzt die Stufen rauf und rein mit Gebimmel in den Laden der Frau Bäck. Daß die immer freundliche, blasse Dame hinter der Ladentheke eigentlich Durner hieß, wußten wir nicht, für uns war das halt die Frau Bäck und die stand in der Beliebtheitsskala von uns Minderjährigen ganz weit oben. Die leise vor sich hin brummende Eismaschine werkelte direkt im Laden und das fertige Produkt der Begierde lagerte gleich daneben in runden Kühlbehältern. Die klassische Mengeneinheit für Speiseeis war der schwäbische "Bollen" und den gab's für 10 Pfennig in der Standardqualität. Sonntags wurde manchmal auch das sogenannte "Gute" angeboten. Diese Bezeichnung wäre natürlich nach modernen Marketingstrategien kontraproduktiv, denn dies würde ja bedeuten, das "Normale" wäre nicht gut, was keineswegs der Fall war. Das sog. "Gute" hatte aber einen höheren Anteil am geschmacksgebenden Grundstoff, z.B. mehr Erdbeeren pro Einheit. Die Sorte "Nuß" gehörte grundsätzlich in die Qualitätsstufe "das Gute“ und der Preis dafür lag bei schwindelerregenden 15 Pfennig für den Bollen. Neben Erdbeer ohne "e" waren die üblichen Sorten Schogglad auch ohne "e" hinten, sowie Fanill mit Fenster-F vorne und natürlich auch ohne "e" am Schluß.

Die Bollen kamen auf Waffeln über den Ladentisch und die standen in zwei Varianten zur Wahl, je nach kindlicher Weltanschauung: die spitze "Tüte" und die flache "Muschel". Beliebter war eindeutig die Tüte, denn die bescherte einem ein zusätzliches sinnliches Erlebnis: wenn der rundum angelutschte Bollen langsam weich wurde, konnte man unten die Spitze der Tüte abbeißen, um dann die restliche Pampe durch diese hohle Röhre zu saugen, bis sie mit einem Plopp im Hals landete. Heute nennt man dieses Mundgefühl gerne "Gaumensex", aber damals gab's dieses Wort nicht und wir hätten sowieso nicht gewußt, was das sein soll. Egal zu welcher Form der Waffel man sich durchgerungen hatte: falls man sich 2 Bollen leisten konnte, nutzte man schamlos die Regeln der freien Marktwirtschaft und kaufte diese einzeln, was bedeutete: 2 Bollen = 2 Waffeln. Beide Teile wurden aufeinander gesetzt und durch leichten Druck wurde die Eiskreme in optimaler Schlotzigkeit nach außen gedrückt und konnte so wunderbar unter langsamer Rotation rundum abgeleckt werden. Meistens verfügte man aber nur über das Barvermögen im Wert von 1 Bollen. In dieser Notsituation war ein leidender Dackelblick in die mildtätigen Augen der Frau Bäck hilfreich und oft gab es die zweite Waffel gratis. So hielt man damals eben seine geschätzte Stammkundschaft bei Laune.

Daß die Zeit dieser hausgemachten Köstlichkeiten in den 60er Jahren schleichend zu Ende ging, lag an den Drei Eisheiligen namens Schöller, Langnese und Doktor Oetker, die nach und nach selbst den ländlichsten Raum eroberten. Damit stand Eiskrem aus dem Reich des Fürsten Pückler ab sofort ganzjährig in Tiefkühltruhen zur Verfügung, aber dadurch war eben das ganz Besondere an diesem vormals saisonal begrenzten Genuß unwiederbringlich verloren gegangen. 

Bilder zur Verfügung gestellt von Familie Durner

Bürgerreporter:in:

Helmut Weinl aus Neusäß

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