Hainhofen damals
DER "AMIKOFFER" AUS DEM "AMILOCH"
Im Westen viel Neues
Sie kamen wie die apokalyptischen Reiter direkt aus der Morgensonne und sie brachten den Tod. Francis Ford Coppola untermalte das Erscheinen der Hubschrauber am Horizont der Kinoleinwand 1979 effektvoll mit Wagners Wallkürenritt. Ganz so dramatisch war unsere erste kindliche Begegnung mit der fliegenden Kavallerie der US-Army nicht, aber wir standen mit weit offenen Mündern und großen Augen am Gartenzaun, als die olivgrünen Sikorskys am Himmel hoch über den Kastanienbäumen am Hainhofer Schloß erschienen. Sie kamen von den Augsburger Kasernen und flogen zu Manövern in unseren Westlichen Wäldern. Einen echten Hubschrauber zu sehen war für ein Dorfkind 20 Jahre vor Copollas Kriegsepos wie ein Weltwunder. Unsere Begeisterung für Technik war grenzenlos und ungestillt. Über die Schlaglöcher der noch ungeteerten Dorfstraßen fuhren nur selten Automobile und von den Bulldogs unserer vielen Bauern konnte ich jeden einzelnen bereits am Klang erkennen. Absolute Renner waren die riesigen Zugmaschinen, mit denen der Fuhrunternehmer Kögl ab und zu die Ottmarshauser Straße entlang donnerte. Aber das war alles nichts gegen wahrhaftige Hubschrauber im Formationsflug direkt über uns, mit dabei einige der "Bananenhubschrauber" mit doppelten Rotorblättern vorne und hinten. Doch das beste kam zum Schluß: riesige Lastenhubschrauber, an denen unten Jeeps und kleine Trucks an Seilen baumelten! Da blieb jedem 8jährigen buchstäblich die Spucke weg und wir standen wie gelähmt vor Aufregung da und dankten dem lieben Gott für dieses Erlebnis. Das rhythmische Stampfen schwerer Stiefel auf den hölzernen Bohlen des Badstegs kündigte die Fußtruppen an. Wir wußten nicht, ob die Soldaten bis Westheim mit dem Zug transportiert wurden oder ob sie den ganzen Weg von der Flak-Kaserne bis hierher marschiert waren. Nun zogen sie hautnah an unserem Hof vorbei und wir duckten uns ehrfürchtig hinter die Zaunlatten. Zwar winkte ab und zu ein zimtiger "Chewing Gum" oder ein "Butterfinger", aber der Respekt vor diesen fremdartigen Menschen, vor allem vor den "Negern" und den metallenen Gewehrläufen war doch riesig und so verharrte man lieber im Schutz des bäuerlichen Vorgartens. Erst wenn die ganze Parade in Richtung Torbogen vorbeigezogen war, trauten wir uns auf die Straße und rannten zur Wiese oben am Waldrand, denn dort war unsere Tribüne zum großen Showdown. Von hier hatte man einen unverbauten Blick zur "Schönen Aussicht" über der die Hubschrauber kreisten und dann kam der große Moment: kleine schwarze Punkte erschienen am Horizont, erst nur einige wenige, dann immer mehr und mehr, die lautlos wie die Samen der Pusteblumen langsam Richtung Erde schwebten. Dutzende Fallschirmjäger landeten auf den Feldern, bereit für die große Schlacht gegen die bösen Russen und sonstige dunkle Mächte. Das war großes Kino für kleine Leute in Zeiten ohne Fernseher. Bald hörte man stundenlang das Knattern von Gewehrfeuer und das dumpfe Detonieren von Granaten in den dichten Wäldern hinterm "Schwäbischen Hinmelreich".
Am Tag nach dem Manöver gab es in der Schule nur ein Thema. Mittags konnte es mit dem Essen nicht schnell genug gehen, um sich anschließend mit einer fadenscheinigen Ausrede rauszuschleichen. Der Wald war das Ziel, denn der versprach fette Beute an einem solchen Tag. Die Amis waren reich und verschwenderisch und sie ließen bei ihren Kriegsspielen viel zurück, was einen einfachen Dorfbuben glücklich machte. Vieles davon fanden wir in den sogenannten "Amilöchern". Diese trichterartigen Gruben nannten wir so, weil wir dachten, die Soldaten hätten diese quasi als eine Art Schützengraben beim Stellungskampf in den Wald gebuddelt. Daß es sich in Wahrheit um wissenschaftlich belegte Zeugnisse des frühen Eisenerzabbaus im Rauhen Forst handelt, erfuhr ich erst Jahrzehnte später.*
Wir suchten dort nach den modernen Schätzen, welche die GIs hinterlassen hatten. Da gab es jede Menge Konservendosen mit gepökeltem Fleisch, Keksen und Erdnußbutter für heimliche Picknicks in unseren Verstecken auf dem Heuboden. Der Verzehr geriet immer zu einem Überraschungsmenü, da wir die englische Aufschrift der Büchsen und Päckchen nicht verstanden. Besonders beliebt waren die "Amikoffer", die auf dem Schwarzmarkt höchste Preise erzielten. Das waren metallene Munitionskisten in zwei verschiedenen Größen, die sich in Heim und Werkstatt wunderbar als praktische Mehrzweckbehälter zur Aufbewahrung von allerlei Krimskrams verwenden ließen. Am höchsten schlugen die bangen Herzen allerdings, wenn man neben leeren Patronenhülsen auch scharfe Munition fand. Die wurde unter höchster Geheimhaltung nach Hause transportiert und für allerlei ballistische Experimente im Sinne der Naturwissenschaften eingesetzt. Die einfachste Versuchsanordnung bestand darin, das Pulver der Patronen in einer langen, kurvigen Spur anzuhäufeln, um diese dann anzuzünden und sich an dem Anblick zu erfreuen, wie das bläuliche Feuer zischend seine Bahnen über den Hühnerhof zog und das nicht kriegserprobte Federvieh geschockt auseinanderstob. Es gab zwar noch eine weitaus spektakulärere Show, aber diese sei im Sinne des heutigen strengen Jugendschutzes an dieser Stelle nicht näher erläutert.
Im Lauf der Sechziger Jahre wurden die Manöver immer weniger und Luftlandetruppen wurden über Hainhofens Wäldern fortan nicht mehr gesichtet. Unser Kontakt zu den Besatzungsmächten lebte erst wieder auf, als in Augsburg das "Deutsch-Amerikanische-Volksfest" eingeführt wurde, welches man im ländlichen Volksmund schlicht "Amiplärrer" nannte. Eine Zeitlang radelten wir auch zu den spektakulären Motocross-Rennen, die im Deuringer „Panzerkessel“ stattfanden. Auf dem Weg dorthin kommt man an der ehemaligen Gaststätte Ziegelstadel vorbei und dort gibt es tatsächlich heute noch den kleinen Ententeich, den die aktuellen Pächter nostalgisch immer noch den „Ami-Weiher“ nennen.
* siehe „Der Eisenerzbergbau im Rauhen Forst“ von Hans Frei in „Neusäß, die Geschichte von acht Dörfern auf dem langen Weg zu einer Stadt“ Seiten 57 ff.
Bürgerreporter:in:Helmut Weinl aus Neusäß | |
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