Hainhofen damals
DAS BRATKARTOFFEL-ROULETTE

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VON WIEDERKÄUERN UND KAUBOYS IN DEN SCHMUTTERWIESEN

Bald werden die Tage wieder kürzer, das Gras wird morgens kühl und feucht vom nächtlichen Tau sein und hauchdünne Spinnenfäden werden zwischen den Halmen silbrig glänzen. Diese Wochen, wenn die unendlich scheinenden Sommerferien doch unaufhaltsam zur Neige gehen, waren in unserer Kindheit eine ganz besondere Zeit.

Bauer Stemmers Kühe wurden an solch warmen Spätsommertagen noch ab und zu morgens auf die grüne Weide in den saftigen Schmutterwiesen getrieben. Das Hüten übernahmen wir freilaufenden Dorfkinder sogar freiwillig, denn dort unten durfte man ungestraft ein Kartoffelfeuer machen, während jegliche Zündelei auf dem Bauernhof aus gutem Grund strengstens verboten war. Da ein Kartoffelfeuer im weitesten Sinn auch Küchenarbeit darstellte, durften sogar ein paar Mädels mitmachen, wenn sie nicht als allzu weinerlich galten. Zunächst hieß es Brennholz zu besorgen. Ein paar große Scheite hatte man schon drüben an Welzhofers Mühle geklaut, den Rest klaubten die niederen Dienstgrade am Ufer der Schmutter zusammen, dort standen genug knorrige Bäume und geeignetes trockenes Buschwerk herum. Dann wurde das Feuer feierlich entfacht und sobald die Funken so richtig stoben und sich ein ordentlicher Gluthaufen gebildet hatte, warfen wir sämtliche der mitgebrachten Kartoffeln hinein. Danach vertrieb man sich die Wartezeit mit Schnitzen von Bratapfelspießen oder riskanten Kletterübungen auf einem der riesigen stählernen Starkstrommasten der LEW. Einige gönnten sich lieber Fußsohlen-Wellness und standen dazu barfuß in handwarme Kuhfladen, bis die gelbgrüne Grütze wachsweich zwischen den Zehen hervorquoll, ich fand das aber damals schon einfach nur Kacke. Nach der grob geschätzten Garzeit für eine mittelgroße deutsche Standardkartoffel begann die rituelle Verteilung der krossen Knollen. Immer reihum durfte man nach und nach mit einem dafür geeigneten Stecken einen der kohlschwarzen Bollen aus der staubigen Asche kugeln. Dann folgte das gemeinsame Verspeisen, dabei brauchte man aber viel Losglück, denn nicht alle der Erdäpfel hatten die ideale Garstufe erreicht. Zu klein Geratene bestanden praktisch nur noch aus ihrer verkohlten Hülle und lösten sich beim geringsten Zusammendrücken lautlos in ein Häuflein Asche auf. Das waren die Nieten dieser Lotterie. Zu große Exemplare waren hingegen inwendig käsig und hart und schmeckten nicht mal uns, die wir kulinarisch nicht gerade verwöhnt waren. Aber es blieben genug Köstlichkeiten für jeden übrig, mit einem dunkelgelben, heißen, aromatischen und wohlschmeckenden Innenleben. Daß der Genuß der rußschwarzen, verbrannten Knusperhülle hochgradig krebserregend war, erfuhren wir leider erst Jahrzehnte später. Mit diesem Wissen hätten wir harten Jungs uns auch die selbstgedrehte "Zigarre danach" verkniffen. Die bestand aus einer Art Schilfrohr vom Ufer, dessen wattebäuschiges Inneres sich gut herauspopeln ließ und welches man dann mit einer handverlesenen Mischung aus kleingeriebenen, getrockneten Blättern und einheimischen Gräsern füllte. Dieser Tabakersatz schmeckte voll biologisch und brannte auf der Zunge, aber vermutlich drangen bei jedem Zug eine Menge schädlicher Partikel ungefiltert in unsere kleinen Lungenflügel. Manchmal gab es zur Nachspeise noch Bratäpfel. Die wurden auf noch grüne, hitzebeständige Stecken gespießt und direkt über die lodernde Glut gehalten. Daß dabei selten wohlschmeckende Leckerbissen herauskamen, lag an unserer kindlichen Ungeduld und folglich waren die wenigen Exemplare, die nicht ungewollt ins Feuer plumpsten, normalerweise außen verkohlt und innen roh. Bevor es dunkel wurde, trieben wir die kleine Herde wieder hinauf in den Stall, jeder der kleinen Cowboys mit schwarzgefärbten Zähnen im Mund und die Kuhfladensteher obendrein mit einer penetrant übel riechenden Kruste aus getrocknetem Dung zwischen den Zehen.

Freilaufende Kühe sieht man heutzutage in den Schmutterwiesen rund um Neusäß nicht mehr.
Bürgerreporter:in:

Helmut Weinl aus Neusäß

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