Madagaskar Rundreise 5/8: Schulbesuch, Prozession & Übernachtung im Gemeindehaus
Das fünfte Kapitel meiner Erlebnisse auf Madagaskar spielt in der Peripherie. Unsere Reisegruppe besucht Dorfbewohner, eine Schule und einen weiteren Handwerksbetrieb. Weniger Komfort bei der Übernachtung, dafür mehr authentische lokale Atmosphäre!
In den Dörfern gibt es noch Entenhirten und beim Boule tippeln Hühner im Weg herum. Wir steuern das Dorf Manandona an, wo wir in einem einfachen Gemeindehaus übernachten wollen. Es soll ein Abend ohne Komfort und ohne fließendes Wasser werden, doch er wird als einer der Höhepunkte der Reise gepriesen. Tatsächlich überzeugen zunächst einmal die unzähligen Motive vor herrlicher Reisfeld-Landschaft. Vor allem, weil sich die Kinder hier noch mit viel Freude und ohne eine Gegenleistung zu erwarten, fotografieren lassen. Teilweise betteln sie regelrecht darum, geknipst zu werden und strahlen um die Wette, wenn sie das Foto dann im Display der Kamera sehen dürfen. Da an diesem Tag gerade eine Prozession rund um Manandona stattfindet, ist hier jede Menge Leben und Markttreiben geboten. Sogar ein Fotostudio madagassischer Art wurde aufgebaut und die Touristen mit der teuren Ausrüstung werden gleich als Fotografen angeheuert. Hier hat man das Gefühl, Madagaskar in seiner Ursprünglichkeit zu begegnen.
Schulbesuch in Manandona
Wir besuchen eine fünfte Klasse in einem der Dörfer und werden damit zum Magneten für die Schulkinder. So viele neugierige Kinder, die sich nicht nur in Scharen hinter die Schulbänke drängen, sondern auch von außen durch die Fenster miterleben wollen, was nun passiert, kann sich die Lehrerin selten begrüßen. 56 Schüler im Inneren des Klassenraumes (wobei der eine Klassenraum offenbar die komplette Schule darstellt) begrüßen uns lautstark. Sie sind zwischen neun und 13 Jahre alt, denn es gibt kein festes Alter für die Einschulung. Diese hängt davon ab, inwieweit die Kinder ihren Eltern helfen müssen und wie viele Geschwister schon vor ihnen auf der Schule waren bzw. zuhause betreut werden wollen. Das Klassenzimmer ist mit viel Kreide ausgestattet. Bis zu vier Schüler quetschen sich auf eine Bank, die für zwei Kinder ausgelegt ist. Sie singen die Nationalhymne für uns und stehen auf, wenn sie antworten. Wo Deutschland liegt, wissen sie nicht, sondern raten sich durch die Kontinente. Jeder Schüler bekommt zum Abschluss von unserer Reisegruppe ein Heft und Stifte überreicht. In Madagaskar ist es häufig so, dass sich mehrere Kinder einen abgenutzten Stift bis zu dessen Unbrauchbarkeit teilen. Auf den Heften, die wir im Supermarkt gekauft haben, sind überwiegend ehemalige Fußballer wie Michael Ballack auf dem Cover, die Hefte liegen also wohl recht lange im Supermarktregal.
Vor der Schule spielt der Nachwuchs Fußball. Der Ball besteht aus Plastiktüten, die mit einer Schnur in eine runde Form gebunden werden. Wir besuchen noch eine Seidenspinnerei, in der Raupen gezüchtet werden, aus deren Seide vor allem Schals gewebt werden. Nun aber ab ins Gemeindehaus Bakobako, das eine Anhöhe hinauf, auf der anderen Seite des Prozessionszentrums, liegt. Es stehen ein Trittstufenklo und eine einfache „westliche“ Toilette zur Verfügung. Gespült wird, indem man Wasser aus einem Eimer in die Schüssel bzw. ins Loch kippt. Hände waschen erfolgt ebenfalls aus Eimern, dazu steht eine Schöpfkelle bereit. Wer nachts raus muss, findet keine Seife mehr. Tatsächlich steht für jede Teilnehmerfamilie ein eigenes Zimmer zur Verfügung. Unseres riecht schimmlig. Aber dieser Komfortverzicht wird für eine Nacht ausgeblendet, denn die Atmosphäre und die Herzlichkeit der Menschen um den stets lächelnden Gastfamilienvater Jean-Gustave wiegt einiges auf.
Kinder tanzen ums Lagerfeuer
Im Speisesaal – eigentlich handelt es sich um einen eigenen Flachbau direkt gegenüber des Gemeindehauses – warten bereits Chips, Erdnüsse und Getränke, darunter Rum, zur Begrüßung auf uns. Kaum ist es dunkel, versammeln wir uns um die Feuerstelle vor dem Haus. Musikanten spielen lokale Klänge, dazu tanzen Kinder ums Feuer. Als beim Refrain eines Liedes rückwärts getanzt wird, hat ein kleines Mädchen motorische Schwierigkeiten, gerät mehrmals aus der Bahn. Als der Refrain das zweite Mal erklingt, verleiht ein größeres Mädchen der Kleinen Halt und die tanzen den Rückwärts-Teil gemeinsam. Wir steigen später ein, nachdem vor allem Faniri mit Spaß an der Sache involviert ist. Kaum sind wir richtig in Stimmung gekommen und trauen uns, ist die Tanzstunde leider schon vorbei.
Bonbons und Luftballons für die rund 40 Kinder geben wir einzeln aus und ernten jedes Mal ein artiges „Merci beaucoup“ („Vielen Dank“), wenn wir ein Präsent in eine geöffnete Hand legen. Nach 20 Uhr steht dann noch ein üppiges Abendmahl an. Unter anderem erkennen wir auf unseren Tellern die Würste wieder, die wir bei einigen Verkäufern lange in der Sonne hängen gesehen haben. Doch insgesamt schmeckt es hier nicht nur, sondern zur Abwechslung werden auch starke Esser mühelos satt.
Tag 6: Noch toller als fotografiert zu werden ist für Kinder auf dem Land, gefilmt zu werden. Damit lösen Touristen wahre Freudenarien aus und bekommen nebenbei noch herrlich Szenen natürlicher Fröhlichkeit auf die Speicherkarte. Hier ist das Winken und Lächeln der Kleinen, wenn wir im Bus vorbeifahren, noch unschuldig und echt. Auf dem Weg nach Ambositra fahren wir an einer eingestürzten Brücke vorbei über den Neubau. Kaufe einen Brieföffner aus Rosenholz in Ambositra. Doch wehe, man steigt mitten im Zentrum aus dem Fahrzeug! Einmal Kaufinteresse an einem Seidenschal bekundet, scharen sich die Verkäuferinnen um Esther aus unserer Reisegruppe.
Verkehrsunfall? Zimbo sa!
Eigentlich wollen wir unterwegs noch einen Baum in einer Baumschule zur Wiederaufforstung des Primärwaldes pflanzen. Dieser Programmpunkt muss allerdings aufgrund eines Verkehrsunfalls entfallen. Ein weiteres Paradebeispiel für das Zusammenspiel von Warndreiecken und Lastwagen. Irgendwo war ein LKW in eine Grube gefahren, weswegen die komplette Straße blockiert ist. Die Ausweichstrecke ist zu schmal für unseren Hyundai County. Doch es bleibt nicht bei einem liegengebliebenen Fahrzeug – weitere Vehikel zeigen sich ebenfalls reif für eine Reparatur. Wusste unsere Gastfamilie vom Gemeindehaus in Mandona etwa über den Unfall Bescheid? Abschiedsworte wie „A bientôt“ („Bis bald“) und „A la prochaîne“ („Bis nächstes Mal“) lassen dies vermuten. Spaß beiseite – die Unfallstelle war selbst nach Bergung des verunglückten LKW blockiert, weil einerseits das Erdreich platt gemacht werden musste, damit nicht gleich wieder etwas passiert und weil andererseits ein Fahrer sein Fahrzeug mitten im Weg abgestellt hatte und verschwunden war. Es kursierte die Vermutung, dass dies Absicht war, damit das abschüssige Gelände nicht weiter in Mitleidenschaft gezogen wurde und Schlimmeres passierte, bevor der anrückende Bagger für festen Untergrund gesorgt hatte.
Wir machen das Beste aus dem ungewollten Zwischenhalt, indem wir uns die Beine vertreten, unseren Proviant verzehren und fröhlich das einzige madagassische Volkslied singen, von dem wir den Refrain-Text samt Übersetzung kennen: „Zimbo sa“ („Ich war's nicht“). Bei einem Aussichtspunkt 1:15 Stunden vor unserem Etappenziel Ranomafana sammeln und positionieren sich die Kinder in Rekordgeschwindigkeit für ein Foto. Außerdem betätigen sie sich als Marktschreier für günstige Bananen, lassen Drachen steigen und Mädchen flechten sich die Haare. Oder die Kinder lungern am Straßenrand herum. Wir schreiben Samstag, den 18. Juli 2015. Soeben haben auf Madagaskar die Winterferien begonnen.
Weitere Reiselektüre:
Hier geht es zu den einzelnen Kapiteln meines chronologischen Madagaskar-Reiseberichts:
1/8: Antananarivo & Kinderspielzeug
2/8: Chamäleons & Lemuren
3/8: Lehmziegel & Reisfelder gehören zusammen
4/8: Bonbons, Edelsteine und Kunst aus Zebuhorn in Antsirabe
6/8: Regenwald, Rum, Kattas & Vanille
7/8: Strandurlaub und quirlige Kinder auf Anakao
8/8: Ambohimanga und letzte Eindrücke von Madagaskar
Weitere Reiseberichte aus Afrika:
Botswana: Okavango-Reise
Namibia: Rundreise aus Sicht einer Leopardin (Übersicht der 14 Kapitel)
Tansania: Auf Safari in der Serengeti
Bürgerreporter:in:Michael S. aus Neusäß |
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