Das Märchen von der Varusschlacht - Teil 2 (Latein ist nicht Latein)
Es war einmal eine Schlacht, die fast 1500 Jahre vergessen war. Im Jahre 1455 fand man in der Abtei Hersfeld einige Schriften des Publius Cornelius Tacitus. Eine davon war die heute so genannte "Germania". Jetzt erfuhr man zum ersten Mal von dieser unbekannten Schlacht, deren Ort bis heute nicht eindeutig lokalisiert werden konnte.
1515 wurden dann im Kloster Murbach im Elsass die Aufzeichnungen des Velleius Paterculus gefunden. Beide Geschichten, verklärt mit einer gehörigen Portion Romantik und Germanentum, begründeten den Ruhm des Arminius und und schufen die Legende von der Varusschlacht.
Seit dieser Zeit wird der Ort dieser Schlacht gesucht, ohne einen eindeutigen Nachweis dafür zu erhalten. Es gibt da nämlich ein Problem.
Während in den meisten Übersetzungen von einer dreitägigen Verlaufsschlacht gesprochen wird, berichtet der einzige Zeitzeuge Florus, dass Varus in einem Lager von der Germanen überfallen wurde.
Mit der Zeit wurden es immer mehr Orte, an denen der Untergang der drei Varuslegionen geschehen sein sollte. Von allen Schlachtorten, die von den Niederlanden bis nach Bad Dürrenberg an die Saale "gefunden" wurden, ist Mommsens Theorie der Varusschlacht bei Kalkriese offensichtlich ein Schlachtfeld, wobei die zu verfolgende Münzspur deutlich zeigt, dass hier keine Legionen untergegangen sind, sondern entkommen konnten.
Es wäre endlich an der Zeit, mit einigen Irrtümern in diesem Zusammenhang aufzuräumen.
Erster Irrtum: Der "saltus"?
Schaut man in ein Wörterbuch, wie es heute noch in den Schulen verwendet wird, findet man immer noch unter "saltus": - saltus = Schlucht, Waldschlucht, Pass, Waldgebirge oder Sprung
Dabei hätten es all die studierten Herren längst besser wissen müssen, denn bereits 1848/52 wurde in Berlin unter dem Titel: "Gromatici veteres, Die Schriften der römischen Feldmesser" vom F. Blume, K. Lachmann und A. Rudorff ein Buch veröffentlicht, das sich auf die Schriften der römischen Feldmesser aus dem 1. Jahrhundert v.u.Z. bis zum 3. Jahrhundert u.Z. bezieht.
Behandelt das zweibändige Werk zwar hauptsächlich die Probleme bei der Vermessung, so hätte schon damals auffallen müssen, dass in der römischen Kaiserzeit als saltus ein von den Feldmessern vermessenes und parzelliertes Gebiet bezeichnet wurde.
Im römischen Reich wurden ursprünglich Vermessungen von Priestern bei der Festlegung von Tempelanlagen vorgenommen. Die römische Armee nutzte später das Wissen zum Abstecken von Truppenlagern und beim Bau von Kastellen. In der Kaiserzeit wurden die Aufgaben der Agrimensoren (Feldmesser) vielfältiger, galt es Straßen und Brücken zu bauen, Viadukte zur Versorgung der Städte mit Wasser zu errichten und neues Land zur künftigen Bewirtschaftung zu erschließen.
Zurück zum "saltus".
Erobertes Land war im Römischen Reich zunächst Staatsland. Es wurde vermessen und konnte dann gegen einen Pachtzins von Privatleuten bewirtschaftet werden. In einem solchen Saltus muss Varus die Falle gestellt worden sein. Es kam zu einer Schlacht, die drei Tage dauerte und mit der vollständigen Niederlage der Römer endete. Somit hätte Florus recht gehabt.
Die Ursache für diese falsche Erklärung einer Schlacht im Waldgebirge ist darin zu suchen, dass man mit einem Latein des Mittelalters die Schriften der Römer übersetzt hat und dies heute noch macht. Hinweise darauf, dass die Übersetzungen nicht richtig sind, liefern die Übersetzer dabei selbst.
Hier ein Beispiel:
Varus ist nach der Überlieferung auf dem Marsch im Gebirge vernichtet worden. Dann wird aber bei Tacitus in dessen "Annalen" berichtet, dass Germanicus im Jahre 15 n. Chr. auf den Feldzug gegen die Brukterer das Schlachtfeld besuchte. Dort lagen die Gerippe der Gefallenen, die er einsammeln und bestatten ließ.
Der Widerspruch besteht darin, dass auf der einen Seite eine Schlacht geschildert wird, die sich über mehrere Tage und über eine größere Entfernung hinzog, auf der anderen Seite liegen die Skelette auf einem örtlich begrenzten Schlachtfeld. Diesen Widerspruch hätte man durchaus erkennen können.
Die entscheidende Textpassage aus Tacitus, Annalen 60 (1) lautet: "...Teutoburgiensi saltu, in quo reliquiae Vari legioumque insepultae dicebantur". Die bisherige Übersetzung lautet: "Teutoburger Wald, in dem die Überreste des Varus und seiner Legionen unbegraben liegen".
Unter der Berücksichtigung der neuen Erkenntnisse könnte die gleiche Stelle heißen: "Im Saltus (nahe bei den) Burcterern (heute Brukterer), in dem die Überreste des Varus und seiner Legionen unbegraben liegen".
Eine Ungewissheit bleibt der Ausdruck "teuto", der übersetzt "nahe bei den" , "in der Nähe" oder auch "der germanischen" heißen könnte. Oder ist es gar ein Fehler beim Abschreiben im Mittelalter?
Einen Vorzugsort für die Schlacht habe ich nicht. Dieser interessiert mich auch nicht. Mein Interesse besteht darin, die Abläufe und Auswirkungen dieser Handlungen zu verstehen.
Das Märchen geht weiter.
Quellen:
- www.geomatik.ch
- www.krefeld.de › ... › Geschichte des Vermessungswesen
- www.bernsteinwege .de
- Moritz Cantor, Die Römischen Agrimensoren und Ihre Stellung in der Geschichte der Feldmesskunst, Leipzig 1875
- F. Blume, K. Lachmann und A. Rudorff, "Gromatici veteres, Die Schriften der römischen Feldmesser" , Berlin 1848/52
Bürgerreporter:in:Jürgen Schindler aus Dessau |
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