6 weitere Stolpersteine in Gersthofen, Hirblingen und Batzenhofen erinnern an Opfer der Nationalsozialistischen Terrorherrschaft

Johann Sturm, mehrfach im Nationalsozialismus inhaftiert. Von den US-Amerikanern eingesetzter Bürgermeister. Beliebtester Politiker in Gersthofen nach dem II. Weltkrieg | Foto: Archiv Bertold Peter
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  • Johann Sturm, mehrfach im Nationalsozialismus inhaftiert. Von den US-Amerikanern eingesetzter Bürgermeister. Beliebtester Politiker in Gersthofen nach dem II. Weltkrieg
  • Foto: Archiv Bertold Peter
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Die Stolpersteininitiative Gersthofen verlegte am Montag den 18. Juli ab 14.30 Uhr zum vierten Mal Stolpersteine in Gersthofen für Opfer des Nationalsozialismus, dieses Mal für Johann Baptist Sturm (Politischer Verfolgter) in der Friedrich Eberstr. 1, um 15.15. für Viktoria Pfundmeier (zwangssterilisiert) in der Schillerstraße 7 und für Franz Xaver Sterr (Politischer Widerstand, KPD) in der Augsburgerstraße 60 um 15.45 Uhr. Am folgenden Tag wurden 3 weitere Steine in Hirblingen und Batzenhofen verlegt.

Über die Biografie von Johann Baptist Sturm hatten wir bereits berichtet. 

Viktoria Pfundmeier:

Viktoria Pfundmeier, geb. am 18.10.1905 in Augsburg, verst. 10.4.1966 in Höchstädt, zwangssterilisiert (Verlegeort: Sommerstr.7)

Viktoria Pfundmeier ist die Tochter von Ludwig und seiner Ehefrau Viktoria Pfundmeier, geb. Bauer. Sie hat 12 Geschwister, von denen einige das Kindesalter nicht überleben. Sie ist von Geburt an körperlich und geistig beeinträchtigt, sie leidet unter Drüsenstörungen. Einen Beruf kann Viktoria aus diesem Grund nicht ausüben.
Der Bezirksarzt meldet sie beim Gesundheitsamt Augsburg, das beim Erbgesundheitsgericht Augsburg den Antrag auf Zwangssterilisation der nunmehr 32-jährigen Viktoria Pfundmeier stellt.
Seit dem 1.1.1934 ist das „Gesetz der Nazis zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in Kraft, das diese bereits am 14. Juli 1933 verabschiedet haben. Nach dem Gesetz können folgende Personen zwangssterilisiert werden: Personen mit „angeborenem Schwachsinn, Schizophrenie, zirkulärem Irresein, erblichem Veitstanz, erblicher Blindheit, erblicher Taubheit, schwerer erblicher körperlicher Mißbildung“ und Personen, die unter „schwerem Alkoholismus“ leiden.

Demaskierend ist die offizielle Begründung dieses Gesetzes: „Der fortschreitende Verlust wertvoller Erbmasse muss eine schwere Entartung aller Kulturvölker zur Folge haben. Von weiten Kreisen wird heute die Forderung gestellt, durch Erlass eines Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses das biologisch minderwertige Erbgut auszuschalten. So soll die Unfruchtbarmachung eine allmähliche Reinigung des Volkskörpers und die Ausmerzung von krankhaften Erbanlagen bewirken.“

Die wahnhaften rassistischen Vorstellungen bilden demzufolge die Grundlage für die Zwangssterilisation von bis zu 400.000 Menschen im sogenannten III. Reich. Betroffen sind vor allem Fürsorgeempfänger, Langzeitarbeitslose, Alkoholiker, „Asoziale“, Geisteskranke, körperlich Beeinträchtigte und andere Menschen, die nicht den sozialdarwinisti-schen Wahnvorstellungen der Nazis entsprechen.

Gemäß dieser Sachlage wird Viktoria gemeinsam mit ihrer Mutter am 12.Oktober 1937 vor das Erbgesundheitsgericht Augsburg geladen. Das Gericht hält sich an das Gutachten des Gesundheitsamtes Augsburg und trifft die Entscheidung, Viktoria Pfundmeier unfruchtbar zu machen.
Die Justiz im NS-Staat ist erbarmungslos. Viktoria Pfundmeier wird im Städtischen Krankenhaus Augsburg am 19. Januar 1938 zwangssterilisiert. Erst nach 12 Tagen wird sie am 1. Februar 1938 aus dem Krankenhaus entlassen. 1961 wird Viktoria aus Gersthofen abgemeldet und im Caritasaltersheim im Höchstädter Schloss untergebracht. Viktoria Pfundmeier verstirbt dort am 10. April 1966. Die Todesursache ist nicht bekannt. Zum Zeitpunkt ihres Todes war sie 61 Jahre alt.

Ganz ähnlich erging es Johann Stegmüller aus Hirblingen und einer weiteren Frau aus Hirblingen, die ebenfalls zwangssterilisiert wurden. Für beide Personen haben wir am 19.Juli Stolpersteine verlegt.

Franz Xaver Sterr, geb. 16.6.1906 in Obervilslern, verst. am 25.Juli 1983 in Augsburg (Verlegeort : Augsburgerstr. 120), kommunistischer Widerstand

Franz Xaver Sterr stammt aus einer 11-köpfigen Familie und kommt im Alter von 19 Jahren 1925 als Soldat nach Augsburg. 1928 zieht er mit seiner Ehefrau Therese nach Gersthofen in die Augsburgerstr. 60 (heutige Augsburgerstr. 120 d), wo er bis 1935 wohnhaft ist. Er hat zwei Kinder. In Gersthofen schließt er sich in der Weltwirtschaftskrise der KPD an. Als Zimmermann kommt er in Kontakt mit den Gersthofer Zimmerleuten Georg Kottmair und Herrmann Jensch, die ebenfalls in der KPD engagiert sind.

Franz Xaver wird Gewerkschaftssekretär. Alle drei Personen kämpfen bereits in der Endphase der Weimarer Republik gegen die rassistischen und sozialdarwinistischen Ideen des Nationalsozialismus, verteilen Flugblätter und schreiben nach der Machtergreifung der Nazis Parolen in die Bahnunterführung und an Wände. Bald geraten sie ins Visier der Nationalsozialisten.
Anfang März 1933 wird Franz Xaver in Schutzhaft genommen. Er kommt von Gersthofen ins Eichstätter Landgerichtsgefängnis, wohl wegen Überfüllung des Augsburger „Katzenstadels“. Von dort wird Franz Xaver gemeinsam mit den Gablinger Kommunisten Johann Buck, Kaspar Mayer, Georg Weißhaar und Anton Huber am 5. Mai 1933 ins Konzentrationslager Dachau verbracht.
Im Dezember 1933 wird er mit der Warnung entlassen, nichts über die Verhältnisse im Konzentrationslager zu erzählen. Zweimal wöchentlich muss er sich bei der örtlichen Polizeistation melden.
Zu Beginn des II. Weltkrieges wird Franz Xaver Sterr zur Wehrmacht einberufen und im Juli 1944 im Kessel von Minsk in Weißrußland gefangen genommen. Bis Ende August 1947 verbleibt er in russischer Kriegsgefangenschaft. Sein Leben lang bleibt er vom Terror im KZ traumatisiert. 1983 verstirbt Franz Xaver Sterr in Augsburg.

Stolpersteinverlegung am Dienstag den 19. Juli ab 10.00 Uhr in Hirblingen und Batzenhofen.

Johann Stegmüller, geb. am 23.Oktober 1910, verstorben am 28.8.1951, von den Nationalsozialisten zwangssterilisiert (Verlegeort Hirblingen, Wertingerstr. 6) 

Johann Stegmüller ist der Sohn des Gablinger Zimmermanns Anton und seiner Ehefrau Josefa Stegmüller, geb. Schweighofer. Er hat 6 ältere und zwei jüngere Geschwister. 1907 zieht die Familie von Kriegshaber nach Augsburg, 1919 dann in das Haus der Eltern seiner Mutter in Hirblingen. Der Vater arbeitet bei der Familie F.B. Silbermann als Zimmermann. Johann wird seit dem 6. Lebensjahr von epileptischen Anfällen geplagt. Seine Erkrankung wird aber erst während der Zeit des Nationalsozialismus aktenkundig. Johann kann wegen seiner Erkrankung keinen Beruf ausüben.

Die Nationalsozialisten setzten ab dem 14. Juli 1933 mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ die Idee der eugenischen Säuberung der Bevölkerung von vermeintlich „minderwertigem Erbgut“ in die praktische Politik um.
Im Falle von Johann Stegmüller zeigte der Bezirksarzt Johanns epileptische Beeinträchtigung beim Gesundheitsamt an, das den Fall ans Erbgesundheitsgericht weiterleitete.

Im Oktober 1934 kommt das Erbgesundheitsgericht Augsburg zum einstimmigen Entschluss, Johann Stegmüller unfruchtbar zu machen, denn es sei mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass „etwaige Nachkommen des Stegmüller an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden“.
Heute weiß man, dass die Forschung zum damaligen Zeitpunkt die Frage nach der Erblichkeit nicht definitiv beantworten konnte, stand doch eine erbliche Diagnostik damals noch nicht zur Verfügung.

Die Familie Stegmüller legte Beschwerde gegen das Urteil ein, weshalb der Fall Johann Stegmüller beim Erbgesundheitsobergericht im Januar 1935 nochmals verhandelt wurde. Das Gericht wies die Beschwerde der Familie Stegmüller als unbegründet zurück. Ernst Rüdin, einer der Beisitzer war einer der hauptverantwortlichen Forscher und Täter, die zu den NS-Sterilisierungs- und Tötungsaktionen maßgeblich beitrugen.

Die Entscheidung des Gerichtes griff massiv in die Lebensperspektive Johann Stegmüllers ein, er wurde am 6. Juni 1935 im Städtischen Krankenhaus Augsburg zwangssterilisiert und wenige Tage später als „geheilt“ entlassen.

Wie Johann und seine Familie mit seiner Stigmatisierung und Erniedrigung umgegangen sind, wissen wir nicht. Er verstirbt am 28. August 1951 in Hirblingen. Das Grab der Familie Stegmüller in Hirblingen ist seit 1987 aufgelöst.

Josef Heim, geb. am 30. Juli 1908, Opfer der Aktion T 4 im Nationalsozialismus, ermordet und vergast in der Tötungsanstalt Grafeneck am 26.8.1940 ( Verlegeort: Schmutterstr. 6 in Batzenhofen) 

Josef Heim ist der Sohn des Söldners Josef und der Meitinger Dienstmagd Maria Heim, geb. Mayer. Maria bringt eine Tochter Anna (geb. 1900) mit in die Ehe. Josef hat eine ältere Schwester Lena (geb. 1905) und eine jüngere Schwester Maria (geb.1911), die zwei Tage nach der Geburt verstirbt. Es ist überaus tragisch, dass auch die Mutter 10 Tage nach der Geburt ihrer Tochter verstirbt. Der Witwer Josef Heim heiratet daraufhin die aus Horgauergreuth stammende Maria Steinbacher, welche die verbleibenden Kinder Anna, Lena und Josef aufzieht. Zwei weitere Kinder gehen aus dieser Ehe hervor, Pius (geb. 1912) und Maria (geb. 1915). Der Vater verstirbt 1916 an der Front.

Josef Heim arbeitet als Dienstknecht und bietet seine Arbeitskraft in verschiedenen Ortschaften an. 3-4 Mal im Jahr, so erinnert sich die heute 95-jährige Nichte Maria Mauerer, kam Josef zu Besuch bei seiner Halbschwester Anna. Er sei „geistig nicht ganz auf der Höhe“ gewesen. Unter den Kindern von Anna war Josef überaus beliebt. Er war von hagerer Gestalt, hatte eine feste Stimme und glattes dunkles Haar, insgesamt eine stattliche Erscheinung. Er war ca. 1, 70 m groß.

Im Anschluss an seine Besuche in Gablingen besucht Josef auch regelmäßig seine Halbgeschwister aus der zweiten Ehe seines Vaters in Batzenhofen, Pius und Maria.
Am 13. Juni 1935 wird Josef im Alter von 27 Jahren in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren vom Arbeitshaus Straubing kommend eingewiesen. Zu dieser Zeit hat er keinen festen Wohnsitz mehr, die Eltern sind verstorben.

Zu den Gründen seiner Polizeilichen Sicherungsverwahrung in Kaufbeuren können wir nur Vermutungen anstellen. Wahrscheinlich wird Josef Heim als Wanderarbeiter mehrfach aufgegriffen, verhaftet und auf diese Weise kriminalisiert und ins Arbeitshaus nach Straubing eingeliefert. Nach verbüßter „Straftat“ wird Josef Heim sodann zur Sicherungsverwahrung in die Heil-und Pflegeanstalt Kaufbeuren eingewiesen, ohne dass uns ersichtlich ist, welches delinquente oder deviante Verhalten er sich in den Augen der Nazis schuldig gemacht haben soll. Ebenso wenig ist klar, ob bei Josef Heim überhaupt eine ernsthafte psychotische Erkrankung vorgelegen hat.

In Irsee wird Josef Heim Opfer der Aktion T-4. Zum Programm der Aktion T-4 gehörte es von Anfang an auch, die sicherungsverwahrten Personen zu ermorden. Josef Heim fiel in die Kategorie der „kriminellen Geisteskranken“. Am 26. August 1940 wird Josef Heim mit weiteren 74 Personen aus Kaufbeuren und Irsee zur Ermordung in die Tötungsanstalt Grafeneck mit den Grauen Bussen überführt.

Auf dem Meldebogen der Stadt Gersthofen ist als sein Sterbedatum der 5.September 1940 vermerkt. Aber selbst dieses Datum ist fingiert. In den sechs von den Nazis ab 1939 eingerichteten Tötungsanstalten obliegt es den dort eigens installierten Standesämter, die Todesursache und das Sterbedatum der Ermordeten zu fingieren, um angesichts der stattfindenden Massenmorde die tatsächlichen Todesumstände zu verschleiern.

Ausführliche Opferbiografien finden sich unter www.stolpersteine-gersthofen.de und www.gedenkbuch-augsburg.de, die der Historiker Dr. Bernhard Lehmann verfasst hat.

Die Verlegungen wurden musikalisch begleitet von dem großartigen Klarinettenquartett des Jugendorchesters Gersthofen mit Celina Schmid, Sina Einmüller, Johanna Wittmann und Korbinian Hochmuth unter der Leitung von Sandra Hochmuth und den Teilnehmern des W-Seminars von StD Heinz Auernhamer vom PKG, welche die Verlesungen der Biografien übernahmen und in Kürze selber Opferbiografien veröffentlichen werden. 

Die Stolpersteininitiative bedankt sich sehr herzlich bei allen Beteiligten und den Angehörigen, die eine würdige Feier gewährleisteten. Ein besonderer Dank geht an Beate Fiebig und Reinhold Mayr, welche die Patenschaft von vier Stolpersteinen übernahmen und diese auch finanzierten. Welch eine Generosität und Empathie, die hierin deutlich wird! Dank auch an die SPD Ortsverband Gersthofen, welcher die Patenschaft für den Stein von Johann Baptist Sturm übernommen hat. 

Bürgerreporter:in:

Dr. Bernhard Lehmann aus Gersthofen

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