Mich berühren die Schicksale von Menschen
Es gibt gibt nicht viele Personen, die Gersthofen ins nationale oder sogar ins internationale Blickfeld gerückt haben. Noch in guter Erinnerung ist die im Jahr 1999 erfolgte Dividenden-Auszahlung unter Bürgermeister Siegfried Deffner. Die Stadt hatte gut gewirtschaftet und jeder Bürger bekam aus „seinen“ Steuergeldern wieder 100 DM zurück, Eine Aktion, die großes Aufsehen erregte. Ähnlich großes Auf-und Ansehen erreichte ein Gersthofer Bürger mit einer Initiative, die auf erfolgtes Unrecht im 2. Weltkrieg aufmerksam machte. Es passierte in Gersthofen und Umgebung. Die Rede ist von Zwangsarbeitern, die im letzten Krieg aus mehreren Nationen wie z. B. Italien und Ukraine nach Gersthofen deportiert wurden. Der Mann, der auf ihre Leidensgeschichte aufmerksam machte, ist Dr. Bernhard Lehmann – über den wir in dieser Ausgabe berichten wollen.
Gleich vorweg: wir wollen nicht das von Dr. Lehmann initiierte -und von seinen Schülern mitgetragene- Zwangsarbeiterprojekt aufrollen und in allen Einzelheiten unseren Lesern vorstellen. Das Projekt fand und findet große Medienbeachtung weit über die Grenzen hinaus und unsere Leserschaft dürfte hinreichend informiert sein. Wir wollen vielmehr Studiendirektor Dr. Bernhard Lehmann in den Mittelpunkt unseres Berichtes stellen.
Studienrat Dr. Lehmann kam 1979 nach Gersthofen. Das Kultusministerium wies ihm eine Stelle beim Paul-Klee-Gymnasium (PKG) zu. Sein erster Eindruck von der Lechstadt war nicht gut. „Ich fand das Ortsbild wenig anziehend und der Schwerlastverkehr war enorm“, erinnert er sich. Inzwischen hat er sich arrangiert und lebt gerne in Gersthofen. Aus dem Studienrat wurde ein Studiendirektor, der 59-jährig mit Ehefrau Gertrud und Sohn Maximilian ein Haus in der Haydnstraße bewohnt. Sohn Christopher ist bereits außer Haus. Lehmann unterrichtet in den Fächern Geschichte, Englisch und Latein, was ihm einen „Riesenspaß“ macht.
Ein Rückblick. Im Jahr 2000 besuchte die ehemalige Widerstandskämpferin Anna Pröll das PKG. Sie schilderte den Schülern den Widerstand, den sie samt Familie gegenüber dem Nationalsozialismus leistete. Das erschütternde Schicksal der Familie Pröll sollte im Internet veröffentlicht werden, um es der Öffentlichkeit -und hier besonders der Jugend- zugänglich zu machen. Weitere Recherchen brachten Lehmann und seine Schüler auf eine Spur, die nach Gersthofen verwies. Der Schwager von Anna Pröll verübte im Lager Dora Selbstmord, um nicht Mithäftlinge zu denunzieren. Und im Lager Dora wurden die V2-Raketen gebaut, deren Treibstoff mit Hilfe von Zwangsarbeitern in Gersthofen hergestellt wurde. Aus dem historischen Projekt wurde ein humanitäres. Es wurde unter dem Aspekt „Zwangsarbeiter“ weiter verfolgt und gewann eine Dimension, die weit über Gersthofens Grenzen hinaus für Aufsehen sorgte. Grund war u. a. die Weigerung der Stadt, ihre Archive mit Infos über das Schicksal der in Gersthofen eingesetzten Zwangsarbeitern zu öffnen. Der Streit um den Zugriff auf die Archive wurde schließlich vom Verwaltungsgericht Augsburg zugunsten Lehmanns und seiner Schüler beendet. .
Er hätte die damalige Zeit, die ihm gesundheitlich viel abverlangte, nicht ohne der Unterstützung seiner Familie bewältigen können. „Besonders meine Frau hielt mir den Rücken frei und kümmerte sich um die Logistik der vielen Reisen und Besuche, die im Zusammenhang mit dem Zwangsarbeiterprojekt anfielen“, erklärt der Studiendirektor dankbar, der keinen Führerschein besitzt. Warum hat er sich das alles angetan? „Mich berühren die Schicksale von Menschen. Ich will sie aus der anonymen Masse herausholen und ihnen ein Gesicht geben“, ist die Antwort, ohne Pathos. Dankbar erwähnt er die Unterstützung namhafter Künstler wie z. B. Dieter Hildebrandt, Reinhard Mey, Erwin Pelzig, Senta Berger, Gerhard Polt, aber auch Politiker wie Dr. Hildegard Hamm-Brücher oder Landrat Dr. Karl Vogele. Sie sorgten für das überörtliche Interesse, das für das Projekt enorm wichtig war.
Es blieb nur wenig Zeit, eigenen Interessen nachzugehen. Dazu gehört Wandern mit der Familie, aber auch das Lesen anspruchsvoller Krimis von Henning Mankell oder John Grisham. „Und dann spiele ich noch gerne Schach“, erzählt Lehmann. Ein Spiel, das viel Taktik und Konzentration erfordert. Eigenschaften, die im Clinch mit Behörden nötig sind. Und noch eine Zugabe: Lehmann stammt aus Kaufbeuren, ein echter Allgäuer „Dickschädel“ also, der nicht so leicht aufgibt. Dazu passt gut, dass er früher Eishockey-Spieler war und jetzt noch Fan des ESV-Kaufbeuren ist. Der „rauhe“ Pädagoge zeigt aber auch Gefühle: „Als ich in der Ukraine der ehemaligen Zwangsarbeiterin Frau Kropatsch eine symbolische Wiedergutmachung in Höhe von 750 Euro übergab und sie in Tränen ausbrach, stieg mir auch Wasser in die Augen.“ Noch etwas über Gourmet Lehmann: Er ist der fernöstlichen Küche zugetan und bereitet gerne mehrgängige chinesische oder japanische Gerichte für Familie und Gäste zu. Hat so ein Mann auch Schwächen? Ja, Geduld ist nicht seine Stärke – nach eigenem Bekunden. Gefragt nach einem Lebensmotto muss Lateiner Lehmann nicht lange überlegen: "Numquam vivit, qui nemini prodest". Soll heißen: „ Derjenige hat nicht gelebt, der keinem nützt“. Eine Aussage, die zum Nachdenken anregt. Daraus ergibt sich fast von alleine die letzte Frage: Hegt der Initiator des Zwangsarbeiterprojektes, noch Groll gegen irgendwelche Personen? „Nein“, lautet die entschiedene Antwort. Im gleichen Atemzug, fast entschuldigend: „Aber mir missfällt die Tendenz, unangenehme Wahrheiten zu verharmlosen oder gar tot zu schweigen.“
Eine Tendenz, die leider in allen Gesellschaftsschichten zu beobachten ist. Vielleicht hilft unser Bericht, mehr Zivilcourage zu zeigen. Es gibt viele Möglichkeiten; leider....
Bürgerreporter:in:Gerhard Fritsch aus Gersthofen |
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