FIFA Mafia rezensiert - Thomas Kistner ist der Spur des Geldes gefolgt
In „FIFA Mafia“ prangert Sportjournalist Thomas Kistner die desaströsen Zustände in der weltgrößten Fußballfamilie an. Dabei zeigt er dem Leser nicht nur merkwürdige Ungereimtheiten und fragwürdige Zufälle auf, sondern beschäftigt sich auch mit Urteilen gegen die FIFA, deren Verschleierungstaktiken, obskuren TV-Rechtevergaben und dubiosen Sportfunktionären mit finanziellem Eigeninteresse. Die Rezension eines Bestsellers aus dem Droemer Verlag.
Thomas Kistner war 2006 Sportjournalist des Jahres und beschäftigt sich als Redakteur der Süddeutschen Zeitung mit Sportpolitik. In „FIFA Mafia“ mit dem aussagekräftigen Untertitel „Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball“ zeichnet er ein umfassend-negatives Bild des großen Verbandes. Viele seiner Behauptungen sind Ergebnis tiefgründiger Recherchen. Trotz Indizien für Korruption ist aufgrund der Vertuschungspolitik der FIFA und dem laschen Eingreifen der Behörden wenig hieb- und stichfest. Kistner ist der Spur des Geldes gefolgt, hat Briefwechsel sowie Akten durchwühlt, sich in namhaften deutschen und internationalen Zeitungen, im Internet und in Fachliteratur schlau gemacht und die ganze schmutzige Wäsche der FIFA in seinem mehr als 400 Seiten dicken Anklagewerk zusammengetragen.
Reihenweise korrupte Funktionäre im Fokus
Insbesondere auf FIFA-Präsident Sepp Blatter, dessen Machenschaften und Vetterwirtschaft hat Kistner sich eingeschossen. Im Kapitel „Eine schrecklich nette Familie“ fasst er in Kurzform zusammen, was er in seinem Buch an unterschiedlichen Stellen schon erwähnt und teils ausführlicher erläutert hat. Dort, auf den Seiten 306 bis 313 finden sich viele der umtriebigsten Männer im Dunstkreis der FIFA samt ihrer Verfehlungen: Ricardo Teixeira (Vorstand des brasilianischen Verbands), Sandro Rosell (Präsident des FC Barcelona), Julio Grondona (Chef des argentinischen Verbands & Blatters Stellvertreter), Conmebol-Chef Nicolás Leoz (Paraguay), Blatters Stimmenbeschaffer und späterer Gegner Mohamed Bin Hammam (Katar), der einflussreiche Karibik-Funktionär Jack Warner (Trinidad & Tobago), der die TV-Rechte für seine Region jahrelang für eine symbolische Zahlung zugeschanzt bekam, Ex-Vorstandsmitglied Chung Mong-Joon (Südkorea), die hohen FIFA-Tiere Worawi Makudi (Thailand), Issa Hayatou (Kamerun), Hany Abo Rida (Ägypten), Marios Lefkaritis (Zypern), Ángel Maria Villar Llona (Spanien), Chuck Blazer (USA) und Blatters Protegé und UEFA-Präsident Michel Platini (Frankreich).
Hinzu kommen „Geldkofferträger“ bzw. Chefmanager der insolventen ISL Jean-Marie Weber und die nachweislich korrupten und daher aus dem FIFA-Vorstand suspendierten Ex-Mitglieder Amos Adamu (Nigeria) und Reynald Temarii (Tahiti). An anderen Stellen der Lektüre ebenfalls im Visier des Autors: Adidas-Firmenchef Horst Dassler, der ehemalige Buchprüfer und jetzige FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke, Ex-Fifa-Präsident Joao Havelange, Alimsan Tochtachunow (Chef der russischen Fußballstiftung) oder Ex-Geheimdienstler wie Interpol-Direktor Chris Eaton, die inzwischen für die FIFA arbeiten und einen Sicherheitsschirm um die Organisation aufbauen, anstatt sie zu inspizieren oder von mit der FIFA kooperierenden Institutionen wie der ICSS (International Center for Sport Security mit Sitz in Katar) bezahlt werden.
Kistner nimmt die Verquickungen zwischen FIFA und UEFA unter die Lupe, liefert Indizien-Belege für Vetternwirtschaft, Korruption, Geldverschwendung, Schmiergeldwege, Bestechung von Zeugen, Kauf von Ermittlern, die bizarre Struktur innerhalb der FIFA, Intransparenz und Lügenkonstrukte. Er beleuchtet die Rolle osteuropäischer Oligarchen sowie kriechender Politiker und rollt die Vergaben der EM 2012 sowie der Weltmeisterschaften 2002, 2006, 2010, 2018 und 2022 auf.
Sarkasmus, Wut und die Schwachstellen von „FIFA Mafia“
Kistners Werk ist kein reines Sachbuch, sondern durchaus unterfüttert mit der Meinung des Autors. Der Journalist hat sehr viele Informationen zusammengepackt und sehr viele Personen im Visier. Wo viel Material anfällt, fällt eine gute Sortierung nicht immer leicht. „FIFA Mafia“ ist leider etwas unübersichtlich aufbereitet. Teils werden dem Leser gleiche Informationen an unterschiedlichen Stellen geboten. Nicht immer ist nachvollziehbar, wer wann über wem stand und was konkret gemacht hat. Auch, wenn im Anhang unter anderem ein Verzeichnis mit wichtigen Personen mitgeliefert wird. Ein Organigramm, das die Schlüsselstellen der FIFA in unterschiedlichen Jahren zeigt, hätte „FIFA Mafia“ aufgewertet. Konkrete Unterthemen hinterher wiederfinden? Dazu sollte sich der Leser Notizen zu Kapitel oder Seitenzahl machen, sonst wird’s schwierig.
Manche Sätze sind gewöhnungsbedürftig lang und anscheinend nicht Korrektur gelesen. An zahlreichen Stellen kann sich Kistner, der sich in Rage über die FIFA schreibt, Sarkasmus nicht verkneifen. Beispiel gefällig? Auf Seite 397 geht es um die Budget-Erhöhung der russischen WM-Bewerbung. Kistner schreibt dazu: „Kräftig aufgestockt worden sein dürfte gerade die „Arbeit mit den Mitgliedern des FIFA-Exekutivkomitees“. Was damit wohl gemeint sein könnte? Therapeutisches Töpfern, Gesänge im Kreis?“ Trotzdem ist das Buch lesenswert für Menschen, die sich mit Sportpolitik beschäftigen möchten. Denn Sport läuft nie ohne Politik ab. Ein Blick hinter die Machenschaften der FIFA lohnt sich. Und Kistner hat sehr viele FIFA-Verfehlungen in sein Buch gepackt. Aber Vorsicht: Bücher wie „FIFA Mafia“ können die Lust am Fußball rapide schmälern.
Bürgerreporter:in:Michael S. aus Neusäß |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.