Georgien 2022 – Durch den verschneiten Kaukasus
März 2022. Eigentlich klopft der Frühling an die Tore des Kaukasus. Doch der Winter war mild und Petrus hat noch eine Ladung Schnee zu vergeben. Er schickt sie auf georgische Erde, als ich das Land besuche. Mein erstes Basislager errichte ich, nur mit Handgepäck, im familiär geführten Otiums Hotel in Reichweite von Parlament, Prachtstraße Rustaweli und Freiheitsplatz in der Hauptstadt Tiflis (Tbilisi).
Tankstellen und Taxis
Tbilisi wächst Jahr für Jahr, während die Peripherie verfällt. Wo gestern noch Wiese war, werden heute neue Wohnwolkenkratzer am Rand der Metropole hochgezogen. Abseits der Flaniermeilen, der Altstadt mit ihren Häuschen mit typisch georgischen Balkonen, und den Prestigebauten, prägen Plattenbauten und Tankstellen das Stadtbild. Drei Ketten mit aserbaidschanischem Öl konkurrieren mit der rumänischen Rompetrol und der russischen Lukoil sowie Zapfsäulen weniger verbreiteter Anbieter um die Gunst der Autofahrer. Uber gibt es nicht, hier heißt die Privattaxi-App „Bolt“, funktioniert aber praktisch genauso wie der globale Fahrdienstvermittler. Sogar Barzahlung ist möglich. Allerdings ist weder gewährleistet, dass die Rückbänke der Bolt-Fahrzeuge Gurte haben, noch dass der Fahrpreis am Ende gilt. Bei zwei Fahrten wollte der Fahrer mehr. Sogar einen Reifenplatzer ohne Folgen habe ich live im Auto miterlebt. Die Metro funktioniert mit Aufladekarte, ist bei den hiesigen Bolt-Fahrtpreisen bei klug gewählter Hotellage auch für Reisende mit geringem Budget überflüssig.
Gamardschoba – Sprache und Organisation
Der März ist Nebensaison in Georgien. Wer sich für Ausflüge einer Gruppe anschließen möchte, braucht Glück. Ich komme in den Genuss von sehr privaten Touren als Alleinreisender; im Hinblick auf das Budget ein Nachteil, dafür hätte es das ein oder andere Erlebnis in einer (Klein-)Gruppe in der Form nicht gegeben. Die lokale Reiseagentur meiner Wahl ist Georgia Insight. Die Kommunikation und Organisation im Vorfeld ist top, ebenso der vorbildliche Internetauftritt. Georg Heib und Zaira Soloeva beantworten meine Fragen – nicht nur Ausflüge betreffend – in perfektem Deutsch. Das Bahnticket nach Batumi hätte ich mir alleine höchstens vor Ort am Schalter kaufen können. Über die Webseite des Georgian Railway Services haben Menschen, die der georgischen Sprache nicht mächtig sind, keine Chance. Gesprochenes Wort und Schrift sind mit keiner anderen, mit ansatzweise bekannten Sprache vergleichbar, wenngleich es durch die vielen Eroberungen wohl einige persische Begriffe (in abgewandelter Form) in den georgischen Alltag geschafft haben. Mit Englisch kommt man in Georgien relativ weit. Es schadet nicht, „Gamardschoba“ („Guten Tag“ - kann zu jeder Uhrzeit verwendet werden) sowie „Madloba“ („Danke“) im Kopf zu behalten und über die Lippen zu bringen.
Religiös, anti-russisch und ein zweiseitiges aserbaidschanisches Schwert
Die Georgier mögen es nicht, okkupiert zu sein. Daher sind sie auch Russland gegenüber klar misstrauisch und ablehnend eingestellt, obwohl sie gerade mit einer Flüchtlingswelle der russischen Anti-Putin-Bevölkerung konfrontiert werden. Mit den eintreffenden Russen steigen die Miet- und Kaufpreise für Immobilien, schließlich haben Russen Geld, so die georgische Sichtweise.
Die Solidarität mit der Ukraine ist groß, wenngleich noch ein paar mehr georgische Flaggen das Landschaftsbild prägen. Man mag die Russen schon deshalb nicht, weil der große Nachbar im Norden die Unabhängigkeitsbewegungen der abtrünnigen georgischen Republiken Abchasien und Südossetien unterstützt beziehungsweise befeuert, indem Russland diese „Staaten“ als solche anerkennt.
Die meisten Leute zwischen Tiflis und Bolnissi leben von der Landwirtschaft. Mangels teurer Traktoren – meist gibt es nur einen pro Dorf, der verliehen wird – sind Berufe im Agrarsektor in Georgien oft geprägt von Handarbeit. Ein Streckenabschnitt wird hauptsächlich von Aserbaidschanern besiedelt, die zu Stalins Zeiten in die Dörfer umgesiedelt wurden. Diese Aserbaidschaner genießen, wie die Deutschen, wegen ihres Fleißes einen guten Ruf. Hängt ein rotes Tuch im Eingangsbereich, wohnt ein Mädchen im heiratsfähigen Alter (ab 16) im Haus und empfängt Bewerber. Außenpolitisch ist das Verhältnis zu Aserbaidschan momentan etwas angespannt, seit der südliche, muslimische Nachbar mehr vom Tourismus um die historische christliche Grenzanlage David Garedschi abhaben möchte und den Besuch der offenbar bedeutsameren aserbaidschanischen Seite von Georgien aus unterbindet.
Alle Teile meiner Georgien-Reise lesen:
- Bolnissi - Schwäbische Siedlung Katharinenfeld
- Mzcheta - Klöster und Kirchen
- Batumi - viel Schein und Zustrom am Schwarzen Meer
- Altstadt von Tiflis - Narikala und Schwefelbäder
- David Garedscha - Höhlenkloster an der Grenze zu Aserbaidschan
- Kulinarische Schnappschüsse: Georgische Spezialitäten
Alle Bilder sind urheberrechtlich geschützt.
Interessant!