myheimat Neusäß
Talking' 'bout my generation

Selfie, analog, 1969

Gedanken unterm Kopfhörer

Ich bin alt.

Geboren 1952.

Das ist wirklich ganz schön alt!

"Babyboomer", aber noch nicht zu tatterig für „Social Media“, obwohl mich dieser Begriff eher an die Logos auf den kleinen Fiats der mobilen Pflegedienste erinnert. Fast jeder Senior liebt heute sein Samsung und schreibt WhatsApps. Das hilft gegen die Vereinsamung, wenn man nur noch zu zweit in dem viel zu großen Haus wohnt. Tippen und Wischen ist gut gegen beginnende Arthrose! Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker! Facebook benutzen nur wenige. Facebook gilt als dubios! BIG BROTHER IS WATCHING YOU! Auf Facebook herrscht Krieg: Links gegen Rechts, Veganer gegen Tierleichenfresser, Autobahnraser gegen Bergaufbremser, Asphaltkleber gegen Klimaleugner, Homophobe gegen Diverse, Jung gegen Alt, Alt gegen Jung! Für mangelnde Artikulation hält man sein virtuelles Däumchen nach oben oder unten, für fehlende Argumentation hinterläßt man höhnisch lachende Fratzen oder sogar kleine braune Kackhäufchen.

„Things they do look awful c-c-cold“ … manchmal schäme ich mich für meine Altersklasse. Wenn sie von sich selbst behauptet, sie wäre die Generation der letzten Guten! Die heutige Jugend hinge nur hypnotisiert am Handy. Ansonsten restlos verwöhnte Weicheier. Ging schon los in den 80ern mit der Generation Y! Hauptsache in teuren Klamotten im SUV vors Gymnasium chauffiert. Elterntaxi! Hotel Mama! Alles mega! Studieren statt malochen! Wir hingegen wären schließlich ganz ohne Smartphone ausgekommen, hätten die geflickten Hosen der älteren Geschwister aufgetragen, seien zur Schule gelaufen, sommers wie winters, in immer den selben Schuhen. Plastik war ein Fremdwort, hätten wir nie benutzt, sogar der lederne Ranzen war nachhaltig aus regionaler Tierhaut gefertigt! Und mit all dem Wenigen wären wir die glücklichsten Kinder gewesen. Das bißchen Taschengeld hätten wir gespart und in die bunten Spardosen geworfen, die der Mann von der Kreissparkasse zweimal im Jahr in der Volksschule geleert hat. Datenschutz kannten wir nicht nicht, nur das Beichtgeheimnis. Und überhaupt: So eine Watschn hat noch keinem geschadet!

Aber mal ehrlich:

Wir haben die restaurierten, stets viel zu kleinen oder viel zu großen, handgestrickten, kratzigen Pullis angezogen, weil wir nichts anderes hatten. Wir sind zur Schule gelaufen, weil sie im gleichen Dorf war. Wir haben nichts in Plastik verpackt, weil es keins gab und als die unsäglichen Tragebeutel endlich erfunden waren, haben wir sie ohne nachzudenken benutzt und tonnenweise weggeworfen. Umweltschutz? Tierwohl? Fehlanzeige! Klar sind wir ohne Smartphone ausgekommen. Es gab ja keins! Und wenn es sie gegeben hätte, dann hätten uns keine zehn Pferde nachmittags raus gebracht, um in der Eiseskälte einen Schneemann zu bauen! Schließlich hatten wir damals Dauerfrost von November bis Ostern ...

Fußnote:
Wenn der Mann von der Kreissparkasse die mickrigen 5 Mark und 75 Pfennig aus unserer Sparbüchse öffentlich kassiert, laut verlesen und ins Sparbüchlein eingetragen hat, haben wir uns geschämt!
Und für die zu kurzen Ärmel auch!
Und die Watschn haben sehr weh getan, in der Seele mehr als im Gesicht!

„I'm just talkin' 'bout my g-g-g-generation“ … wir erleben in den letzten Jahren hautnah die fatalen Auswirkungen des Klimawandels. Falls wir Klima nicht mit Wetter verwechseln. Und die Augen offen halten. Täglich sehen wir im TV die Bilder von Überflutungen, Starkregen, Dürreperioden, Wassermangel, steigenden Durchschnittstemperaturen. Gletscher mutieren im Zeitraffer zu Steinwüsten. Und wie kommentiert das meine Generation? „Das war schon immer so … Früher nannte man das Sommer … Da hatten wir ständig hitzefrei“ … halbverdaute Bauchgefühle, stets aufs Neue hochgewürgt und wiederkäuend ins Maul genommen. EYES WIDE SHUT!

Gibts gegen solch altersstarrsinnigen Realitätsverlust nicht auch was von RATIOPHARM??? Glaubt dem Opa nicht, liebe Kinder! Und auch nicht der Oma, die Euch im TV weismachen will, sie wäre mit Mineralwasser von FRANKENBRUNNEN groß geworden, die lügt sich garantiert in die eigene Häkeltasche.

„I Hope I die before I get old“ … das war ein Lebensmotto, das wir „geil“ fanden, obwohl dieses sündige Wort damals noch beichtpflichtig war. Weltliche Bußalternative: Den Mund mit Seife ausspülen! „I Hope I die before I get old“ … von The WHO lautstark hinausgeschrien in die Roaring Sixties. Glaubhaft! Aber nur Keith Moon hat es umgesetzt. Mit 32 den Drumstick abgegeben! Das ist nicht wirklich alt. Die anderen haben das Rentenalter längst erreicht und fahren dicke Bentleys oder elektrisch angetriebene Jaguars. Das ist der Weg, den die meisten einschlagen … "And they couldn't prevent Jack from feeling happy!"

Im Alter werden die meisten von uns deutlich bürgerlicher, als wir uns das in der Jugend vorgestellt hätten. Das ist nachvollziehbar weil menschlich. PETTING STATT PERSHING? Das Che-Guevara-TShirt ist längst von den Motten zerfressen. Der Ho-Chi-Minh-Pfad war ein Irrweg! Aber muß man deshalb gleich die BILD-AM-SONNTAG abonnieren?

„Oh Lord, won't you buy me a Mercedes Benz? My friends all drive Porsches ...“

Ich begegne heute zu vielen blutjungen Spießern, gesteuert vom übermächtigen Wohlstand im permanenten Konsumrausch. Konservativer als ihre Großväter. Freitag abends penibles Felgenpolieren an der Tanke, nächtliches Autoposing als sichtbarer Ausdruck ererbten Reichtums. Tiefergelegte Fahrgestelle demonstrieren tiefergelegte Werte. Biedermänner 2.0! Den Soundtrack liefern brillantbesetzte Rapper mit überquellenden Bankkonten. 80.000 pilgern in den Olympiapark zu Lindemanns Pyromanen, die mit Gigantomanie und rechten Parolen zündeln bis der letzte Euro aus der betäubten Masse gepreßt ist. Oder zum Musikantenstadl des völkischen Andreas Gabalier, der sich verkaufsfördernd gerne mal unverhohlen zum Hakenkreuz verbiegt. Aber der will ja nur spielen???
„Mocht ma beim Hulapalu vielleicht die Augn zu? Hodiodioooodiooodie !!!“

„Hope I get RICH before I get old“ und das am besten in einer 4-Tage-Woche. Freitag ist FREI-Tag! WORK-LIFE-BALANCE, der Hilferuf 2023 nach noch mehr Freizeit, für die man noch mehr Arbeit investieren muß, um diese zu finanzieren. Double Income, Kids in die Kita und sonntags ins LEGOLAND! Das einmal angeschubste Karussell läßt sich nicht mehr anhalten, die Wohlfühlzone ist Sperrgebiet. Geld spielt keine Rolle! 150 Euro für den Fitneßvertrag, aber für die letzte Meile reicht die Kraft nicht, dafür steigt man auf den Elektroroller, der irgendwann im städtischen Kanal liegt. Anonym „entsorgt“ vom Wutbürgertum. Nächtlich, feige, anonym! Kein Respekt vor dem Eigentum anderer, keine Achtung vor irgendwas. Steinewerfen auf blaue Lichter und rote Kreuze! Justitia trägt Augenbinde, im Bundestag sitzen Ampelmännchen ...

„So, round and around and around we go
Where the world's headed, nobody knows
Just a ball of confusion
That's what the world is today“

My generation, The Who, 1965
Happy Jack, The Who, 1966
Mercedes Benz, Janis Joplin, 1970
Ball of Confusion, Temptations, 1970
Hulapalu, Andreas Gabalier, 2015

Bürgerreporter:in:

Helmut Weinl aus Neusäß

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