Hainhofen damals
Rechtschaffene Mitmenschen
Gedanken zu einem alten Agfacolor-Dia
Den reichlich angestaubten Begriff "rechtschaffen" verwendet heute niemand mehr. Man hört ihn allenfalls noch in den Dialogen biederer Heimatfilme aus den 50er Jahren. Kann das daran liegen, daß wir die sog. rechtschaffenen Menschen, auf welche das damit verbundene Charakterbild zuträfe, gar nicht mehr in unserem persönlichen Umfeld antreffen?
In seinen Ursprüngen hatte die Bezeichnung einen deutlich religiösen Hintergrund. Im Christentum galt als rechtschaffen, wer nach Gottes Geboten lebte und gute Werke für seine Mitmenschen vollbrachte. Da die Kirche zunehmend an Einfluß verliert und ihre dogmatische Definition von Moral immer mehr in Frage gestellt wird, verschwindet die Rechtschaffenheit unter diesem religiösen Aspekt in Kürze demnächst gänzlich aus unserem Wortschatz.
In meiner Jugend machte man einen rechtschaffenen Menschen aber nicht nur an dessen religiöse Ausrichtung fest, obwohl damals der fromme sonntägliche Kirchgang dazu gehörte wie das Sparbuch bei der Kreissparkasse und das christlich-soziale Kreuzchen auf dem Wahlzettel. Ein rechtschaffener Mann war in erster Linie einer, der buchstäblich "richtig schaffen konnte" und dabei stand "schaffen" einfach als Synonym für "arbeiten". Mit "schaffen" meinte man vorrangig das Verdienen seines Lohns durch ehrliche Arbeit mit den eigenen Händen. Meist verstand man darunter das Verrichten handwerklicher Tätigkeiten oder den Broterwerb in der Landwirtschaft. Aber natürlich konnte man auch in vielen anderen Berufen als "rechtschaffen" angesehen sein, wenn man tagein tagaus zur Arbeit ging und obendrein als "anständig" galt, sich nichts zu schulde kommen ließ.
Auf dem Dorf gab es viele rechtschaffene Leute, den alten Sebastian zum Beispiel, den alle im tiefsten Schmuttertaler Dialekt nur den "Bäschde" nannten. Wie er so am Stammtisch sitzt, mit seinen klobigen Händen die Spielkarten hält, das geliebte dunkle Bier vor und das Päckchen Zigaretten oder den Schnupftabak neben sich, ist er genau das Abbild eines solch einfachen Menschen, der zufrieden ist mit dem was er hat. Er trägt, wie immer wenn er ausging, ein nicht mehr ganz modernes Sakko, den obligatorischen Hut und seinen Stock hat er an den Wandhaken gehängt. Eine Runde Sechsundsechzig mit dem jungen Wirt zu spielen, um wenige Pfennige oder eine Halbe Bier, bereitete ihm Freude. Seine Zehnerl oder gar eine ganze Mark drüben in den neumodisch blinkenden Spielautomaten zu werfen, wäre dem Bäschde niemals in den Sinn gekommen. Dazu war das wenige Geld für die schmale Rente zu sauer verdient, als daß man es für ein paar sekundenschnelle Drehungen der Glücksscheiben diesem stummen Groschengrab in den unersättlichen Schlund steckte.
Der Bäschde war ein einfacher Mann, aber gerade die Einfachheit ging stimmig einher mit Rechtschaffenheit und Anstand. Heute haben sich die Werte verschoben und es gelten andere Prioritäten. Die angesagte Automarke und die Zahl der Fernreisen sind die neuen Gradmesser, auch wenn sie mehr Neid als Sympathie erzeugen. Der Beruf ist nicht mehr Berufung, sondern der Job und darin gilt es flexibel zu sein, belastbar und ständig erreichbar, um möglichst schnell möglichst viel Profit zu erwirtschaften. Und so heißt es mit Dreißig die richtige Work-Life-Balance zu finden, bevor einen der Burnout ins Wartezimmer schubst. Die Einschätzung "Er war stets rechtschaffen" im Arbeitszeugnis würde die Achseln jedes modernen Personalmanagers mitleidsvoll zucken lassen.
Die Vokabel der "Rechtschaffenheit" ist zusammen mit dem zugehörigen Typus Mensch aus unserer Gesellschaft verschwunden. Menschen, die an einem Punkt ihres Lebens zufrieden sind, mit dem was der Tag für sie bereithält und nicht ständig nach mehr von dem streben, was ihnen rund um die Uhr durch Werbung, Medien und falsche Politik vorgegaukelt wird. Menschen, die mit einer gewissen Stolz ihrem Beruf nachgegangen sind, auch wenn ihnen der Lohn nur ein schlichtes Leben ermöglicht hat. Menschen, die lieber im Schützenverein oder am Stammtisch lachten und stritten, als sich über die sog. "sozialen" Medien stumm und respektlos auszutauschen.
Doch der Stammtischkultur ist es ähnlich ergangen. Rechtschaffene Wirte, die ihre Gasthäuser vom Frühschoppen an geöffnet hatten bis um Mitternacht der letzte Sangesbruder endlich sein Noagerl ausgetrank, mußten ihre Pforten längst schließen oder haben Platz gemacht für moderne Restaurants, in denen der Gast per WhatsApp reserviert, um nur für die Dauer seines Menus zu bleiben. Da ist kein Tisch mehr frei für den rechtschaffenen Handwerker, der nur sein Feierabendbier trinken oder eine Runde Schafkopf spielen möchte. Mit der neuen Form der Gastronomie hat sich deren Klientel grundlegend geändert. Lautstark diskutierende Stammtischbrüder passen nicht mehr in diesen Rahmen, aber ich vermisse diese mal groben mal liebenswerten Dorforiginale, ihren derben Humor und ihre hinterkünftige Bauernschläue.
Da war z.B. der Hans vom Kuglerberg, ein rechtschaffener Fahrdienstleiter bei der Deutschen Bundesbahn. Wenn dem Hans die politischen Diskussionen in der bierseligen Stammtischrunde zu hitzig und kontrovers wurden, lautete sein Wahlspruch:
"Also, I sag net so und net so ... dann kann später koiner saga, I hätt so oder so gsagt!"
Und ich selber??? Nun, ich war 40 Jahre lang Beamter und jeder weiß, daß wir als solche schon am frühen Vormittag rechtschaffen müde wurden!
Bürgerreporter:in:Helmut Weinl aus Neusäß | |
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