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Raus mit der Sprache - Rein ins Leben mit Gebärdensprache

  • Zeichen für Solidatität mit Gehörlosen
  • hochgeladen von Sigrid Wagner

Auf ein Sinnesorgan verzichten zu müssen kann man sich nur schwer vorstellen. Die Sinnesempfindungen werden als selbstverständlich erfahren, sodass man sie nicht hinterfragt. In einer Welt voller Geräusche, einem ständigen Verkehrslärm sowie der Dauerberieselung an Radio und Fernseher kann man sich Stille nur mehr schwer vorstellen. Man würde noch nicht einmal auf die Idee kommen, dass eine stille Welt auch voll positiver Erfahrungen sein kann. Stille bedeutet auch Besinnung auf das Wesentliche.

Die Sprache hat für uns Menschen zwei Bedeutungen. Einerseits bezeichnet es ein konkretes Zeichensysteme (z. B. die deutsche Sprache, die Programmiersprache Basic) andererseits umfasst es alle Handlungen, die etwas zum Ausdruck bringen, etwas mitteilen sollen.

Die Gebärdensprache fasst diese zwei Bedeutungen auf eine ganz individuelle Weise zusammen. Sie ist im Ausdruck und Zeichensystem verschmolzen und besinnt in der Kommunikation miteinander auf das Wesentliche.

Der Ausdruck findet sich in der Gesichtsmimik, Körperhaltung und in der Art und Weise der Bewegungen bzw. Bewegungsabläufe wieder. Emotionale Empfindungen in der Verbindung mit einer entsprechenden Gebärde und einer lautlosen Mundsprache, die einer Grammatik der logischen Informationswichtigkeit folgt, ist hoch informativ. Hörende sind nicht geübt darin diese Möglichkeiten für die Kommunikation einzusetzen. Steif und ungelenk stehen bzw. sitzen sie herum und sprechen in Sätzen oft nur angereihte Wörter – gelegentlich auch ohne Sinn. Manchmal genügt es sogar nur mit halbem Ohr hinzuhören um die wichtigsten Details mitzubekommen. Den Rest denkt man sich noch dazu und schon ist man informiert. Selten achtet man dabei auf die Körperhaltung und den Gesichtsausdruck der Gesprächspartner. Dabei sind die Signale, die der Körper sendet viel klarer und ausdrucksfähiger als uns bewusst ist.

Die Ausdrucksmöglichkeiten sind unerschöpflich. In einem Sprachkurs für die Erlernung der Gebärdensprache war beispielsweise die Aufgabe gestellt eine kleine Geschichte nachzuerzählen: „von einem Piloten, der wagemutig Loopings und dann unter einer Brücke durchfliegt. Anschließend krachte er auf der Landebahn in der letzten Sekunde noch in einen Zaun und kommt unverletzt zum Stehen“.
In einem komplexen Erzählstil kann aus der Beobachtersituation in die Pilotenperspektive gewechselt werden. Im Gesichtsausruck werden sowohl die Faszination des Fliegens wie auch der Schreck einer verunglückten Landung wieder zu finden sein. Die holprige Landung spiegelt sich in den Armbewegungen und im Körper, der bei der Landung durchgeschüttelt wird. Neben den Wortgebärden, die lautlos mitgesprochen werden und der eigenen Grammatik der Sprache ist hier hauptsächlich die Ausdrucksfähigkeit des Erzählers von Bedeutung ob der Zuhörer bzw. Zuseher die Geschichte in allen Facetten verstehen wird. Aber auch auf die Exaktheit der beschriebenen Gegenstände kommt es an. Die architektonischen Besonderheiten einer Brücke werden mit den Händen nachgeformt und die imaginären Knöpfe im Cockpit werden gedrückt und stilecht ein Flugstart simuliert um dem Zuhörer zu einem Eindruck zu verhelfen, dass er diese Erzählung nachvollziehen kann.
Das Gespräch findet im sogenannten Gebärdenraum statt. Er ist ungefähr so groß, wie die Arme des Erzählers reichen aber begrenzt sich auf die obere Körperhälfte. Es ist immer auch der Bereich, der mit den Augen des Beobachters ohne Anstrengung erfasst werden kann. Man nutzt die 3-Dimensionalität eines Raumes für Situationsbeschreibungen.

Seit dem Jahr 2001 ist die Deutsche Gebärdensprache (DGS) gesetzlich anerkannt und somit offizielle Sprache in Deutschland. Da klingt es doch gar nicht vermessen, wenn gefordert wird, dass diese Sprache auch als Fremdsprachenangebot Eingang in die Bildungseinrichtungen findet und als selbstverständliches Lernangebot auch für Hörende zur Verfügung gestellt werden sollte. Die Deutsche Gebärdensprache ist eine länderspezifische Sprache und unterscheidet sich von anderen Gebärdensprachen wie etwa der Französischen, Britischen oder Amerikanischen Gebärdensprache. Allerdings haben sie angesichts der nonverbalen Basis aller Gebärdensprachen eine gewisse Ähnlichkeit. Es gibt im deutschen Sprachraum auch unterschiedliche Gebärden und sogar Dialekte und durch eine jahrelange Unterdrückung ist noch eine gewisse Eigendynamik im Gebrauch der Gebärden aber die Grundverständigung ist gleich.

Gebärdensprache bedeutet auch mit Achtsamkeit und Aufmerksamkeit auf den Gesprächspartner einzugehen und sich voll und ganz auf das Gegenüber einzulassen. Das fehlende Sinnesorgan des Hörens wird durch eine Vielzahl an anderen Ausdrucksmöglichkeiten kompensiert und überwunden und verhilft daher insgesamt zu einer viel deutlicheren und verständlicheren Ausdrucksweise.

Wie mit jeder Sprache ist auch eine individuelle Kultur damit verbunden. Es gibt auch in der Gebärdensprache Spielregeln, die unbedingt beachtet werden sollen. So kann man ein Lichtsignale, beispielsweise das an- und ausknipsen einer Lampe, nutzen um die Aufmerksamkeit des Gesprächspartners zu wecken. Erschütterungen durch ein plötzliches kurzes Trampeln werden sensorisch erfasst und können den Kontakt zum Anderen herstellen. Nicht erlaubt ist es allerdings, dass man den Anderen anfasst, piekst, rempelt, Gegenstände nach ihm wirft und sonst irgendwie ungefragt berührt. Allenthalben eine vorsichtige Berührung am Oberarm mit der flachen Hand wird geduldet und ist auch nur für den Ausnahmefall gestattet um die Aufmerksamkeit zu erwirken.

Die Gebärdensprache ist die schönste Sprache und auch die Ausdruckstärkste überhaupt, der ich bisher begegnet bin und mit der ich mich jemals beschäftigt habe. Sicher steckt in jedem Menschen diese Ausdrucksfähigkeit nur sind wir nicht gewohnt diese zu benutzen. Derzeit geht ein Slogan durch die Medien: „Heraus mit der Sprache – rein ins Leben!“, um das Thema der Integration ausländischer Mitbürger medienwirksam zu platzieren. Er gilt auch im Zusammenhang mit der Gebärdensprache aber man könnte ihn aus differenzierten Blickwickeln betrachten. Er würde sich dann beispielsweise so lesen: „Heraus mit der Gebärdensprache – rein ins Leben mit mehr Achtsamkeit“. Eine interessante Perspektive und daher sollten wir unsere Fähigkeiten nutzen und einfach damit anfangen.

Sigrid Wagner (hörend)

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2 Kommentare

  • M. B. am 01.11.2010 um 18:58

"Da klingt es doch gar nicht vermessen, wenn gefordert wird, dass diese Sprache auch als Fremdsprachenangebot Eingang in die Bildungseinrichtungen findet und als selbstverständliches Lernangebot auch für Hörende zur Verfügung gestellt werden sollte."

>>> Super Idee, wäre eine Anregung für unser Bildungsministerium. Denn, auch wer nicht sprechen kann, hat viel zu sagen und will verstanden werden!

> "wenn gefordert wird, dass diese Sprache auch als Fremdsprachenangebot Eingang in die Bildungseinrichtungen findet und als selbstverständliches Lernangebot auch für Hörende zur Verfügung gestellt werden sollte"

Fände ich ok.

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