Hainhofen damals
DER LETZTE WITTELSBACHER AUF NEUSÄSSER FLUREN
Die Geschichte des Traktors der Familie Hackl
Die Landwirtschaft im Wandel
In den Nachkriegsjahren tauchten selbst in den kleineren Bauerndörfern rund um Neusäß immer mehr der neumodischen „Bulldogs“ auf. Diesen tierischen Namen für Ackerschlepper durften offiziell zwar nur bestimmte Modelle des Herstellers Lanz tragen, aber er wurde schnell zum Synonym für die Schlepper aller Marken, denn „Bulldog“ klang auf dem schwäbischen Land einfach erdverbundener als der hochdeutsche „Traktor“ oder gar der preußische „Trecker“. Die Wachablösung von Pferd und Ochse hin zur dieselbetriebenen Zugmaschine kam einem Erdrutsch in der Entwicklung der Landwirtschaft gleich, zu dem es in kürzester Zeit keine Alternative mehr gab. Ohne die Pferdestärken eines Traktors konnte bald auch der kleinste Hof nicht mehr rentabel bewirtschaftet werden. Und so kam neben all den anderen Schleppern von Herstellern wie Kramer oder Allgeier auch ein Sulzer aus dem Wittelsbacher Land nach Hainhofen.
Das Schlitzohr aus Harthausen
„A Hund war er scho“, so würden zeitgenössische bayrische Landwirte mit einer Prise Ehrerbietung und einem schelmischen Augenzwinkern über den Harthauser Unternehmer Ignaz Sulzer sinnieren, in dessen mittelständischem Betrieb von 1936 bis 1963 die Traktoren gebaut wurden, die seinen Namen im markanten roten Firmenlogo trugen. Nach bescheidenen Anfängen noch vor dem 2. Weltkrieg in seiner kleinen Wagnerei, gelang es ihm mit einer guten Portion Erfindergeist und noch mehr unternehmerischem Wagemut den Betrieb zur mittelständischen Firma „Ignaz Sulzer Maschinen- und Fahrzeugbau“ auszubauen. Insbesondere als der Maschinenbauingenieur Johann Schreiber in die Familie einheiratete, war das perfekte Führungsduo für die Firma gefunden. Der Schwiegersohn übernahm die technische Leitung und Ignaz Sulzer nutzte fortan sein ausgeprägtes Verkaufstalent im Bereich Vermarktung. Dabei agierte er stets hemdsärmelig und immer hautnah an seiner Zielgruppe und nicht wenige Verkaufsgespräche fanden bauernschlau an den verrauchten Stammtischen der umliegenden Dörfer statt. Ein Spruch machte bald die Runde bei den Landwirten im Friedberger Land, der durchaus als höchstes Lob der ansonsten wortkargen Kundschaft verstanden werden durfte:
„Der Sulzer verkauft seine Schlepper in der Wirtschaft!“
Die Schlepper aus dem Baukasten
In Fachkreisen bezeichnet man die Art von Zugmaschinen, wie sie in der Fabrik von Ignaz Sulzer produziert wurden, als sogenannte „Konfektionsschlepper“. Dieser Begriff sagt aus, daß alle wichtigen Bauteile der Fahrzeuge von anderen Herstellern zugekauft und in Harthausen zu den Sulzer Traktoren zusammengebaut wurden. Die dort fabrizierten Schlepper genossen einen guten Ruf und galten als besonders robust und zuverlässig. Ein weiteres Plus war die Tatsache, daß man sich bei Sulzer als Kunde wie der sprichwörtliche König fühlte. Man ging bei diesem Anbieter auf viele Wünsche des Käufers ein und baute in der Werksgeschichte insgesamt 42 unterschiedliche Typen von Schleppern, um möglichst vielen individuellen Vorstellungen der späteren Nutzer gerecht zu werden. Damit erwarb man sich einen Namen, der weit über das Wittelsbacher Land hinaus und sogar im Ausland einen guten Klang hatte. 1963 war trotz des Erfolgs Schluß mit dem Traktorengeschäft, denn neben Zulieferproblemen gerieten die Sulzers in das sich immer schneller drehende Teufelsrad von pausenlos fortschreitender technischer Entwicklung und Automation, sowie den sich hieraus ergebenden hohen Investitionen, die von vielen kleineren und mittleren Betrieben bald nicht mehr zu stemmen waren. Mit einem breiten Leistungsspektrum und einem modernen Maschinenpark ist die Firma "Sulzer Metallverarbeitung Gmbh" aber bis heute in Adelzhausen erfolgreich am Markt vertreten.
Der Tag als der Bulldog ins Schmuttertal kam
Bis in die fünfziger Jahre hinein wurden die wenigen mechanischen landwirtschaftlichen Geräte des Stemmer-Hofs in Hainhofen durch Pferdekraft bewegt. Dann kam der schwarze Tag, als dem Altbauern die Zugtiere des Heuwenders durchgingen und er bei dieser Tragödie schwerst verletzt den Hof erreichte. Danach konnte er keine Gespanne mehr führen und wirtschaftliche Überlegungen führten letztendlich zu dem Entschluß, daß jetzt ein Bulldog her müsse. Eine Entscheidung von größter Tragweite für die Familie, denn man muß bedenken, daß es mit dem Kauf des Traktors alleine nicht getan war. Nahezu sämtliche Geräte, die bisher von Pferden oder Ochsen gezogen wurden, mußten ebenfalls neu angeschafft werden. So erstand man bei Sulzer in Harthausen im Jahr 1957 den metallicblauen Schlepper mit zwei sog. Gummiwagen zum stolzen Preis von 8000 DM! Man holte das kostspielige Gespann selbst in dem kleinen Dorf bei Dasing ab und machte sich damit voller Stolz auf den Weg zum Anwesen in Hainhofen, wo sich der nagelneue Bulldog auf den zu dieser Zeit noch ungeteerten Straßen so richtig wohl fühlte.
Damals nicht geheuer … Frau am Steuer!
Nicht nur der Sulzer-Traktor war eine Besonderheit im Dorf, sondern auch die Tatsache, daß er die meiste Zeit von einer Frau gesteuert wurde. Heutzutage kennt man den Anblick knackiger Jungbäuerinnen, die auf bulligen Schleppern posieren aus freizügigen Hochglanzkalendern, aber damals war das Arbeitsgerät der Bäuerin eher der Melkschemel oder die Heugabel. Die Hoferbin Rosa Hackl besaß jedoch seit 1956 den obligatorischen Führerschein der Klasse IV und sie war die Chefin auf dem Hof, denn ihr Ehemann Rupert betrieb in den 50er Jahren im gleichen Haus noch eine gutgehende Schneiderwerkstätte. Hinter dem Lenkrad eines Bulldogs war Rosa somit eine echte Vorreiterin zu einer Zeit, als man das Wort Emanzipation noch im Duden nachschlagen mußte. Eine echte Herausforderung bildeten die jährlichen Fahrten mit einer hochbeladenen Fuhre Stroh zum Pferdehof im Weiler Ehgatten bei Welden. Das entsprach damals einer Tagesreise, bei der gleich zu Beginn die elfprozentige Steigung des Ottmarshauser „Zipfelbergs“ zu bewältigen war. Das schwergewichtige Gespann dort hinauf und unfallfrei wieder hinunter zu steuern, hätte sich vermutlich so manches gestandene Mannsbild nicht zugetraut.
Zum Service ins BMW-Autohaus und zum TÜV in den Gasthof
Der 1957 gebaute Sulzer S18LD verrichtete übers Jahr sein Tagwerk zuverlässig und genügsam wie ein Ackergaul. Ruhetage gab es für den Bulldog so gut wie nie, denn neben seinen Hauptaufgaben als Zug- und Mähmaschine auf Feld und Wiese dienten die 18 Pferdestärken seines luftgekühlten Deutz-Motors auf dem Hof stationär auch als Antrieb für die Dreschmaschine. Sollte trotzdem mal eine umfangreichere Reparatur oder ein Ölwechsel notwendig geworden sein, dann tuckerte man mit dem Schlepper hinüber nach Neusäß zur „Reparaturwerkstatt für Landmaschinen und Kraftfahrzeuge“ von Josef Drexl, aus der später das renommierte Autohaus Drexl & Ziegler hervorging. Der TÜV kam zu den fälligen Prüfterminen zwar nicht ins Haus, aber einmal im Jahr ins Dorf. Der Hof des Brauereigasthofs Mayr war erfüllt von blauschwarzen Dieselschwaden, wenn an diesem Tag die mehr als ein Dutzend Ackerschlepper zur turnusmäßigen Abnahme vorfuhren. Später eröffnete Erwin Steibel seine erste Werkstätte im alten Lohner-Hof an der Hauptstraße und übernahm für viele Jahre die technische Betreuung der Hainhofer Landmaschinen.
Die vierte Generation auf dem Beifahrersitz
In späterer Zeit mußte der Sulzer zwar einem moderneren und stärkeren Porsche Platz machen, doch buchstäblich „abgemeldet“ war der unverwüstliche Traktor nie. Anders als viele der heute noch erhaltenen Veteranen, die unter den Händen begeisterter Hobbyschrauber bis ins Detail liebevoll restauriert wurden und meist nur noch mit blauweißen Fähnchen geschmückt bei Oldtimer-Treffen präsentiert werden, bekommt das fast siebzigjährige Dieselroß immer noch sein wohlverdientes Gnadenbrot im Austragshäuschen seines angestammten Hofs. Einige Gebrechen machen ihm altersbedingt zu schaffen, er kommt nur schwer in seine fünf Gänge und keucht dabei kurzatmig schwarze Wölkchen in die Luft, aber wenn der Enkel eine Runde auf der Wiese mitfahren möchte, dann glüht Opa Peter Hackl den Selbstzünder vor und das Leuchten in den Kinderaugen, wenn sich der altgediente Sulzer lautstark in Bewegung setzt, ist noch dasselbe wie vor vier Generationen.
Und sollte der eine oder andere Besitzer eines dieser modernen und auf den ersten Blick klimafreundlichen Elektrofahrzeuge die abgasfreie Nase über dieses fast 70 Jahre alte Dieselsoß rümpfen, so kann man an der Stelle durchaus das schwergewichtige Wort "Nachhaltigkeit" als Denkanstoß in die Waagschale legen.
(Vielen Dank an Herrn Peter Hackl für das Übermitteln von Informationen und das Überlassen der historischen Aufnahmen des Traktors)
Bürgerreporter:in:Helmut Weinl aus Neusäß | |
Helmut Weinl auf Facebook |
8 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.