Krisen, Chancen und endlich wieder Normalität
Interview mit Neusäß' Erstem Bürgermeister Richard Greiner
myheimat: Energiekrise, Inflation, der Krieg in der Ukraine, Klimakrise und Corona. Derzeit brodelt es an allen Ecken und Enden. Welches Thema treibt Sie als Bürgermeister in diesem Jahr am meisten um und kommen Sie überhaupt noch zu einer geregelten Arbeit oder gilt es nur noch, Brände zu löschen?
Richard Greiner: Wir sind natürlich objektiv im Krisenmodus und versuchen, die Stadt gut durch diese Zeit zu steuern. Das gelingt uns bisher ganz gut, weil wir traditionell umsichtige Politik betreiben und für schwierige Zeiten finanziell und strategisch vorbauen. Ein Beispiel: Wir haben zwischen 2016 und 2019, als das Thema noch gar nicht so auf der Agenda stand wie heute, rund 80% unserer Straßenbeleuchtung auf LED umgestellt, immerhin 4.220 Lichtpunkte im ganzen Stadtgebiet. Das hat uns rund 1 Million € gekostet – also sehr viel Geld. Es bringt aber eine jährliche Einsparung von ca. 600.000 KWh Strom und entlastet jetzt, in Zeiten exorbitant steigender Energiepreise, spürbar unseren Haushalt. Gleichzeitig reduzieren wir damit unseren CO²-Ausstoß jedes Jahr um 62%. In den vergangenen Jahren hat die Stadt auch verstärkt in die energetische Sanierung von Bestandsgebäuden investiert und konnte dank besserer Dämmung den Energieverbrauch um fast eine Million kW reduzieren. Im Unterschied zu manchen eher symbolpolitischen Aktionen leisten wir hier einen wirklich signifikanten und messbaren Beitrag zum Klimaschutz. Ganz ähnlich verhält es sich übrigens auch mit dem Thema Fernwärmeausbau, wo wir Vorreiter im Landkreis sind.
Stichwort Corona: Hier sind wir natürlich an die Verordnungen der Staatsregierung gebunden, versuchen bei uns vor Ort aber immer, im Geiste der Verhältnismäßigkeit mit der jeweiligen Situation umzugehen. Wichtig war mir, die Einrichtung von Teststationen in Neusäß frühzeitig zu unterstützen und Impftermine in Neusäß anzubieten. Letzteres ist uns in guter Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt schon zu einem frühen Zeitpunkt gelungen. So sind wir insgesamt ganz gut durch die letzten Jahre gekommen. Jetzt müssen wir beobachten, wie sich das Virus weiter entwickelt und ggf. wieder eine angemessene Reaktion finden.
myheimat: Bauen wird derzeit immer teurer. Mit dem Neubau des Feuerwehrhauses und der Westheimer Grundschule stehen zwei Großbauprojekte an. Wann ist mit dem Baubeginn zu rechnen und können die Kosten seriös prognostiziert werden?
Greiner: Der Kostenrahmen ist natürlich für beide Projekte gestiegen. Und wie beim Thema Energie spüren wir auch hier ganz unmittelbar die Auswirkungen der weltpolitischen Verwerfungen. Ein Beispiel: Anders als bei uns herrscht ja in China eine wirklich totalitäre 0-Covid-Diktatur mit längeren „Lockdowns“. Die Marktmacht dieses riesigen Landes mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern spüren wir ganz konkret bei den wegen dieser Politik empfindlich gestörten Lieferketten. Und so kommen zum Teil seit Monaten dringend benötigte Komponenten für unsere Bauprojekte, aktuell etwa für die Ausstattung unserer Steppacher Grundschule mit einer RLT-Lüftungsanlage oder für die Fertigstellung unseres Gebäudes für die Ganztagsbetreuung der Kinder an der Eichenwaldschule, nicht an. Wir können hier nur „auf Sicht“ fahren und werden auch schauen müssen, wie die neuen Projekte sinnvoll aufgegleist werden können. Im Moment ist geplant, mit dem Neubau von Schule und Feuerwehr in Westheim Mitte 2023 und mit dem Neubau der Stützpunktfeuerwehr in Neusäß 2024 zu beginnen.
myheimat: Die Stadt Neusäß muss in diesem Jahr das Titania aufgrund der gestiegenen Energiekosten mit bis zu 600.000 Euro bezuschussen. Was denken Sie: Wird das auch 2023 nötig sein?
Greiner: Es ist davon auszugehen, dass wir auch 2023 einen Zuschuss zum laufenden Betrieb werden leisten müssen. Man muss allerdings beachten, dass wir hier seit Jahren sehr verwöhnt sind und das Bad dank der hervorragenden Zusammenarbeit von Stadtrat, Verwaltung, Betriebsgesellschaft, Geschäftsführung und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort mit einer guten schwarzen Null betreiben konnten. Das ist beachtlich, denn in der Regel sind selbst kleinere Schwimmhallen schon in normalen Zeiten jedes Jahr auf Betriebskostenzuschüsse ihrer Kommune angewiesen, die oft deutlich über dem liegen, was das Titania jetzt in dieser krisenhaften Ausnahmesituation benötigt.
Positiv ist, dass die s. g. „Gaspreisbremse“ jetzt auch für Freizeiteinrichtungen wie das Titania gilt. Das wird uns 2023 finanziell entlasten. Das gilt auch für die kurz-, mittel- und langfristigen Energiesparmaßnahmen, die im Badbeirat nach sorgfältiger Diskussion auf Grundlage eines umfangreichen Energiegutachtens beschlossen wurden und sukzessive umgesetzt werden.
myheimat: Das Erscheinungsbild der Neusässer Stadtmitte hat sich aufgrund vieler Bautätigkeiten verändert. Ist für das kommende Jahr hier noch etwas geplant?
Greiner: Nach dem inzwischen fertig gestellten „Beethovenpark“ wird die Bebauung im angrenzenden Schuster-Areal weiter voranschreiten. In diesem Zusammenhang wird das Wolf-Café mit einer breiten Palette von kulinarischen Angeboten eröffnen. Südlich angrenzend werden wir dann den Stadtplatz mit einer deutlich verbesserten Aufenthaltsqualität gestalten, sodass hier ein neuer Treffpunkt im Zentrum von Neusäß entsteht. Das alles sind Bausteine, die unsere Stadtmitteentwicklung wieder positiv beeinflussen.
Vorab zur Information für unsere Bürgerinnen und Bürger: In diesem Zusammenhang wird es auch einige Baustellen in zentralen Straßenbereichen geben, weil die Fernwärmeversorgung über die Hauptstraße in Richtung Rathaus, Alpenviertel und Schulzentrum ausgebaut wird. Die Baumaßnahmen stimmen wir gerade ab und wollen damit in der Ferienzeit nach unserem beliebten Stadtfest im Juli starten. Ich bedanke mich schon heute für die Geduld und das Verständnis.
myheimat: Klar ist, dass der Bahnausbau zwischen Augsburg und Ulm kommen wird. Auf welcher Trasse ist derzeit noch nicht entschieden. Wie gehen Sie in Neusäß damit um?
Greiner: Aufmerksam, kritisch und konstruktiv. Aufmerksam, weil wir den Planungsprozess seit Anfang an intensiv begleiten und das Ingenieursteam der DB Netz regelmäßig auf Fehler, Widersprüchlichkeiten und Verbesserungsmöglichkeiten in der Planung hinweisen. Kritisch, weil wir deutlich gemacht haben, dass die Resolution des Landkreises vom Februar 2020 überholt ist und die bisher vorgelegten Planungen für die verschiedenen Trassenvarianten für uns inakzeptabel sind. Dies vor allem wegen der Einschnitte in Privatgrundstücke in Westheim und der vermutlich noch nicht voll ausgereizten Möglichkeit zum Schutz der Täfertinger Bevölkerung. Und konstruktiv, weil wir in diesem Prozess weiter mitarbeiten müssen, um etwaige Nachteile des Bahnprojekts für unsere Bevölkerung so gering wie möglich zu halten und mit dem Ausbau Ulm-Augsburg auch einen Mehrwert für unsere Stadt bzw. die Region zu erreichen. Bekanntlich geht es uns um ein verbessertes Nahverkehrsangebot, barrierefreie Bahnhöfe und Lärmschutz. Und wenn wir hier nicht weiter konstruktiv mitwirken, werden die Planungen von der DB Netz weiter betrieben. Aber dann ausschließlich in deren Interesse und ohne uns.
In den letzten Wochen ist noch ein neuer, wichtiger Aspekt dazugekommen. Turnusmäßig überprüft der Bund seinen aktuell rechtskräftigen Bundesverkehrswegeplan und damit auch das Projekt Bahnausbau Ulm-Augsburg. Diese s. g. „Bedarfsplanüberprüfung“ findet jetzt statt. Allerdings fehlen dazu entscheidende Informationsgrundlagen, denn es laufen im Moment auch Studien des Landkreises bzw. die s. g. „Fahrplanstudie“ der DB Netz zur Leistungsfähigkeit der Knotenpunkte Ulm und Augsburg hinsichtlich der Frage, ob die Bahnhöfe kapazitätsmäßig überhaupt in der Lage sind, den angestrebten Deutschlandtakt zu bewältigen und die zusätzlichen Fernverkehre so aufzunehmen, dass der Nahverkehr dabei nicht ausgebremst wird. Denn dass das ÖPNV-Angebot unter Umständen ausgedünnt wird, müssen wir mit allen Mitteln verhindern. Unsere aktuelle Forderung lautet daher, dass diese Untersuchungen alle aufeinander abgestellt werden müssen und die Ergebnisse zu den Bahnhöfen bzw. zum Nahverkehr unbedingt in die Bundesbedarfsplanüberprüfung einfließen müssen.
myheimat: In Neusäß kehrte das kulturelle Leben zurück. Viele kleinere Veranstaltungen ließen die Menschen wieder zusammenkommen und feiern. Doch Corona ist nach wie vor bestimmend. War es eine richtige Entscheidung, wieder zur Normalität zurückzukehren?
Greiner: Man kann ja immer nur auf Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse entscheiden und das hat die Regierung im Großen und Ganzen getan. Als es noch keine Tests, keine Impfung, keine Medikamente, aber voll ausgelastete Covid-Stationen in den Krankenhäusern gab, war es sicher richtig, vorsichtig zu sein – auch wenn der Lockdown vielen Menschen erhebliche Belastungen zugemutet hat. Nachdem sich die Situation wieder etwas entspannt hatte, konnte dann wieder mehr Normalität gelebt werden.
Mir war es zu jedem Zeitpunkt der Pandemie wichtig, dass alles, was im Rahmen der Verordnungen und Allgemeinverfügungen erlaubt ist, auch stattfinden können soll. Aber noch im März wussten wir nicht, wie sich die pandemische Entwicklung im Sommer darstellen würde. Deshalb haben wir bewusst ein „kleines“ Stadtfest unter dem Motto „Kultur im Park“ organisiert, damit das Fest auf jeden Fall stattfinden kann, das Parkgelände zur Nachverfolgung aber gegebenenfalls eingezäunt und eine Registrierung an zwei Zugängen vorgenommen werden kann. Und parallel haben wir die Konzertreihe des Musiksommers mit Aufführungen in allen Stadtteilen angeboten, um zu große Menschenansammlungen zu vermeiden und trotzdem Kultur „vor der Haustür“ anzubieten.
Dass die Neusässerinnen und Neusässer gerne zusammenkommen und Freude am Feiern haben, hat sich auch beim ausgesprochen gut besuchten Volksfest und zuletzt bei unserem stimmungsvollen Weihnachtsmarkt eindrucksvoll gezeigt. Dass es uns möglich war, den Bürgerinnen und Bürgern alle diese Veranstaltungen ohne jede Einschränkung anbieten zu können, fröhlich zu feiern und Gemeinschaft zu erleben, hat uns natürlich sehr gefreut.
myheimat: 2022 standen einige Feiern bei den Städtepartnerschaften an. Seit 30 Jahren besteht die Verbindung mit Markkleeberg. Zudem wurden die Feierlichkeiten zu 20 Jahre Neusäß-Cusset und 10 Jahre Neusäß-Bracciano heuer nachgeholt. Kurz zusammengefasst: Inwiefern bereichern die Städtepartnerschaften das Leben in Neusäß?
Greiner: Der zentrale Gedanke ist ja, dass Menschen verschiedener Nationen im direkten Austausch stehen. So sind schon viele persönliche Freundschaften entstanden, die auch auf Dauer Bestand haben. Solch persönliche Kontakte sind in heutigen Zeiten wichtiger denn je, denn Wertschätzung entsteht ja durch Begegnung!
In kultureller, sportlicher, kulinarischer und sprachlicher Hinsicht bereichern Beiträge aus unseren Partnerstädten regelmäßig das gesellschaftliche Leben in Neusäß. Auch auf fachlicher Ebene erarbeiten wir in gemeinsamen Workshops und in einem offenen, partnerschaftlichen Wissens- und Erfahrungstransfer Zielsetzungen, die für die Zukunft wichtig sind. Es gibt hier also auf breiter Ebene einen lebendigen, vielfältigen Austausch mit einem hohen Zugewinn, von dem wir alle profitieren.
myheimat: Können Sie uns abschließend einen kleinen Ausblick auf das nächste Jahr geben? Was erwartet die Neusässerinnen und Neusässer?
Greiner: Wir werden wichtige Bauprojekte wie den Ausbau der Fernwärme, die Fertigstellung der Ganztagsbetreuung am Eichenwald, den Baubeginn in Westheim, die Gestaltung des Stadtplatzes, aber auch kleinere Verbesserungen, z. B. einen komplett neuen Spielplatz in Hainhofen, erleben.
Unsere Bürgerinnen und Bürger können sich aber auch auf eine Neuauflage unseres „Citylaufs“ freuen, als Volkslauf für alle Generationen und sportlicher Höhepunkt im Leben unserer Stadt. Mal sehen, ob es uns gelingt, hier die 1000-Teilnehmer-Marke zu knacken!
Im Juli wird dann unser beliebtes Stadtfest stattfinden, das wieder in der bekannten Form mit Musik, Kultur und einem breiten Angebot kulinarischer Köstlichkeiten Tausende Besucherinnen und Besucher anlocken wird. Dabei hoffe ich auch sehr auf eine rege Beteiligung unserer vielen Neusässer Vereine. Unsere Bürgerinnen und Bürger erwartet nach der Corona-Zeit also eine lebendige Stadt im Aufbruch, die sehr viel Lebensqualität bietet und ihre Menschen zum Mitmachen einlädt!
myheimat: Wir danken Ihnen für das Interview, Herr Greiner.
myheimat-Team:Tanja Wurster aus Augsburg |
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