Wie kommt ein Zahn in Thai-Suppe Nummer 6?

Lea Sophie Salfeld überschüttet sich mit Flüssigkeiten. (Foto: Nik Schölzel) | Foto: ©Nik Schölzel
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Im ausverkauften Textilmuseum Augsburg sind fünf Schauspieler bei der Premiere von Roland Schimmelpfennigs Gegenwartsdrama “Der goldene Drache”, das den Mülheimer Dramatikerpreis 2010 erhalten hat, in 17 verschiedene Rollen geschlüpft. Das Stück für dessen Dramaturgie in Augsburg Roland Marzinowski und Ramin Anaraki (Inszenierung) verantwortlich sind, bringt dem Publikum das Leben asiatischer Immigranten anhand vieler kleiner Geschichten im und um ein Restaurant näher. Als roter Faden fungiert dabei ein Zahn.

Die Story
Der “Kleine”, wie die Mitarbeiter des China-Thai-Vietnam-Restaurants “Der goldene Drache” ihren neuesten Kollegen nennen, hat fürchterliche Zahnschmerzen. Da er keine Aufenthaltsgenehmigung hat, kann er aber nicht zum Arzt gehen, sodass ihm der Karieszahn in der Küche mit der Rohrzange gezogen wird. Der Chinese verblutet und wird von den Kollegen über die Brücke geworfen. Sein Zahn landet in der Thai-Suppe Nummer 6 bei der blonden Flugbegleiterin Eva, die mit ihrer brünetten Kollegin und Mitbewohnerin Inga über dem Restaurant wohnt, wo sie anschließend alleine schlafen geht, während Inga mit dem wesentlich älteren “Barbie-Fucker” schläft. Vordergründig um Sex geht es in den Szenen mit der hungrigen, ungelernten Grille, die von einer Ameise in die Prostitution getrieben wird und für Unterkunft und Verpflegung alles mit sich machen lässt. Diese verbal heftigen Stellen werden nicht gespielt, sondern erzählt. Je weiter sich dieser Handlungsstrang jedoch entwickelt, desto klarer wird, dass die Grille symbolisch für eine junge Einwanderin aus Fernost steht, die als Schattenmensch keine andere Wahl hat, als ihren Körper zu verkaufen. Hans, Zuhälter (Ameise) und Lebensmittelhändler in Personalunion ist dabei nur an dem Geld interessiert, dass er durch sein leichtes Mädchen einnimmt - je brutaler die Freier seine Einnahmequelle schänden, desto mehr streicht er ein. Zu den Freiern zählt auch ein alter Mann, der sich nach seiner Jugend sehnt. Dessen Enkelin erwartet ein Kind, doch ihr Mann ist trotz Babywäsche und Kinderspielzeug im Zimmer nicht darauf vorbereitet und lässt seinen sexuellen Frust ebenfalls an der Zwangsprostituierten aus. Den Rest gibt ihr ein Biertrinker und Kumpel von Hans, der von seiner Frau im roten Kleid verlassen wird. Die Szenen wechseln sich ab, kehren immer wieder in die Küche des Asia-Restaurants zurück, die somit “zum Sinnbild für das engmaschige Beziehungsgeflecht, das die Menschen in einer globalisierten Welt verbindet” (aus dem Pressetext) wird.

Die Inszenierung
Die einzelnen Figuren sind so besetzt, dass zwischen Charakteren und Schauspielern möglichst keine physiognomische oder demographische Übereinstimmung herrschen. Frauen spielen Männer, Junge spielen Alte. Das erfordert von den Zuschauern natürlich ein bisschen Vorstellungskraft, die jedoch leicht fällt, weil die Akteure auf der Bühne dies sehr gut herüberbringen und zudem auch im Stil des Erzählers ankündigen, wer nun wieder dran ist. Das führt dazu, dass Texte doppelt gesprochen werden (erst vom Erzähler, dann von der Figur, die zum Teil vom gleichen Schauspieler verkörpert werden) und Regieanweisungen wie “kurze Pause” oder “Sie: Wie konnte das passieren?” regelmäßig mitgesprochen werden. Die Geschichte läuft schnell durch, nur gegen Ende, wo es bedrückender wird und die schicksalshaften Handlungsstränge zusammenlaufen, wird das Tempo merklich gedrosselt.

Die Schauspieler
Amüsant: Klaus Müller zieht sich als Frau im roten Kleid einen roten Vorhang mit Halsschlaufe über, der von einem der Rollregale, die als Zimmer über dem goldenen Drachen fungieren, hängt. Einer von mehreren guten Einfällen von Bühnen- und Kostümbildnerin Tatjana Kautsch. Beeindruckend ist auch Müllers Einlage als Kellner, der zwei mit Reis gefüllte Teller pro Arm im Kranich-Stil trägt, während er eine Schüssel mit Suppe auf dem kahlen Kopf hat, aus der es tatsächlich dampft. Richtig eklig muss sich Lea Sophie Salfeld fühlen. Schließlich übergießt sie sich als von seiner Frau verlassener Typ mehrfach mit Dosenbier und als Patient mit Zahnschmerzen mit reichlich Kunstblut (oder einer anderen roten Flüssigkeit aus dem Gefäß einer scharfen Asiasoße) und bekommt im Liegen eine klaren Flüssigkeit aus einer Alkoholflasche in den Mund geschüttet. Je mehr sich die Dramaturgie zuspitzt, desto melancholischer wird ihr tolles Spiel und desto versauter der Boden der Bühne im TIM. Knallhart zieht Eva Maria Keller, seit 1973 am Theater Augsburg beschäftigt, ihre Rolle als Hans durch, spielt an der Seite von Martin Herrmann zudem eine junge Schwangere. Dieser wiederum nimmt sich Tussi Inga an und schwärmt vom “Barbie-Fucker”. Eine sicherlich schwierige Rolle meistert Florian Innerebner. 1989 geboren, verkörpert der junge Schauspieler von der Otto-Falckenberg-Schule nicht nur in rückenunfreundlicher Haltung den alten Mann, sondern auch die zerbrechliche, gebrochene Zwangsprostituierte und steht lange, untenrum nur spärlich mit einem Hauch Pink bekleidet, quasi auf dem Präsentierteller. Hut ab.

Bürgerreporter:in:

Michael S. aus Neusäß

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