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„Stadt ist mehr als Kanal- und Straßenbau“: Interview mit Achim Binanzer von der Sing- und Musikschule Neusäß

  • Musikschulleiter Achim Binanzer zusammen mit Karin Pilz aus der Verwaltung, die Binanzer als „gute Seele“ der Schule bezeichnet
  • hochgeladen von Tanja Wurster

Seit einem Jahr hat die Sing- und Musikschule Neusäß mit Achim Binanzer einen neuen Leiter. Gerade das neue Haus der Musik und das kollegiale Miteinander darin sowie die Unterstützung seitens der Stadt begeistern ihn. Ein Interview über die Bedeutung von Musik und die Vielfalt der Neusässer Musikschule.

Die Stadt Neusäß hat für sieben Millionen Euro ein Haus der Musik errichtet. Wie „lebt“ es sich dort? Läuft alles zu Ihrer Zufriedenheit?

Das Haus ist ein Traum und auch die Zusammenarbeit mit der Stadt war super. Klar, am Anfang gab es ein paar Kinderkrankheiten, zum Beispiel Probleme mit der Lüftung. Aber die Stadt war immer sehr bemüht. Dietmar Krenz, der Stadtbaumeister sagte zum Beispiel bei einem Vor-Ort-Termin, er ist kein Musiker und will daher von uns wissen, wo es hakt. Bereits zwei Tage später kam die Rückmeldung, ob und was man verbessern kann. Die Stadt Neusäß hat mit dem Haus der Musik etwas geschaffen, das es so in Schwaben nirgends gibt.

Gibt es ein vergleichbares Haus der Musik in Schwaben?

Nicht, dass ich wüsste. Normalerweise wird immer an der Kultur gespart. Auch bei einem meist schon sehr kleinen Etat wird – wenn gespart werden muss – an der Kultur gespart. Es ist wirklich ungewöhnlich, wenn mal die Kultur gefördert wird.

In meinen Augen soll unser Haus der Musik für alle Neusässer aus allen Ortsteilen sein, also nicht nur für die Mieter und Nutzer hier drin. Ich hab kürzlich ein Treffen mit Musikschaffenden aus Neusäß aus allen Richtungen – egal ob Jazz, Rock, Klassik, Kirchenmusik – hier veranstaltet. Es kamen so etwas mehr als zehn Leute und wir haben unsere Adressen ausgetauscht. Die Musikschule hat einen Verteiler eingerichtet, so dass alle darüber informiert sind, wenn irgendwo musikalisch in Neusäß etwas stattfindet. Wenn zum Beispiel ein Kirchenkonzert in Steppach ist, dann sollen die ihre Plakate herschicken. Die hängen dann an unserer Anschlagtafel im Gang auf.

Welche Berührungspunkte gibt es mit den anderen Mietern hier?

Die Musikschule steht im Austausch und Kontakt mit allen hier, sei es Stadtkapelle, Kammerorchester, Narrneusia oder das Stereoton. Am meisten hatten wir bisher mit Markus Bzduch, dem Leiter des Stereotons zu tun. Beim Festival „Citysound“ waren wir dicke mit drin, weil mir mit unserer Bigband mitgespielt haben. Leider war das Wetter nicht so toll, aber an der Idee würde ich festhalten. Viele Festivals sind mal klein losgegangen und wurden dann Selbstläufer. Man muss den Bürgern etwas bieten. Stadt ist mehr als Kanal- und Straßenbau. Die Leute müssen wissen, warum sie ihn Neusäß wohnen sollen. Neusäß bietet viel, da gehört eine Musikschule auch zur Infrastruktur dazu.

Welchen Stellenwert hat Musik in Neusäß?

Bei der Stadt einen recht hohen, aber gerade im Popularbereich war hier nicht viel. Im Stereoton habe ich ein paar Musiker kennengelernt, die alle in Augsburg spielen. Es ist ganz wichtig, dass wir breit aufgefächert uns präsentieren. Wir haben die Stadtkapelle, die hochinteressiert ist an qualifizierten Musikern. Zusammen mit dem Kammerorchester und der Bigband haben wir drei gute Klangkörper.

Welche Musik hören Sie privat?

Alles, was gut ist. Ich höre Klassik, zum Beispiel Richard Strauss gefällt mir ganz gut, dann Jazz, und Bigband. Maynard Ferguson zum Beispiel, der war sehr rockig ausgerichtet. Aber auch Rock mag ich. Ich war auf vielen Konzerten, zum Beispiel bei „Journey“, „Kansas“, „Foreigner“, „Genesis“. Was ich nicht mag, ist Musik aus der Konserve. Ich hab lieber einen schwitzenden Schlagzeuger als einen Drum-Computer. Der Mensch muss im Vordergrund stehen. Immer.

Sie sind jetzt seit einem Jahr als Leiter der Sing- und Musikschule Neusäß tätig. Wie gefällt es Ihnen in Ihrem neuen Job?

Es ist toll hier. Richard Greiner, der Bürgermeister, hat mich auch bearbeitet, dass ich herkomme und ich habe es bis jetzt nicht bereut. Das hier ist eine Riesenschule mit einer gut aufgestellten Verwaltung. Es war eine ganz neue Erfahrung für mich im Team zu arbeiten. Und dann ist das Haus der Musik natürlich gigantisch. Das hier ist eine neue Welt.

Was sind die Herausforderungen der Musikschule von morgen?

Wir werden noch viel mehr mit den Schulen zusammenarbeiten. Die Entwicklung in Richtung Ganztagesschule sehe ich zwiegespalten. Denn Erziehung findet für mich daheim statt. Allerdings bietet sie für die Musikschule auch Vorteile.

Was machen Sie, wenn Eltern kommen und sagen: Mein Kind will unbedingt ein Instrument spielen, aber wir können es uns nicht leisten?

Gruppenunterricht, das ist günstiger, und Instrumente kann man auch gebraucht kaufen. Dass Musik für Kinder positiv ist, das ist sonnenklar. Das ganze Verhalten, auch das Sozialverhalten wird dadurch immens geprägt. Es gab mal vor Jahren eine Untersuchung bei allen Musikschulen in Deutschland, da war nicht ein Straftäter dabei. Man muss das auch in Zahlen sehen: eine kleinere bis mittlere Musikschule kostet ungefähr 300.00 Euro im Jahr, das kostet ein Drogenabhängiger im Jahr. Einer.

Zu Beginn Ihrer Tätigkeit sagten Sie, dass Sie eine Bigband und eine Jazz- und Rockband aufbauen wollen. Hat das geklappt?

Wir haben alle drei. Ich hab Wort gehalten. Die Rockband läuft schon ganz toll, die ist sehr gut besetzt. Beim Elektrobass suchen wir allerdings noch einen Schüler. Die Jazzband läuft auch gut, aber hier suchen wir noch Leute. Gerade diese moderne Entwicklung tut der Schule gut. Manche meinen, der Binanzer schafft jetzt die ganzen klassischen Sachen ab. Das ist völlig falsch. Da war ja vieles Tolles da, bevor ich kam. Angelika Jekic, die vorherige Leiterin, hat super vorgearbeitet im Früherziehungsbereich. Es kommen jetzt sehr viele Kinder nach und denen müssen wir was bieten. Wir können eine klassische Ausbildung bieten, aber wir haben auch was Modernes im Angebot. Ich hab das immer als Zusatz gesehen. Alles andere wäre ein Armutszeugnis.

Wer spielt, will auch Aufritte haben. Wie viele haben die Bands?

Mit der Bigband spielen wir schon so zwischen sechs und zehn Auftritte im Jahr, zum Beispiel beim Neujahrsempfang oder beim Citysound. Wenn es mit der Rockband mal gut läuft, würde ich gerne auch auf dem Stadtfest spielen. Ich könnte mir vorstellen, einen Abend eine Bühne unter dem Motto zu stellen „Neusässer für Neusässer“. Wir haben ein Percussionensemble, die Jazzband, die Rockband und die Bigband. Wir könnten da ganz toll was machen im modernen Bereich und eine große Bevölkerungsschichte könnte hören, was es alles bei uns gibt. Den Vorschlag habe ich auch bereits dem Bürgermeister gemacht und es kamen seitens der Stadt erste positive Reaktionen.

Was sind Ihre Pläne mittel- und langfristig?

Mittelfristig will ich das Sponsoring vorantreiben, denn uns fehlt es noch einiges an Ausrüstung, gerade auch im Popularbereich, also zum Beispiel Kabeltrommeln oder Mikrofonkabel. Seit ich da bin, haben wir hier aber auch schon Fortschritte erzielt. Es kamen knapp 4.000 Euro zusammen. Ich sehe Sponsoring nicht so, ich mach die Hand auf und dann bekomme ich Geld, sondern wenn Firmen uns finanziell unterstützen, dann kommen wir denen auch entgegen und unterstützen sie musikalisch bei Veranstaltungen.
Einen Flügel haben wir jetzt auch mit der Unterstützung von Sponsoren angeschafft, Es geht vorwärts, aber ich bin ein ungeduldiger Mensch. Wenn es schneller gehen würde, wäre ich froh. Ich brauch es ja nicht für mich, ich brauche es ja für die Schule.

Langfristig gesehen muss man die Schule umstellen. Ganztagsunterricht wird kommen und wir müssen jetzt die Zeichen setzen und Kontakt zu den Schulen aufbauen. Hier machen wir gerade sehr viel. Es ist generell sehr wichtig, dass wir uns vernetzen. Musiker sind Kollegen und keine Konkurrenten.

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