Zwei Wochen Praktikum bei einer französischen Wochenzeitung
Montagmorgen, 9 Uhr: pünktlich fährt mich Monsieur Petelet zum Büro in der Rue St Cecile in Vichy. Ganz spontan hatte sich seine Familie dazu bereiterklärt, mich von Samstagabend bis Montag aufzunehmen, ehe ich bei meiner eigentlichen Gastfamilie, den aus den Ferien zurückgekehrten Martins, herzlich willkommen bin. Doch das winzige Büro, zwischen vielen kleinen Läden gegenüber einer imposanten Kirche gelegen, ist verschlossen. Erst am Vorabend habe ich einen handschriftlichen Zettel mit groben Informationen über mein Praktikum bei der französischen Wochenzeitung „La Semaine de l’Allier“ bekommen.
„Ein Auslandspraktikum, das wäre doch was“, ermunterte mich mein Vater zu diesem Vorhaben. Daraufhin setzte ich mich mit dem Partnerschaftsverein Neusäß – Cusset in Verbindung, der eine Zeitung für einen jungen Praktikanten aus Deutschland interessieren konnte. Nur noch eine schriftliche Bewerbung schicken, und Frau Hagen vom Partnerschaftsverein teilte mir wenige Wochen später das mündliche OK mit. Mein Ansprechpartner, Pablo Aiquel, den ich die beiden Wochen über begleiten sollte, hatte noch Urlaub. Seine Vertretung war der nette 23-jährige Student Cyrille Darrigade.
Um halb 10 Uhr taucht er letztendlich vor dem Zweigbüro in Vichy auf, das aus einem einzigen kleinen Raum mit Schreibtisch, Stapeln von Zeitungen, einem kleinen Tisch und einem Waschbecken besteht. Neben kurzen Gesprächen begleite ich Cyrille ins „Sofitel“, einem exklusiven Hotel, in dem seit kurzem eine neue luxuriöse Abmagerungskur angeboten wird und beobachte, wie er beim Fragen stellen und Notizen machen vorgeht. Am Freitag werden wir dort noch einmal vorbeischauen.
Am Donnerstag hat Cyrille schon am Vormittag einen Termin und lässt mich allein im Büro. Obwohl er Urlaub hat, schaut Pablo vorbei und gibt mir eine Aufgabe. Ich soll einen Bericht über den Aufbau der Zeitung anfertigen und die verschiedenen Artikelformen analysieren. Im Büro habe ich verschiedene Exemplare durchforstet und den Bericht übers Wochenende am PC meiner Gastfamilie erstellt. Es sind über drei Seiten geworden.
Was mir Pablo dann anschließend beim Mittagessen im „Le Chantier“, einem Internetcafé mit gemütlichem Ambiente über die Zeitung und Wichtiges über den Journalismus allgemein erzählt, ist nicht nur überaus verständlich und nachvollziehbar, sondern auch immens lehrreich. Pablo kann sehr klar und anschaulich erklären, kennt sich hervorragend aus und ist dazu richtig nett. Erst mit 17 kam er von Venezuela nach Frankreich und bildete sich dann auf einer renommierten Journalistenschule in Lille fort. „Du kannst dich vor dem Studium noch nicht festlegen, ob du bei einer Zeitung arbeiten willst,“ erläutert der 32-Jährige. Seiner Schätzung nach gehen je ¼ der angehenden Journalisten später zu Radio- und TV-Anstalten, ein kleiner Teil arbeitet für Presseagenturen und der Rest widmet sich dem schriftlichen Journalismus. „Ein guter Journalist muss sich auf seine Leser einstellen,“beschreibt Pablo mit einem Satz den Erfolg von „La Semaine de l'Allier“. Die Zeitung erscheint wöchentlich und konzentriert sich auf ihr Département, bringt also nur regionale Nachrichten. Wer wissen will, was außerhalb von „Allier“ passiert, muss sich anderweitig informieren. Im Gegensatz zu „La Montagne“, einer Tageszeitung, die neben Nachrichten aus aller Welt zwar auch regionale Berichterstattung liefert, aber auch über die Nachbardépartements schreibt, gehen die 4 Journalisten mit ihren zahlreichen Korrespondenten gezielt auf die Interessen der lokalen Bevölkerung ein. Pablo kümmert sich dabei um die Stadt Vichy und ihr Einzugsgebiet, Julien Assailly deckt den Bereich „Montlucon“ ab und Benjamin Wright ist zusammen mit Aurelie Piel für Moulins zuständig. „Die Leute schauen gleich, ob eine andere Stadt mehr Seiten bekommen hat,“ spielt Pablo auf das Erfolgkonzept an, die drei Städte in einer Zeitung getrennt zu behandeln. Aber auch das handliche Format der 48, teils farbig illustrierten Seiten, ist ein Grund für die Absatzsteigerung. Denn die Zeitung, die sich gezielt nach den Bedürfnissen der Bewohner richtet, existiert erst seit 1 ½ Jahren. „Für eine lokale Zeitung ist es wichtig, viel mit den Leuten zu sprechen – das ist das einzige, was interessiert, dafür kaufen die Leute die Zeitung,“ gibt mir Benjamin in der folgenden Woche mit auf den Weg, als ich endlich das große Büro in Moulins besuche. „Das Titelbild ist wichtig für den Verkauf; eventuell gibt es für die drei Gebiete drei verschiedene Titelbilder“, erfahre ich von dem freundlichen Journalisten, der trotz seiner 29 Lenze schon auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen kann. Jeder Redakteur schreibt, macht Fotos, layoutet seinen Artikel, denn das Team ist knapp besetzt. Von Benjamin, der schon für eine Pariser Gratiszeitung verantwortlich war, lasse ich mir die Entstehung der Zeitung erklären und wie in dem zweistöckigen Büro gearbeitet wird.
Doch wie komme ich überhaupt ins einer Stunde von meinem zweiwöchigen Zuhause entfernte Moulins? Mireille Rattat, die ich schon im Büro von Vichy kennen gelernt habe, holt mich ab. Die kontaktfreudige Frau stellt sich als ziemlich freundlich heraus und ihr Auto dient mir für meine weiteren Moulins-Tage als Taxi. Mireille erzählt mir, dass sie zwar eine feste Mitarbeiterin ist, aber nur einen Kurzzeitvertrag hat. Sie kümmert sich im Erdgeschoss in Moulins um die „petits annonces“, die unseren amtlichen Bekanntmachungen entsprechen, übernimmt aber je nach Bedarf noch weitere Aufträge. Für sie tippe ich einen Restaurant-Artikel in den PC ein, am Nachmittag klappern wir Rathäuser ab und teilen dort mit, dass in „La Semaine de l'Allier“ solche amtlichen Bekanntmachungen abgedruckt werden. Am Dienstag schaue ich den Redakteuren in Moulins über die Schultern. Denn an diesem Wochentag und Mittwoch versammeln sich alle Journalisten des Hauses im Hauptbüro, um die kommende Ausgabe vorzubereiten. Letzte Zeilen werden in den Computer gehämmert; Benjamin ist mit redigieren beschäftigt und der 25-jährige Layouter Laurent Brugiere braucht jetzt mehrere Tassen Kaffee. Am frühen Nachmittag nimmt mich Cyrille noch auf eine wichtige Pressekonferenz mit, auf der die Leistungen des Départements für die Jugend zur Sprache kommen. Letzte Schliffe und die finale Seitengestaltung sind bis zum Mittagessen am Mittwoch abgeschlossen. Trotz der Hektik versprühen alle Beteiligten eine gute Stimmung. Der sympathische und lustige Laurent gestaltet die Titelbilder, bastelt am Inhaltsverzeichnis und erklärt mir eifrig am PC, was seine Mausklicks genau bewirken. Nach getaner Arbeit geht die Gruppe geschlossen in ein Restaurant, um die Fertigstellung der aktuellen Nummer zu genießen. Auch Praktikant Sébastien Giraud, der sich um den Sportteil kümmert, sitzt mit den hauptberuflichen Journalisten am Tisch, die ihr angenehmes Redaktionsklima auch zum Essen mitnehmen. Danach wird das Konzept für die Ausgabe am Donnerstag nächster Woche erstellt.
Frisch aus dem Urlaub zurück, lässt mich Pablo am Donnerstag kleinere Aufgaben, wie eine Meldung zu schreiben, übernehmen. Alleine wage ich mich am Freitag ins „Longchamps“, um ein paar ergänzende Fragen zu stellen. Die Antworten sind kurz, doch für meinen Artikel reicht es gerade aus. Schon letzten Freitag hatte ich einen Rohentwurf des „bon plan“ (~Geheimtipps) aufgesetzt. Mein erster Besuch im „Longchamps“ mit Mireille war allerdings sehr spontan, denn eigentlich wollten wir da schon das Restaurant mit den savoyischen Spezialitäten aufsuchen. Das Highlight meines zweiwöchigen Praktikums ist die Freitagsvisite mit Mireille im „La Bouche à Oreille“ - jenes Restaurants mit der savoyischen Küche. Fragen stellen, Fotos machen und den Artikel aufsetzen – an meinem letzten Praktikumstag werde ich nochmal richtig gefordert!
Michael Stauner
Bürgerreporter:in:Michael S. aus Neusäß |
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