PECH MIT SCHWEFEL
Fremdgesteuert zur "Schwefelquelle"
Radtouren in die nähere Umgebung unternehme ich nicht erst seit dem Ausbruch von Corona, aber seither entdecke ich nach und nach selbst die letzten Winkel meiner Heimat. Ich war auf der "Deuringer Heide", ich habe Enten auf dem "Ami-Weiher" fotografiert und das Marterl des "Schwarzen Reiters" gefunden. Meine ehemaliges "Frollein" Lehrerin der Volksschule müßte mir dafür im Fach Heimatkunde posthum ein Fleißbildchen verleihen. Letzte Woche bin ich wie so oft auf dem Weldenradweg durch Aystetten gestrampelt, als mir die "Schwefelquelle" in den Sinn kam. Wo genau sich diese befindet, fiel mir aber nicht ein, Heimatkunde war halt doch nicht mein Lieblingsfach. Zuhause wurde flugs Fräulein Google befragt und siehe da: eine blaue Route zeigte von meiner Couch bis zum Wald direkt an der Autobahn nordwestlich von Aystetten. Also die Navigation aktiviert, das Smartphone tief in der Jackentasche versenkt und losgeradelt, über Lohwald und Hammel nach Aystetten. Beim großen Hotel am Ortseingang rechts ab und auf einer Schotterpiste am Waldrand mühsam bergauf. Weiter nördlich mitten in den Wald hinein, neben echten Bäumen findet man dort auch einen wahren Schilderwald, wo man die Qual der Wahl zwischen Wanderwegen, Radwegen, Rundwegen, Panoramawegen und Nordic-Walking-Routen hat. Gottseidank gibt es auch Wegweiser, auf denen die "Schwefelquelle" als Ziel benannt ist, denn aus meiner Tasche erklingen seit ein paar Minuten Piepstöne und eine blecherne Stimme funkt verzweifelt "kein GPS-Signal!" Unsicherheit kommt auf, im Wald sehen alle Bäume gleich aus, aus einer Lichtung glotzt mich ein gelbes Holzmonster aus dunklen Augenhöhlen an, ein maskierter Jogger huscht röchelnd vorüber und verschwindet im Labyrinth der Baumriesen. Daß die Gegend hier "Blutiger Herrgott" heißt, macht sie nicht sympathischer und daß das zugehörige Marterl an die gar schaurige Mär erinnert, wonach an dieser Stelle eine Bäuerin nebst Tochter vom großen bösen Wolf zerfleischt wurde, läßt einen flugs einen höheren Gang einlegen. Oder geht es mir etwa wie dem verzweifelten "Schwarzen Reiter", der tagelang durch die dichten Westlichen Wälder irrte, bis ihm das Glöcklein von Horgau in höchster Not den rechten Pfad wies? Ich brauche aber keine Unterstützung durch kirchliches Geläut, denn dem Rauschen der Lkws auf der nahen Autobahn kann ich folgen wie die Weisen aus dem Morgenland ihrem Stern und die rotweißen Schilder lassen mich nicht im Stich. Das letzte Stück holpere ich steil bergab, dann zeigen zwei Holzbänke das Ziel, die "Schwefelquelle". Sehr spektakulär ist ihr Auftritt allerdings nicht, sie sprudelt wie Dutzende andere Quellen aus einem Rohr in ein kleines Becken und ergießt sich dann in ein moosiges Bächlein, das seinen Weg aus dem Wald sucht. Es gibt zwei Holztafeln und einen kitschigen Schutzengel. Vielleicht bringt ja der Geschmackstest den ultimativen Kick? Doch der mutige Selbstversuch endet enttäuschend: das klare Naß beinhaltet keine besondere Aromen, der Schwefelanteil liegt bei Nullkommanull Prozent! Die Infotafel bestätigt das niederschmetternde Ergebnis: wie die übelriechende Nummer 16 des Periodensystems in den Namen der Quelle gekommen war, ist unerklärlich. Ich nehme das Ergebnis ernüchtert zur Kenntnis, aber an der "Jungfrauenquelle" werden allzu hohe Erwartungen schließlich auch nicht erfüllt. Ich füttere das schwächelnde Navi mit den Daten von Gailenbach, unterquere die coronaberuhigte Autobahn und falle unvermittelt nicht vom Rad, aber ins nächste Funkloch. Doch instinktiv und unbeirrt fahre ich wenige waldige Kilometer immer ostwärts und erreiche bald eine sonnengeflutete grüne Anhöhe mit endlosem Horizont. Im Vordergrund lugt der gelbe Giebel eines verwunschenen Gebäudes aus dichten Baumkronen, aber das habe ich neulich schon erforscht, es ist das ehemalige Schloß von Gailenbach. Dieses ist deutlich weniger bekannt als der nahe Autohof Edenbergen auf der anderen Seite der A8. Den findet aber jedes Navi garantiert!
Bürgerreporter:in:Helmut Weinl aus Neusäß | |
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