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50 Stunden in Moldau – ein Reisebericht

Nenne mir ein Ziel in Europa, in dem zwar weder Krieg herrscht noch die Mafia de facto regiert, aber trotzdem niemand hinfahren möchte. Genau: Moldau, das offiziell ärmste Land Europas. Dann schaue ich mir das Land eben mal für drei Tage an – beziehungsweise rund 50 Stunden, denn viel Reisezeit geht für den Flug von München über Warschau nach Chisinau und zurück drauf.

Chisinau ist Moldaus Hauptstadt und wird Kischinau ausgesprochen. Sie ist mit rund 800.000 Einwohnern die mit großen Abstand größte Stadt im eher dörflich geprägten Moldau, aber nicht unbedingt eine Schönheit. Am Flughafen holt mich Roman Sargu ab. Er fährt mich zu meinem, bei ihm gebuchten Apartment mitten im Stadtzentrum hinter dem verfallenen und geschlossenen Hotel National, das seit Jahren nur noch eine Ruine ist. Diese ehemalige Unterkunft markiert praktisch den Beginn der Hauptstraße, benannt nach dem Nationalhelden Stefan cel Mare („Stefan der Große“). Gebucht hatte ich zwar eine andere Unterkunft fünf Hausnummern weiter, aber da dieses Apartment (40€ pro Nacht) sogar größer ist und das Haus einen sicheren Eindruck macht, passt das.

Wahlen in Moldau
An diesem Sonntag, 30. Oktober 2016, sind Wahlen. Überall in der Stadt prangen die Gesichter diverser Präsidentschaftskandidaten auf Plakaten. In die Stichwahl geschafft haben es der Favorit der Linken sowie die amtierende Bildungsministerin. Sie hatte laut meinen Guides – dazu später mehr - zwei Reformen angestoßen, die zuerst auf heftige Kritik stießen, ehe die Leute merkten: Das ist gut! Auf dem Land hatte offenbar jedes Dorf eine Schule, dafür kaum oder schlechte Lehrer. Die Schulen wurden zusammengelegt, dafür der öffentliche Nahverkehr für die Schüler ausgebaut. Außerdem ist es bei Abschlussprüfungen nun nicht mehr Usus, abzuschreiben. Hatten bis vor Kurzem rund ein Fünftel der Schüler Spitzennoten, die das Zeugnispapier nicht wert waren, erreichen inzwischen nur noch vereinzelt Schüler Bestnoten. Finanziell unterstützt wird die Bildungsministerin in ihrem Wahlkampf so gut wie nicht; kein einziges Plakat von ihr schob sich in mein Blickfeld. Für Moldau sind es die ersten Wahlen, bei denen die Bürger nach Jahren mit der Mafia (1990er) oder einer korrupten Elite an der Macht, eine echte Alternative haben. Auf dem Rückflug sitzen die unabhängigen Wahlbeobachter vom OSZE in meiner Maschine.

Roman gibt mir Schützenhilfe beim Kauf einer SIM-Karte, die es bereits für umgerechnet 1,50 Euro an jedem Kiosk zu kaufen gibt – wenn man Rumänisch spricht. Englischkenntnisse sind weniger verbreitet. Dafür brettern Automobile aus aller Herren Länder über die Straßen Chisinaus; von Dacia über Renault bis Mercedes kann die Vielfalt der Vehikel-Marken mit Deutschland mithalten. Den Spätnachmittag verbringe ich auf der Boulevardstraße Stefan cel Mare, vorbei an Regierungsgebäuden, Kirchen (Moldau ist zu ca. 95% christlich-orthodox), Parks und einem Triumphbogen.

Typisch moldawisch essen
Abends gönne ich mir typisch moldawisches Essen im „La Placinta“. Die moldawische Platte soll es sein. Drei Sorten Fleisch, zwei Häufchen Mamliga (Polenta artige Maispastete), drei Dips, Rührei und Schafskäse. Mamliga und Schafskäse gibt es überall in Moldau, zumal auch die meisten Städter noch Familie auf dem Land haben und beim Ernten der auf Subsistenzwirtschaft ausgelegten Felder helfen. Roman beispielsweise war vor seinem Flughafentransferauftrag noch mit der Maisernte beschäftigt. Er ist auch als Übersetzer tätig, vermittelt Unterkünfte und führt ab und zu Touristen herum. Dabei verdienen Reiseleiter zwar überdurchschnittlich viel Geld, doch mangels Besucher reicht dieser Job nicht aus.

Verhungern muss in Moldau niemand, reich werden allerdings trotzdem nur ganz Wenige. Die moldawische Platte ist zu viel für mich. Der Kellner konnte zwar kein Englisch, aber für seinen Hinweis „big“ bei der Bestellung reichten seine Fremdsprachenkenntnisse aus. Der halbe Teller wäre eine gute Portion gewesen, zwei Drittel schaffe ich. Ein Mittagessen sowie ein weiteres Abendessen nehme ich noch in Lokalen der Restaurantkette „La Placinta“ ein, darunter sättigende Pie mit Käse (auch ein Nationalgericht) und Mititeji, wie die uns als Cevapcici bekannten Würste hier heißen.

Auf dem Rückweg zum Apartment ist es stockfinster, dennoch fühle ich mich in diesem armen Land in Osteuropa nicht unsicher. Das größte Sicherheitsrisiko dürften die unzähligen, teilweise mit Laub bedeckten Schlaglöcher auf dem breiten Fußweg von Stefan cel Mare sein.

Orheiul Vechi und Felsenkloster Tipova
Der zweite Tag führt Roman und mich zum Kloster Orheiul Vechi und zum Felsenkloster Tipova. Die Höhlenkirche von Orheiul Vechi ist interessant. Wer die Türe öffnet, muss erst einmal Treppen hinabsteigen – Licht spendet nur die Kerze eines Mönchs, der unten an seinem Pult Verse aus einem Buch murmelt. Früher wohnten die Mönche in Nischen im „Nebenraum“, schliefen auf Stroh gebettet auf kaltem Stein. Die Aussicht vom „Balkon“ ist dafür reizvoll: Felsen, ein Fluss und weitgehend unbebautes Land.

Beim Felsenkloster Tipova ist bis auf einen Mönch keine Menschenseele zu sehen. Heiligenbildchen im Höhleneingang zeugen jedoch von Besuchern. Das Kloster ist in den Stein gehauen; früher hausten die Mönche auch darin. Bei einsetzendem Regen und einer Prise kaltem Wind stapfen Roman und ich noch durch die Landschaft – und verlaufen uns. Auf der anderen Seite des Flusses Nister befindet sich übrigens das abtrünnige Gebiet Transnistrien. Es proklamiert für sich, ein eigenes Land zu sein, wird aber von der internationalen Gemeinschaft nicht als solches anerkannt. Ein Boot für die (nicht vorgesehene) Überfahrt steht bereit, ist allerdings untauglich. Tipp für Ausflüge: Die Preise auf Romans Seite moldova-travel.com sind überhöht und nicht in Stein gemeißelt. Da die Kommunikation und Auskunftsfreude per E-Mail im Vorfeld allerdings sehr gut war, habe ich den Preis nicht gedrückt.

Soroca Fortress, Candle of Gratitude und Gipsy Hill
An meinem dritten Tag in Moldau steht ein weiterer Ganztagsausflug auf dem Programm. Reiseleiter ist diesmal Oleg Grachila. Er erzählt auf der knapp zweistündigen Fahrt in sehr gutem Englisch viel über die Geschichte des Landes und erweckt den Eindruck, ein äußerst vielseitig interessierter und informierter Mann zu sein, der über langjährige Erfahrungen im Tourismus verfügt. Es geht in den Norden nach Soroca. Anziehungspunkt ist das Fort, das momentan von einem Historiker aufwendig mit EU-Fördergeldern restauriert wird – dem Hörensagen nach eines der ganz wenigen Projekte in Moldau, bei dem die europäische Finanzhilfe tatsächlich komplett ihrem Zweck zugeführt wird, anstatt in die Tasche von korrupten Politikern zu wandern. Aus den Schießscharten des schwer einnehmbaren Verteidigungsturmkomplexes – mit für seine Zeit fortschrittlicher Toilettensituation – erblicken Besucher je nach Himmelsrichtung entweder die Ukraine oder den Gipsy Hill.

Gipsy nennt sich die Volksgruppe der Roma. In Soroca sind sie die Reichsten und wohnen unter sich auf dem Gipsy Hill. Sie bauen überdimensionierte Häuser mit griechisch / römisch anmutenden Säulen, imitieren das Weiße Haus, oder protzen mit goldenen Kuppeln. Auch ihr Friedhof ist pompös. Fünf Minuten Autofahrt weiter, über einen schmalen Feldweg, erreichen wir die Candle of Gratitude. Achtung, hier wird gerne nochmals abkassiert; der Eintritt ist jedoch in der Karte für das Soroca Fortress enthalten. Auf der Rückfahrt machen wir noch einen Abstecher zum Kloster Curchi, einem der bedeutendsten und in neuem Glanz erstrahlenden Baudenkmäler Bessarabiens, ehe es zum Flughafen geht.

Fazit zu Moldau
Moldau ist derzeit nicht mehr das ärmste Land Europas. Seitdem in der Ukraine Kriegszustände herrschen, ist die Kaufkraft des moldawischen Lei im Nachbarland stärker. Kulinarisch ist Moldau durchaus reizvoll, auch für Safttrinker, die weniger mit Traubenprodukten anfangen können. Touristisch betrachtet ist das Land mit den vielen Architektursünden im Sowjetstil unverbraucht, aber auch nicht besonders reizvoll. Christliche Gebäude(komplexe) sind neben Weingütern die touristischen Hauptattraktionen des kleinen Landes. Für Grenzgänger könnten Ausflüge nach Transnistrien oder Gaugasien spannend sein.

Weitere Informationen zu Moldau liefert moldawien.de.

  • Moldawische Platte
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  • Triumphbogen Chisinau
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  • Orheiul Vechi (1)
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  • Orheiul Vechi (2)
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  • Orheiul Vechi (3)
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  • Höhlenkirche von Orheiul Vechi
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  • Felsenkloster Tipova - Heiligenbildchen
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  • Felsenkloster Tipova
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  • Tipova Wanderung - Mit diesem Boot geht's nicht nach Transnistrien.
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  • Blick auf Transnistrien
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  • Soroca Fortress
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  • Soroca Fortress - Innenhof
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  • Geldscheine im Brunnen von Soroca Fortress
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  • Blick von Soroca Fortress auf die Ukraine
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  • Ausblick von Soroca Fortress auf den Gipsy Hill
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  • Kapitol auf dem Gipsy Hill
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  • Pompös: Der Gipsy-Friedhof in Soroca
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  • Candle of Gratitude
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  • Kloser Curchi
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2 Kommentare

Hab Dank für den spannenden Bericht.

Da kann ich mich Romi nur anschließen! :-)
LG, Margit

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