Weinlese in Österreich - Teil 2

Aufnahmen aus einem annähernd vergleichbaren Weinkeller.
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Kapitel 39. 10.: In der Weinkellerei

Ich folgte ihm bis vor ein Wirtschaftsgebäude, aus dem ein sehr laut zischendes Geräusch zu hören war. Eine altertümliche Halle folgte, in dem sich alle möglichen technischen Einrichtungen befanden.
"Ich werde mich jetzt mal bemühen, hochdeutsch zu reden, weil du sonst wahrscheinlich nicht viel mitkriegen würdest", ergriff Wilhelm das Wort, nachdem er den Raum betreten hatte. "Sobald der Papa mit dem Traktor und den Trauben gekommen ist, kannst du hier gleich die ersten paar Schritte sehen, wie aus Trauben Wein entsteht."

Kurze Zeit später war Wilhelms Vater mit dem Traktor vorgefahren. Mit Hilfe einiger Fahrmanöver brachte er ihn so vor dem Eingang des Gebäudes zum Stehen, dass sich die Ladefläche unmittelbar vor einer Anlage direkt am Eingang befand.
"Der erste Schritt in der Weiterbearbeitung vom Wein nach der Lese", begann Wilhelm zu erklären, "ist mal das Rebeln. Die Beeren werden dabei von den Stielen getrennt und zerquetscht – die so genannte Maische entsteht." Er zeigte auf einen silbergrauen Metallbehälter direkt vor der Anhängerladefläche. "Das geschieht in genau dem Gerät hier; es heißt daher auch ganz folgerichtig Rebler."
Wilhelm drückte auf ein paar Knöpfe und Schalter. Die Maschine begann darauf mit ohrenbetäubendem Krach zu arbeiten. Wilhelms Vater ließ dann die Ladefläche des Anhängers hochfahren. Nach und nach verschwanden darauf die Beeren im Inneren der Maschine. Fast gleichzeitig kamen an einer anderen Stelle des Gerätes bereits wieder die leeren Stiele heraus.
Wilhelm holte eine Heugabel aus der Ecke. Er stieg mit ihr auf einen kleinen Sockel aus aufeinandergelegten Ziegelsteinen am Rande des Reblers. Von dort oben aus kratzte er diejenigen Trauben von der Ladefläche des Hängers, die nicht von sich aus in den Rebler fielen. "Es gibt übrigens auch ein altes Heurigenlied unter dem Titel 'Oba g'rebelt muass er sein!'", teilte er mir mit, als er vom Sockel wieder herunterstieg.
Er zeigte dann auf den in kürzester Zeit ziemlich schnell angewachsenen Berg von Traubenstielen neben dem Rebler und erklärte mir: "Die Pressrückstände, die beim Keltern entstehen, werden als Trester oder Trebern bezeichnet. Die sehen zwar nach Abfall aus, sind aber ein wertvoller Rohstoff. Mit denen kann man noch sehr viel machen. Wir zum Beispiel führen sie wieder dem Boden zu. Auf die Art wird dem Boden nämlich keine Biomasse entzogen, was mit eines der wichtigsten Kriterien in einer ökologisch-nachhaltigen Landwirtschaft ist. Und Trebern sind außerdem mit der beste Dünger, den es gibt. Kaum eine Biomasse hat so einen hohen Energiegehalt, setzt soviel Energie um und fällt als Abfallprodukt in so großen Mengen an. Man kann damit wirklich sehr viel machen. Früher stellte man einen Brand daraus her, was heute allerdings nicht mehr der Fall ist. Für Kernöl lässt es sich verwenden. Sogar für einen hundert Prozent biologischen Aktivdünger. Für Biofilter kann man es nehmen; für Erdreichsanierung; als Tierstreu; als Tierfutterzusatz ... Auf alle Fälle ist es eine gute Alternative zum Nitratdünger. Der schadet nämlich dem Boden und dem Grundwasser."
Gleich neben dem Rebler stand ein riesiger Bottich. In ihn wurde vom Rebler ausgehend durch einen Schlauch eine Art Weinbeerenbrei gepumpt. Wilhelm zeigte darauf und erklärte: "Das ist das erste Zwischenprodukt nach dem Rebeln, die Maische. Hier entwickelt sich aber bereits schon das Bukett des späteren Weines. Ja, und hier sieht man auch den zweiten Schritt, das so genannte Maischen. Er besteht darin, dass man die Maische hier in diesem offenen 2.000-Liter-Bottich erst einmal mehr oder weniger sich selbst überlässt. Natürlich, gewisse Handgriffe sind auch da zu erledigen. Aber im Großen und Ganzen muss man hier der Natur das Feld überlassen."
Ein Stück weiter befand sich ein ebenso wie der Rebler silbergrauer, quaderförmiger, oben offener Behälter mit trapezförmigen Schutzblechen. In seinem Inneren drehte sich eine Walze.
"Das ist eine Weinpresse, die mit Luftdruck funktioniert. Das Modell ist übrigens das Neueste, was der Markt zurzeit zu bieten hat. Für das Ding haben wir ganz schön ablegen müssen. Hier in dem Gerät folgt dann der Schritt nach dem Rebeln und dem Maischen, und zwar das Pressen oder Keltern. Die Maische wird jetzt weiter bearbeitet. Hierbei gibt es übrigens einen Unterschied zwischen Weißwein und Rotwein. Rotweintrauben, wie die hinter uns, bleiben als Maische einige Tage im Bottich stehen. Das hat zwei Gründe. Und zwar kommt es dabei zu einer Vorgärung, und gleichzeitig gehen die Farbstoffe der Schale in Lösung. Die Länge der Vorgärung bestimmt deswegen auch die Farbe des Weines. So entsteht durch eine kurze Vorgärung zum Beispiel die helle Farbe von Rosé-Weinen. Und je dunkler die Farbe vom fertigen Wein werden soll, umso länger muss die Maische klarerweise stehen.
Bei Weißweintrauben übergeht man diesen Schritt des Maischens. Sie werden sofort gepresst, und der Most, also der Teil der Maische, auf den es ankommt, fließt in einen speziellen Behälter.
Ja, und was jetzt wieder die Kette in der Weinentwicklung betrifft, ist der vierte logische Schritt dann die Hauptgärung, die man hier jetzt allerdings schon nicht mehr sieht. Der Most kommt dann sowohl bei Weißweinen als auch bei Rotweinen etwa eine Woche lang in ein unverschlossenes Fass. Er wird dabei zu 'Sturm'. Der Name kommt daher, da während dieser Zeit unter stürmischer Kohlendioxydentwicklung der Traubenzucker in der Flüssigkeit mit Hilfe von Hefe umgewandelt wird."
"Gibt es 'Sturm' eigentlich nur von weißen Trauben?" fragte ich Wilhelm.
Er schüttelte den Kopf. "Es gibt roten 'Sturm' genauso. Allerdings sind weiße Trauben dazu besser geeignet." Gleich darauf fiel es mir wieder ein, dass ich auf dem Weinlesefest in den Tagen zuvor ja auch roten 'Sturm' getrunken hatte.
"'Sturm' im Allgemeinen ist übrigens auch ziemlich gesund. Er enthält wichtige Mineralstoffe wie Kalium, Calcium und Magnesium. Und auch sonst hat er sehr viel, was der Körper braucht, zum Beispiel Eisen oder Vitamin-B-Komplex.
Und um wieder auf die Gärung zurückzukommen: Rotwein muss auch schon vorher in der Maische gären", nahm Wilhelm seinen Faden von zuvor wieder auf. "Dabei muss er außerdem auch zwei- bis dreimal täglich untergetaucht werden, da sonst die Beeren immer wieder aufsteigen.
Der fünfte Schritt ist die Nachgärung. In der Phase entwickeln sich die Aromastoffe des Weines und es entsteht der Jungwein.
Der sechste und mehr oder weniger letzte Schritt besteht in der Reifung oder Alterung, wie es auch ausgedrückt wird. Die Aromastoffe, die während der Nachgärung entstanden sind, entwickeln sich jetzt voll und ganz. Einige Weine werden während dieser Zeit auch in Fässern aus französischer Eiche gelagert. Sie sollen dadurch zusätzlich noch Aromastoffe des Holzes annehmen. Wein, der so ausgebaut wird, wird umgangssprachlich daher auch 'Oachana' genannt, also 'zu Deutsch' Eichener. Und das Verfahren dazu ist der so genannte Barrique-Ausbau. Der ist zurzeit sehr im Kommen. Fassbinder, die sich darauf spezialisiert haben, machen momentan gute Geschäfte. In Hollabrunn zum Beispiel gibt es eine Firma, die solche Fässer herstellt. Von dort beziehen wir auch unsere. In so ein Fass kann man übrigens nur dreimal eine Ernte einfüllen, dann ist es ausgelaugt."
Wilhelm ging zu einem offenen Behälter mit Traubensaft. Er nahm von irgendwoher ein leeres Glas, schöpfte damit aus dem Behälter, überreicht es mir und sagte: "Das ist ganz frischer Most von den Trauben, die wir gerade erst gelesen haben." Ich trank das Glas leer.
In einer Ecke des Raumes fiel mir ein kleiner, altertümlicher Eisenpflug auf. "Das ist unser 'Selbstmörder'", erklärte mir Wilhelm, als er mein Interesse bemerkte. "Mein Großvater hat mit ihm noch gearbeitet."
"Selbstmörder?" wiederholte ich.
"Ja, das heißt hier in der Gegend so. Ich weiß auch nicht, warum."

Kapitel 39. 11.: Im Weinkeller

Er verließ den Raum in einen angrenzenden Gang. Ich folgte ihm. Nach einer gewissen Zeit erweiterte sich der Gang zu einem um einiges breiteren Stollen. An seiner rechten Seite stand ein Holzweinfass neben dem anderen. "Das sind Fässer von ganz früher", erklärte Wilhelm. "Sind teilweise schon über 200 Jahre alt." Er zeigte auf eine eingeschnitzte Nummer auf der Stirnseite eines Fasses und sagte dazu: "Das ist die Literzahl. Darunter befindet sich die Jahreszahl. Früher sind die Fässer vom Eichamt in Retz geeicht worden. Heute macht das der Fassbinder gleich mit."
Wilhelm ging zum Eingang eines schmaleren Stollens, der an der linken Wand gleich ganz vorn abzweigte. "Jetzt kommt das Allerwichtigste", kündigte er mir an. Wir gingen eine Weile durch den in den Sand gegrabenen, schmalen Weg geradeaus. Dann erschien auf einmal auf der rechten Seite ein schmiedeeisernes Gittertor mit allerhand Verzierungen. "Das Allerheiligste", sagte Wilhelm und zeigte darauf. Ich sah durch die Metallstäbe hindurch. Eine mittelgroße, dunkle Halle lag dahinter. "Ach so, das Licht hätte ich jetzt fast vergessen", fiel es ihm ein. Gleich darauf drückte er auf einen Schalter an der Wand. Schlagartig wurde es innen hell. Nun konnte ich auch genauer sehen, was in dem Raum war. Etliche gemauerte Regale standen in ihm. In ihnen wiederum lagen unzählige, mit den Böden nach vorn zeigende, goldgelb und dunkelblau schimmernde Weinflaschen. "Unsere gesamten Weinvorräte", erklärte mir Wilhelm. "Der Raum ist übrigens gegen so ziemlich jede denkbare Naturkatastrophe geschützt. Wir haben mal einen Geologen bestellt, der hat uns die Stelle ermittelt. Und nach seinen Messergebnissen haben wir dann den Raum hier graben lassen."

Kapitel 39. 12.: In der Schnapsbrennerei

Bereits im Keller hatte mir Wilhelm angekündigt, dass er mir als nächstes die Brennerei zeigen wollte. Danach hatten wir den Keller verlassen, da sich der Raum dafür auf dem Hof befand. Auf dem Hof waren wir dann zu einer Tür in dem Gebäudetrakt gegenüber vom Wohnbereich gegangen.
Wilhelm holte ein Schlüsselbund aus der Tasche, steckte einen der Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Ein Raum voll mit allen möglichen Gerätschaften tat sich auf. "Ja, hier stellen wir unsere Spirituosen her." Er zeigte dann nach links und erklärte: "Im Wesentlichen besteht die Anlage aus zwei Teilen. Hier in dem Bereich findet die erste Destillation statt, der so genannte Roh- oder Raubrand." Danach zeigte er in den hinteren Teil des Raumes. "Dort hinten geschieht danach die zweite Destillation. Bei ihr wird dann vom Rohbrand der so genannte Vor- und Nachlauf abgeschieden.
Wir stellen hier verschiedene Brände und Liköre her. Eine Hauptrolle spielt dabei sicherlich der Tresterbrandwein. Wie der Name schon sagt, hat das etwas zu tun mit Trebern, den Rückständen bei der Weinverarbeitung, die wir vorhin im Keller gesehen haben. Früher hat man dafür mal die leeren Stiele destilliert. Heute ist das nicht mehr erlaubt. Stattdessen werden dafür nur noch die Pressrückstände verwendet, die nach dem Weinpressen zurückbleiben. Die Trebern werden, wie schon erwähnt, wieder dem Boden im Weingarten zugeführt.
Grappa, dieser bekannte italienische Schnaps, von dem du sicher auch schon gehört haben wirst, ist übrigens von der Art her genau dasselbe. Das ist im Grunde auch ganz normaler Tresterbrand, bloß halt unter einer markenrechtlich geschützten Bezeichnung.
Ansonsten produzieren wir hier noch Birnen- und Kirschbrandwein, Ribisel-, Heidelbeer- und Brombeerliköre. Alles von Früchten aus der unmittelbaren Umgebung. Darauf legen wir besonderen Wert."

Kapitel 39. 13.: In der Strohweinproduktion

Gleich neben dem Eingang zur Brennerei öffnete Wilhelm eine weitere Tür. Ein Raum tat sich auf, in dem sehr viel Stroh lagerte. "Hier machen wir unseren Strohwein", erklärte er. "Die Trauben werden auf dem Stroh ausgebreitet. Wenn sie platzen, geht die Feuchtigkeit ins Stroh über. Auf die Art schimmeln sie nicht und gleichzeitig nehmen sie Geschmacksstoffe des Strohs mit an."
"Und wohin gehen wir jetzt?" fragte ich Wilhelm, nachdem wir den Raum verlassen hatten.
"In die Vinothek. Dort essen wir noch ein bisschen was, bevor euch der Papa wieder heimführt."

Kapitel 39. 14.: In der Vinothek

Wilhelm begann, quer über den Hof in Richtung Wohntrakt zu gehen. Nachdem wir wenige Augenblicke später dort angekommen waren, traten wir zur Haustür ein. Ein kleiner, horizontal verlaufender Flur schloss sich an. Ohne Zeit zu verlieren, betrat Wilhelm einen Raum schräg links gegenüber der Haustür und schaltete das Licht an. Ich folgte ihm.
Die Tür führte in die Vinothek, wie sich herausstellte. Am anderen Ende des Raumes befand sich gerade der Rafinger Arbeiterkammerrat Bruno Teufel. Er unterhielt sich mit Wilhelms Vater. Kurz nachdem wir eingetreten waren, verabschiedete er sich und ging zur Tür am anderen Ende der Längswand hinaus.
Ich begann, mich umzusehen. Es war ein fensterloser, mittelgroßer Raum mit weißgekalkten Wänden. Dominierend wirkt in ihm das lange, aus unverputzten, mit der Stirnseite nach vorn zeigenden Ziegelsteinen bestehende Weinflaschenregal. Es erstreckte sich fast über die gesamte Ausdehnung der Längswand gegenüber der Tür. In ihm befanden sich sechs übereinanderliegende Reihen rundbogenfensterförmiger Flaschenboxen. Verschiedene Ziergegenstände befanden sich oben auf dem geraden Rand der Boxenreihe. Saubere, leere Weinflaschen mit besonderen Etiketten. Ein kleines Holzmodell einer alten Weinpresse. Einige Trockengestecke. An der Wand darüber hingen Bilderrahmen mit allem Möglichen drin.
"Wir betreiben hier Weinvermarktung auf Kommissionsbasis für etliche andere Weinbauern in der Gegend", begann Wilhelm zu erklären. "Natürlich nicht nur aus reiner Menschenliebe. Denn je breiter das Angebot bei uns ist, umso mehr Gründe haben die Leute, bald wiederzukommen. Darum haben wir zwischen den Weinen von anderen Weingütern auch immer wieder an strategisch günstigen Stellen Sachen von uns platziert, so, dass die Leute regelrecht darüber stolpern müssen.
Wir haben hier praktisch alle wichtigen Weinsorten, die in Österreich zugelassen sind. Bei den Weißweinen sind das in unserem Fall der Grüne Veltliner, der Müller-Thurgau, auch als Riesling-Sylvaner bezeichnet, Welschriesling, Weißburgunder, Neuburger, Frühroter Veltliner, der auch Malvassia genannt wird, Rheinriesling, Muskat Ottonel, Gelber Muskateller, Traminer, Bouvier, Ruländer und Zierfandler. Der Zierfandler ist übrigens typisch für die Gegend um Gumpoldskirchen bei Wien. Von dort haben wir ihn auch. Er stammt von einem Weinbauer dort, den wir gut kennen. Er verkauft im Gegenzug dafür wieder verschiedene Sachen von uns.
Die Rotweinsorten, die wir hier stehen haben, sind der Blaue Portugieser, der Blaufränkische, der Zweigelt, der St. Laurent, der Blaue Burgunder und der Merlot.
Geben tut es, sowohl bei Rot- wie bei Weißweinen, natürlich weitaus mehr, das sind heutzutage weltweit etwa 8.000. Aber wie gesagt, die wichtigsten in Österreich zugelassenen Sorten haben wir hier lagernd. Eine dominierende Rolle spielt dabei freilich der Grüne Veltliner, weil er ja mit weitem Abstand die wichtigste Sorte im Weinviertel ist.
In den nächsten Jahren werden sicherlich einige Sorten dazukommen. Es geht im Weinbau, wie es im Obstbau schon länger der Fall ist, mehr und mehr die Entwicklung dahin, dass eine Menge alter Weinsorten, welche im Zuge der früheren Massenproduktion verschwunden sind, jetzt im Rahmen einer qualitätsorientierten Produktion wieder sehr im Kommen sind. Vor allem auf gebietstypische alte Sorten besinnt man sich wieder. Und sobald dafür auch die rechtlichen Grundlagen gesichert sind – im Moment ist das noch eher eine Experimentierphase – werden wir auf jeden Fall auch mit unserem Angebot darauf reagieren."
"Jetzt liegt mir mal eine ganz dumme Frage auf der Zunge. Das hat mich schon öfter beschäftigt und ich wusste bisher bloß nicht, wo ich mich da kundig machen könnte. Und zwar: Wieso werden Weinflaschen eigentlich immer liegend gelagert?"
"Doamit da Kork feicht bleibt. Dea darat sunst in 'n Wein einekriameln. Un auf de Oat koa auch ka Luft in de Floaschn einedringan un se in da Floaschn ka Schimmel büdn, wäü da Kork hoalt imma feicht bleibt. Woas oandres isses bei Schnoapsfloschn. De miassn senkrecht gloagat wean, wäü da Inhalt 'n Kork sunst zafressn darat." Mir fiel auf, dass Wilhelm inzwischen wieder in Dialekt verfallen war.
Ich begann mir die Bilderrahmen über dem Weinflaschenregal anzusehen. Vor allem Auszeichnungen befanden sich darin: 1. Platz bei Bundesweinmesse, verschiedene Landessieger, "Salon österreichischer Weine"... Wilhelm zeigte auf eine in französischer Sprache abgefasste Urkunde in der Mitte. "Doa haum ma amoi bei am Wettbeweab in da Champagne an drittn Ploatz gmoacht."
Neben den Urkunden hingen alle möglichen künstlerischen Fotos zum Thema Wein und Weinbau. Aufnahmen von einzelnen Weintrauben, von Weingärten, eine Schwarzweiß-Fotostudie von einer Ansammlung Flaschenkorken.
Relativ zentral hing ein Rahmen, in dem sich ein mit Tuschfeder gezeichnetes Plakat befand, welches auf Absatz- und Vermarktungsinitiativen der Familie hinwies. "Wir sind Mitglied bei:
Winzerinitiative 'Matthias Corvinus'
Hauervinothek Weinschlößl
Ernteverband
'Direkt vom Weinbau und Kellermeister'
Bauernladen 'Retzer Land'",
hieß es auf ihm.
Am Rand der Mauer nach den Fotografien fiel mir eine Urkunde auf, die die Zeichnung eines altmodischen Fahrrades und den Namen "Alois Burgstaller" trug. "Mei Groaßvoada hoat amoi bei ana Rallay vuan Wean auf Brünn teilgnumman", erklärte Wilhelm. "Dös doa is sei Teilnehma-Uakundn. 1924 woa dös."
Daneben hing ein älteres Schwarz-Weiß-Foto. Es zeigte ein junges Mädchen in Tracht und mit einem Krönchen im Haar. Vielleicht 18 Jahre mag es wohl alt gewesen sein, als die Aufnahme entstand. Im Gesicht wies es ähnliche Züge wie Magda auf.
Wilhelm bemerkte mein Interesse und erklärte: "De Mama woa amoi Gebietswinzerkeenigin, seinazeit, im Neinasechzgajoah."
Frau Burgstaller kam ins Zimmer. "De Magda deckt noachhea 'n Tisch", kündigte sie an. "In ungefeah ana Viatlstund kenn ma Essn."

Kurze Zeit später saßen Frau Burgstaller, Wilhelm, Mutter und ich an dem langen Tisch in der Mitte der Vinothek beim Essen. Magda hatte ein geflochtenes Körbchen mit Brotscheiben, eine Platte mit Käse- und Aufschnittscheiben, mehrere Schüsseln Aufstrich und eine Schüssel Weintrauben hingestellt und als Teller runde Holzbrettchen, wie sie auch in Heurigen üblich waren. Wilhelm hatte inzwischen damit begonnen, Besonderheiten bei der Weinverkostung zu erklären.
"... Es fängt schon bei der Auswahl der Gläser an. So können sich zum Beispiel in nach oben leicht apfel- oder tulpenförmig verengten Gläsern die Duftstoffe des Weines besonders gut sammeln, so dass man sie mit der Nase gut wahrnehmen kann.
Der nächste Schritt ist dann das Dekantieren, also das Einschenken. Dazu gäbe es auch eine ganze Reihe von Dingen zu sagen, aber den Punkt übergehe ich jetzt mal, weil das sonst zu weit führen würde.
Ja, und nachdem der Wein dann ins Glas geschenkt wurde, folgt als nächstes die optische Beurteilung des Weins. Zwei wesentliche Punkte dabei sind die Klarheit und die Farbe.
Ich komme erst mal zum Thema Klarheit. Um die Klarheit eines Weines erkennen zu können, hält man das Glas gegen eine Lichtquelle, im Idealfall natürlich Tageslicht. Ein klarer Wein wird selbst Licht reflektieren und so eine Qualität aufzeigen. Wenn der Wein eine Trübung durch Trübstoffe hat, ist er meistens fehlerhaft. Ausnahmen sind dabei der 'Sturm' und der 'Staubige' – das ist ein 'Sturm' in einem sehr späten Stadium, kurz bevor er zum Jungwein wird.
Zur Farbe gäb's eigentlich nichts weiter zu sagen, als dass da die verschiedensten Bezeichnungen existieren und dass für Weißwein, Rotwein und Roséwein jeweils andere gelten. Die Farbtöne vom Weißwein unterscheidet man nach grünlich-gelb, strohgelb, goldgelb, altgold und bernstein- bis braunfarbig. Bei Rotwein geht das Farbspektrum von hellrot über purpurrot, rubinrot, granatrot bis hin zu dunkelrot. Und beim Roséwein heißen die Ausdrücke blass-rosa, hellrosa, zart-kirschrosa und zwiebelfarbig.
Der nächste Punkt ist dann die Beurteilung des Geruchs. Dabei wird das Glas zunächst ruhig gehalten und der Duft eingeatmet. Dann schwenkt man das Glas in Form einer auf dem Boden liegenden Sechs, damit sich die Duftstoffe oder wie man mit einem Fachbegriff sagt, das Bukett, besser entfalten kann. Das Schwenken ist übrigens auch noch einmal eine gute Gelegenheit zur Beurteilung, da die Farbe beim Neigen vom Glas besonders gut erkennbar wird.
Auf die Geruchsbeurteilung kommt dann schließlich das Verkosten. Man nimmt dabei einen Schluck und verteilt ihn mit der Zunge gleichmäßig im Mundraum. Für den Geschmack gibt es auch wieder verschiedene Bezeichnungen. Zunächst wäre mal dazu zu sagen, dass die Zunge ja die vier Grundgeschmacksrichtungen süß, salzig, sauer und bitter wahrnehmen kann. Und danach richtet sich im Großen und Ganzen auch das Vokabular. Den sauren Geschmack umschreibt man mit mild, frisch, rassig und säurebetont, beziehungsweise, wenn man es negativ meint, schal, sauer, spitz und grün.
Beim bitteren Geschmack ist die Einteilung genauso. Da gibt es die positiven Begriffe samtig, zartherb und herb und den negativen Begriff rauh. Beim süßen Geschmack sind die Bezeichnungen unabhängig vom persönlichen Geschmack allgemeingültig geregelt. Und zwar ist das abhängig vom Restzucker in Gramm. Bei null bis vier Gramm sagt man trocken, bei vier bis acht halbtrocken, und ab acht Gramm süß, lieblich oder edelsüß. Alles, was an Restzucker darüber hinausgeht, bezeichnet man dann kritisierend als 'picksüß'.
Eine wichtige Rolle beim Geschmack spielt auch die Harmonie des Weines. Wesentlich für die Qualität ist nämlich, dass der Wein harmonisch schmeckt; das heißt, im Wein soll ein möglichst perfektes Gleichgewicht zwischen Säure, Süße und den übrigen Komponenten bestehen. Positive Bezeichnungen der Harmoniebeurteilung heißen harmonisch, fruchtig, elegant, negative klein und unharmonisch.
Nicht unwesentlich für den Geschmack sind auch die Entwicklungsstadien des Weines. Sie werden nacheinander mit den Begriffen jung, entwickelt, reif, abgebaut und passé bezeichnet.
Ja, und der letzte Beurteilungspunkt beim Wein ist dann schließlich der Abgang. Das ist die Bezeichnung für den Nachgeschmack des Weines, mundartlich auch 'Schwaaf' genannt, auf Hochdeutsch 'Schweif'. Dazu gilt die Grundregel: Je länger der Abgang, desto besser der Wein."
"Stimmt es eigentlich, was man oft hört, dass Wein umso besser sei, je älter er ist?"
Er schüttelte den Kopf. "Jede Weinart erreicht ihren optimalen Reifegrad zu einem anderen Zeitpunkt. Danach nimmt die Qualität wieder ab. Einfache Weine wie der Müller-Thurgau haben nach einjähriger Lagerung ihre optimale Genussreife und sind etwa vier Jahre haltbar. Qualitativ höherstehende Weine, wie zum Beispiel Muskat-Ottonel, Neuburger und Blauburgunder erreichen den Zustand erst nach mehrjähriger Lagerung. Sie sind meistens 15 Jahre haltbar."
Danach stand er von seinem Platz auf, nahm den Korkenzieher, setzte ihn auf einer Weinflasche neben sich an und begann zu schrauben. "Der nächste Wein, den wir jetzt verkosten werden", kommentierte Wilhelm den Schritt, "ist ein Blauburger Prädikatswein Jahrgang 1992, auch wiederum vom Weingut Burgstaller in Pulkau."
Nachdem Wilhelm allen eingeschenkt und sich wieder auf seinen Platz gesetzt hatte, fragte ich ihn: "Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Qualitätsweinen und Prädikatsweinen?"
"Das ist eine längere Geschichte. Willst du sie in voller Ausführung hören?"
"Klar. Bei mir wird sicherlich höchstens ein Zehntel davon hängenbleiben, aber das ist zumindest mehr als gar nichts."
"Gut, also fangen wir mal mit den Qualitätsweinen an. Sie müssen prinzipiell zunächst einmal aus einer Weinbauregion stammen, von einer zugelassenen Rebsorte sein. Sie dürfen also nicht mit anderen Weinen verschnitten werden. Sie müssen harmonisch und frei von Fehlern sein. Und was das Etikett betrifft, gibt es auch einen Haufen spezieller Vorschriften.
Man unterscheidet dabei weiters zwischen Qualitätsweinen im engeren Sinne und Kabinettweinen. Qualitätsweine im engeren Sinn müssen mindestens 15 Klosterneuburger haben und dürfen aufgezuckert werden, wenn der Zuckergehalt zu gering ist. Kabinettweine müssen mindestens 17 Klosterneuburger haben und dürfen im Gegensatz zu den Qualitätsweinen im engeren Sinne nicht aufgezuckert werden.
Was schließlich die Prädikatsweine anbelangt, so müssen sie mindestens einmal alle Kriterien der Kabinettweine erfüllen. Sie müssen frei von Zusätzen wie Zucker, Trauben- oder Traubendicksaft sein. Die Leseabsicht und Erntemenge muss bei der Bezirkshauptmannschaft angemeldet werden.
Bei den Prädikatsweinen gibt es gleich etliche Unterteilungen, die sich nach dem Lesezeitpunkt richten.
Als Erstes kommt die Spätlese, das heißt die Trauben werden erst nach der allgemeinen Lese geerntet. Solche Weine müssen mindestens 19 Klosterneuburger haben.
Die nächste Stufe ist die Auslese, das ist eine normale Spätlese, bei der man sich jedoch die Arbeit antut, alle fehlerhaften und unreifen Beeren auszusortieren. Hier müssen es mindestens 21 Klosterneuburger sein.
Noch eine Stufe nobler sind die Beerenausleseweine mit wenigstens 25 Klosterneuburger. Dabei handelt es sich um eine Auslese aus überreifen und edelfaulen Trauben aus guten Lagen.
Ebenfalls mindestens 25 Klosterneuburger sind für die Eisweine vorgeschrieben, bei denen die Trauben erst im gefrorenen Zustand bei etwa minus sieben Grad Celsius geerntet werden dürfen.
Die vorletzte Stufe sind Ausbruchweine, die ausschließlich aus edelfaulen Beeren erzeugt werden und mindestens 27 Klosterneuburger haben müssen.
Und das Nobelste sind dann Trockenbeerenausleseweine, die aus edelfaulen, rosinenartig eingeschrumpften Beeren hergestellt werden und mindestens 30 Klosterneuburger aufweisen müssen.
Neben Qualitäts- und Prädikatsweinen existiert als dritte Qualitätsstufe dann noch der Tafelwein, der qualitätsmäßig vor den beiden liegt. Den unterteilt man wieder in Landwein und in Tafel- oder Tischwein. Er wird zum Beispiel oft als Messwein bei der Kommunion verwendet. Er ist, wie gesagt, von der Herstellung her das Einfachste. Ich würde allerdings nicht unbedingt sagen, auch das Schlechteste. Denn wenn man seine Sache ordentlich macht, dann achtet man in jeder Qualitätsstufe auf eine gewisse Qualität.
So, aber jetzt – Zum Wohl!" Er erhob das Glas, alle anderen folgten seinem Beispiel.
Ich verfolgte den Verlauf des am Glasinneren herunterfließenden Weines. "Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen den großen, breiten und den kleinen, engen Schlieren, die der Wein hinterlässt, nachdem man den Sechser geschwenkt hat?"
"Hauptsächlich in der Reifung", antwortete mir Wilhelm. "Wenn der Wein große Torbögen – Kirchenfenster sagen wir auch dazu, weil die ausschauen wie Kirchenfenster – macht, dann ist er gehaltvoller. Der Alkoholgehalt und der Anteil der Gärungsnebenprodukte sind höher."

Während des Essens hatten wir alles Mögliche über die Verhältnisse zu DDR-Zeiten berichten müssen. Das Gespräche war davon dann auf die Ost-West-Problematik direkt vor Ort gekommen: " ... Frija woa dös joa woas goanz Noatialiches, hiniwazumfoahn un vuan dribn hiahea", erzählte Frau Burgstaller. "Mei Groaßvoada zum Beispüh is nau mitm Foahrradl auf Znaam umegfoahn, wäü 's doa scho eher a Kino gebn hoat ois hia. Oba de Zeitn hoab i scho goa nimma meah kennangleant. I bin Joahgoang 1951 un doahea hoab i de Grenzn scho nua meah ois seah unduarchlessig dalebt.
Drum haum mia dös daham a imma ziemli gnau vafoigt, waun si dribn iagndwoas tan hoat mit Demokratisierung. I koa mi zum Beispüh no gnau droan eainnan, wie i 's easchte Moi doavuan gheert hoab, ois dribn, ois dös nau de Tschechoslowakei woa, de 'Charta 77' gegrindet wuadn is. I waaß no, dös woa auf den Toag, ois i mit da Magda noach da Entbindung ausm Spitoi in Hollabrunn hamkumman bin. Untawegs haum ma im Autoradio a Sondamödung iwa dös gheat. Un doann hoat fia 'n Rest des Toages bei uns iagndwie a bisserl a komische Stimmung gherrscht. Anaseits haum ma si iwas Maderl gfreit, owa auf da oandan Seitn haum ma a bisserl Oangst ghoabt, doass wieda sowoas wie Oachtasechzg gschiacht oda nau eaga. I waß net, ob S' vuan dem scho geheat haum. Doamois hoat ma in Retzbach mit bloßm Aug de sowjetischn Poanzer auf da herieberen Seit sengan kennan. Un 's hoat a toatsächlich Pläne gebn, 'n Ostn vuan Eestreich oazugreifn. Dös haum ma owa eascht noach Neinaoachzg dafoahn."

Kapitel 39. 15.: Heimfahrt nach Retz

Draußen war es schon Nacht geworden, als wir das Haus verließen. An mehreren Stellen des Hofes brannten Lampen, sodass trotz Dunkelheit alles in ihm erkennbar war. Schräg gegenüber der Haustür stand der Kleinbus, mit dem wir bereits hergekommen waren. Nachdem wir uns von Frau Burgstaller verabschiedet und uns für alles bedankt hatten, war sie wieder zurück ins Haus gegangen.
Wilhelms Vater bewegte sich danach in Richtung Bus und öffnete die hintere Tür. Ich stellte zunächst die zwei Eimer Weintrauben, die uns Wilhelms Mutter noch mitgegeben hatte, auf den Boden vor der ersten Sitzreihe hinter dem Fahrersitz. Anschließend setzte ich mich selbst hinein und schob sie bis ganz an den Rand. Zuletzt legte ich die zwei Flaschen Eiswein, die wir ebenfalls bekommen hatten, so auf den Sitz, dass sie nicht herunterfallen konnten.
Kurz darauf stieg Wilhelms Vater ein und startete den Wagen.

Bürgerreporter:in:

Christoph Altrogge aus Kölleda

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