Fotografie und Recht: Von geklauten Bildideen und anderen Werken
Die Idee für diesen Beitrag lieferte ein ebenfalls fotografierender Bekannter. Er wollte eine Aufnahme zu einem Fotowettbewerb einschicken. Noch bevor er dazu kam, sah er in einem Kalender ein Foto. Fatal: Das selbe Motiv, fast die selbe Perspektive, jedenfalls die gleiche Bildidee. War es das dann, durfte er sein verdammt ähnliches Bild denn bei dieser Sachlage noch verwenden? Oder musste er damit rechnen, als „Bilderklauer“ eingestuft zu werden? Wir unterhielten uns darüber, ich vertrat die Ansicht, er könne ruhigen Gewissens sein Foto gleichwohl einsenden. Aber das war mehr so ein Gefühl aus dem Bauch heraus. Hier will ich jetzt versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen. Als Fotografen sind wir von der Frage gleich von Seiten aus betroffen. Einmal wenn wir feststellen müssen, dass ein anderer Fotoamateur unserer Bildidee quasi kopiert hat; oder, wenn - wie im Fall meines Freundes - jemand anderes schon vorher auf den gleichen Gedanken für so ein Foto gekommen ist.
Auslöser meines ersten Artikels zum Thema „Fotografie und Recht“ war die Erkenntnis, dass derjenige im Internet sehr schlechte Karten hat, der zu sehr auf die in Deutschland geltende Panoramafreiheit vertraut und munter Bilder von Objekten ins Netz stellt, die in anderen Ländern noch geschützt sind. Eigentlich sollte es dabei bleiben. Nun ist es doch eine ganze Serie von Beiträgen geworden. Fast alle der im Einstieg zum ersten Artikel erwähnten rechtlichen Probleme habe ich mittlerweile zumindest kurz angesprochen. Fast alle. Es fehlt nur noch das Thema „Kopieren oder Nachstellen von Kunstwerken“.
Ausgangspunkt unserer Überlegungen soll wieder das bundesdeutsche Recht sein. Bei unseren fotografischen Auftritten im Netz müssen wir uns aber immer bewusst sein, dass die eingestellten Fotos international zugänglich sind. Zu welchen Problemen das führen kann, habe ich in dem ersten Artikel zur „Panoramafreiheit im Internet“ versucht aufzuzeigen.
Der Urheber hat das Recht zu bestimmen, ob und wie sein Werk zu veröffentlichen ist, § 12 Urhebergesetz (UrhG). Er hat zu dem das ausschließliche Recht, sein Werk in körperlicher Form zu verwerten; insbesondere das Vervielfältigungs-, das Verbreitungs- und das Ausstellungsrecht (§§ 15 ff. UrhG). Von bestimmten Ausnahmen im Rahmen der Berichterstattung für Medien (§ 50 UrhG), der Verwendung als Zitat (§ 51 UrhG) oder eben der Panoramafreiheit (§ 59 UrhG) habe ich schon an anderer Stelle gesprochen. Hier geht es heute um die „freie Benutzung“ und um das Nachstellen von Bildideen.
Zu Anfang ein klares Beispiel. Wir sehen eine schöne Plastik oder eine Skulptur, finden die Haltung der dargestellten Figur toll und stellen die ganze Sache mit Hilfe eines Models fotografisch nach. Oder uns gefällt ein Gemälde und auch das setzen wir durch möglichst genaue Übernahme des Motivs in ein Lichtbildwerk um. Bei diesem Beispiel gibt es keine Probleme hinsichtlich der Frage, ob das Ursprungsobjekt nur als Kunst urheberrechtlich geschützt ist oder nicht, außerdem wurde ganz bewusst eben kopiert. Geht das so einfach? Oder kann der Bildhauer oder Maler uns die Freude an dem fotografischen Werk vermiesen?
Zu dieser Frage schauen wir uns einmal die Paragraphen 23 und 24 des Urhebergesetzes an. In § 23 heißt es: „Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen des Werkes dürfen nur mit Einwilligung des Urhebers des bearbeiteten oder umgestalteten Werkes veröffentlicht oder verwertet werden. Handelt es sich um eine Verfilmung des Werkes, um die Ausführung von Plänen und Entwürfen eines Werkes der bildenden Künste, um den Nachbau eines Werkes der Baukunst oder um die Bearbeitung oder Umgestaltung eines Datenbankwerkes, so bedarf bereits das Herstellen der Bearbeitung oder Umgestaltung der Einwilligung des Urhebers.“ Aber es gibt daneben den § 24 UrhG. Dort regelt Absatz 1: „Ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, darf ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden.“
Wir müssen also zwischen Bearbeiten (= verboten) und freier Benutzung (= erlaubt) unterscheiden.
Rechtlich gesehen ist der Unterschied zwischen den beiden Begriffen recht einfach. Wenn das Ausgangswerk in einer Weise bearbeitet wird, dass dadurch ein neues Werk selbstständiges Werk entsteht, liegt eine freie Benutzung vor, andernfalls nicht. Was so einfach klingt, kann tatsächlich schwierig einzuschätzen sein. Denn: wann handelt es sich schon um ein eigenständiges neues Werk und wann nicht?
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Urteil vom 11.03.1993 (Az.: I ZR 264/91) dazu Folgendes ausgeführt: „Eine nach § 24 UrhG zulässige freie Benutzung eines geschützten älteren Werkes kann nur angenommen werden, wenn das neue Werk gegenüber dem benutzten Werk selbständig ist. Maßgebend dafür ist der Abstand, den das neue Werk zu den entlehnten eigenpersönlichen Zügen des benutzten Werkes hält. Dabei ist kein zu milder Maßstab anzulegen. Eine freie Benutzung setzt daher voraus, dass angesichts der Eigenart des neuen Werkes die entlehnten eigenpersönlichen Züge des geschützten älteren Werkes verblassen. In der Regel geschieht dies dadurch, dass die dem geschützten älteren Werk entlehnten eigenpersönlichen Züge in dem neuen Werk in der Weise zurücktreten, dass das neue Werk nicht mehr in relevantem Umfang das ältere benutzt, so dass dieses nur noch als Anregung zu neuem, selbständigem Werkschaffen erscheint. Eine freie Benutzung ist aber nicht nur dann anzunehmen, wenn die aus dem geschützten älteren Werk entlehnten eigenpersönlichen Züge in dem neuen Werk in einem eher wörtlichen Sinn verblassen und demgemäß in diesem so zurücktreten, daß das ältere in dem neuen Werk nur noch schwach und in urheberrechtlich nicht mehr relevanter Weise durchschimmert. Wäre eine freie Benutzung nur in dieser Weise möglich, wären der künstlerischen Auseinandersetzung mit noch geschützten Werken, sei es in der Form der Parodie, sei es in anderer Form zu enge Schranken gesetzt. Denn eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem älteren Werk kann es erforderlich machen, dass dieses und seine Eigenheiten, soweit sie Gegenstand der Auseinandersetzung sind, in dem neuen Werk erkennbar bleiben. Der für eine freie Benutzung erforderliche Abstand zu den entlehnten eigenpersönlichen Zügen des benutzten Werkes kann - selbst bei deutlichen Übernahmen gerade in der Formgestaltung - auch dadurch gegeben sein, dass das neue Werk zu den entlehnten eigenpersönlichen Zügen des älteren Werkes aufgrund eigenschöpferischen Schaffens einen so großen inneren Abstand hält, dass das neue Werk seinem Wesen nach als selbständig anzusehen ist. Auch in einem solchen Fall "verblassen" in einem weiteren Sinn die entlehnten eigenpersönlichen Züge des älteren Werkes in dem neuen; sie werden von dessen eigenschöpferischem Gehalt "überlagert". In der Regel wird der dazu erforderliche innere Abstand zu entlehnten eigenpersönlichen Zügen eines älteren Werkes bei einer weitgehenden Übernahme in der Formgestaltung nur dann gegeben sein, wenn sich das neue Werk mit dem älteren auseinandersetzt, wie dies etwa bei einer Parodie der Fall ist. Zwingend ist dies jedoch nicht. Auch in anderen Fällen kann eine freie Benutzung gegeben sein (vgl. dazu auch die in der Entscheidung BGH GRUR 1971, 588, 590 - Disney-Parodie - angesprochene Möglichkeit der Verwendung von Comic-Figuren auf Gemälden). Gerade in einem solchen Fall ist aber eine strenge Beurteilung angebracht, ob das neue Werk derart durch eigenschöpferische Leistung einen inneren Abstand zu den entlehnten eigenpersönlichen Zügen gewonnen hat, dass von einem selbständigen Werk gesprochen werden kann.“
Das, was der BGH zur Übernahme von Zeichnungen in anderen Zeichnungen bzw. Grafiken ausführt, müsste auch entsprechend für eine fotografische Umsetzung gelten. Vorsicht ist nach alledem anzuraten, wenn ein Gemälde etwa in einem Foto exakt nachgestellt wird, so dass eine eigene Aussage des Lichtbildes im Vergleich zum Ausgangsbild nicht erkennbar ist, vielmehr der Fotograf ersichtlich versucht hat, das Arrangement und die Wirkung des Ausgangswerkes mit fotografischen Mitteln möglichst 1 zu 1 zu übernehmen. Im Falle eines Rechtsstreites kommt es letztendlich allerdings immer darauf an, wie das Gericht die Sache würdigt. Meint der Richter, das Ursprungswerk tritt in der Neuschöpfung zurück, ruft lediglich Assoziationen zu dem Vorbild hervor, kopiert dies aber nicht ist alles klar, sieht der Richter die Sache anders, kann es Ärger geben.
Nach so viel Theorie zurück Ausgangsfall. Das war der, wo sich zwei Fotografien ziemlich verblüffend ähnelten. Auch dazu gibt es Rechtsprechung, die uns zur Orientierung dienen kann.
Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg hat in seinem Urteil vom 29.06.1995 (Az. 3 U 302/94) Grundlegendes zu unserem Problem gesagt. Danach ist bei einem Lichtbildwerk das fotografische Motiv grundsätzlich nicht geschützt. Für Stil, Manier, Vorgehensweise oder Einsatz einer bestimmten fotografischen Technik gilt nach Ansicht der OLG-Richter dasselbe. Das Gericht in einem weiteren Fall (Urteil vom 12.10.1995 - 3 U 140/95 -): „Das Urheberrechtsgesetz schützt nicht Ideen, sondern Werke. Nicht auf den Einfall kommt es an, sondern auf seine schöpferische Umsetzung. Selbst eine zum Werkinhalt gewordene Idee ist nicht geschützt, wenn sie zum Gemeingut gehört. Elemente im Lichtbild des Antragstellers, die Gemeingut sind, können, wenn sie im Werk des Beklagten wiederkehren, keine Rechtsverletzung begründen. … Ungeschützt ist der Einfall, einen weiblichen Akt von vorn, auf einem Stuhl sitzend, in der Bildmitte vor einem großflächig gegliederten Hintergrund darzustellen. Ohne Schutz bleibt auch eine bestimmte "Pose". Jeder Künstler darf einen Akt selbstbewusst und kraftvoll in Erscheinung treten und ihn im linken Arm gleichsam "die Muskeln spielen" lassen. Dass es dem Antragsteller gelungen ist, mit "Miss Livingstone" in dieser Pose ein Werk von eigenschöpferischem Rang zu schaffen, bedeutet nicht, dass anderen ein ähnlicher Versuch verboten wäre.“
Nun, das ist ja schon was. Kein anderer Fotograf kann uns vorhalten, wir würden „seine“ Pose kopieren. Allerdings, es gibt Fallstricke. Die Grenze zwischen der Idee (die gefahrlos kopiert werden darf) und der Umsetzung der Idee in eine konkrete Form (die möglicherweise geschützt ist) wird nicht immer eindeutig zu ziehen sein. Je mehr die Idee schon eine bestimmte Form annimmt, umso näher steht sie unter den Schutzschirm des Urheberrechts. Denn die Formschöpfung kann schon ein urheberrechtlich geschütztes Werk sein.
Als Faustregel können wir uns vielleicht merken, je mehr die Vorlage gestaltet wurde (etwa ein bestimmtes Arrangement bei einem Stillleben), umso schneller kann es einem Fotografen, der ein ähnliches Motiv aufnimmt, passieren, dass er nicht nur die Grundidee, sondern das gestaltete Werk selbst kopiert. Andererseits: Die Idee, ein Motiv von einem bestimmten Standort und aus einer bestimmten Perspektive aus darzustellen, wie dies bei Landschafts- oder Architekturaufnahmen (Achtung: die Architektur könnte selbst urheberrechtlich geschützt sein, siehe meine Beiträge zur Panoramafreiheit) der Fall ist, bringt einen nicht so leicht mit dem Gesetz in Konflikt, selbst wenn jemand anderes zuvor schon den gleichen Gedanken hatte. Kein Fotograf, der beispielsweise das Neue Rathaus in Hannover von der anderen Seite des Maschteiches von der kleinen Brücke im Park aus mit Wasserspiegelungen fotografiert hat, kann es Nachfolgern verwehren, sich ebenfalls dorthin zustellen und das Motiv genauso aufzunehmen. Seine Idee für den Aufnahmestandort ist nicht geschützt.
Aber, wie hat schon das Landgericht (LG) Hamburg in seinem Urteil vom 14.11.2008 (Az. 308 O 114/08) gesagt:“ Ob und unter welchen Voraussetzungen Motivschutz bei einem Lichtbildwerk besteht und eine Motivübernahme aus einem solchen Werk eine (unfreie) Bearbeitung im Sinne von § 23 UrhG oder eine freie Benutzung Im Sinne des § 24 Abs. 1 UrhG darstellt, wird nicht einheitlich beurteilt“ (Es wäre ja auch zu schön). Und weiter: „Grundsätzlich dürfte gelten, dass der urheberrechtliche Schutz eines Lichtbildwerkes sich nicht allein auf die Motivwahl beschränkt, sondern auf das mit den Mitteln der Fotografie geschaffene Gesamtbild. Eine rechtsverletzende Übernahme eines Motivs kommt in erster Linie dann in Betracht, wenn der Fotograf das Motiv selbst in einer urheberrechtlichen Schutz begründenden besonderen Weise arrangiert hat und dieses Arrangement mit seinen prägenden schutzbegründenden Gestaltungselementen nachgestellt worden ist mit der Folge, dass der künstlerische Gehalt des nachgemachten Fotos mit dem der Vorlage übereinstimmt.“
Vielleicht noch ein weiteres Beispiel aus der Rechtsprechung (Urteil des OLG Köln vom 05.03.1999 - 6 U 189/97 -).Hier hatte ein Fotograf die Posen eines anderen Fotos durch seine Models nachstellen lassen (männliche Rückenansicht ohne Kopf mit waagerecht ausgebreiteten Armen, Frau in "Klammerhaltung" mit dem Betrachter zugewandtem Gesicht). Anders als oben beim Aktbild mit Stuhl sahen die Richter hier eine Verletzung des Urheberrechtes des ersten Fotografen. Das Gericht meinte bei einem Vergleich beider Aufnahmen: „Das beanstandete Sch.-Foto kommt der W.-Abbildung im Gesamteindruck der prägenden Merkmale so unverkennbar nahe, dass eine freie Bearbeitung i.S.d. § 24 UrhG nicht angenommen werden kann, vielmehr von einem Anwendungsfall des § 23 UrhG auszugehen ist. Bei der Prüfung der Frage, ob es sich um ein selbständiges, in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffenes Werk handelt, gelten strenge Maßstäbe Für die Annahme einer freien Benutzung kommt es darauf an, ob das fremde Werk nicht in identischer oder umgestalteter Form übernommen worden ist, sondern nur als Anregung für das eigene Werkschaffen gedient hat.“ Hier gingen die Richter nicht nur von einer Anregung, sondern von einer Kopie aus. „Hiernach kann von einer freien Bearbeitung durch den Beklagten zu 2) nicht ausgegangen werden. Zwar ist es richtig, dass die beiden Fotografien dann, wenn man sie gegenübergestellt sieht und betrachtet, in einzelnen, allerdings als untergeordnet zu bezeichnenden Punkten Unterschiede aufweisen, z.B. bei der Bekleidung der auf den Fotografien abgebildeten Personen und bei der Blickrichtung der jeweiligen, den Mann mit ihren Beinen umklammernden Frau (die Frau auf dem W.-Foto schaut rechts an dem Mann vorbei, beim Sch.-Foto ist dies umgekehrt). Diese Abweichungen sind jedoch als marginal zu bezeichnen. … Weist das streitgegenständliche Foto aber die wesentlichen, das W.-Foto prägenden Gestaltungsmerkmale auf, und folgt daraus zugleich, dass das von W. geschaffene Werk dem Beklagten zu 2) nicht nur als Anregung zu eigenem künstlerischem Schaffen gedient hat, sondern von ihm mit geringen Abwandlungen in seinen maßgeblichen Merkmalen übernommen worden ist, wäre eine andere Beurteilung allenfalls dann geboten, wenn die in Rede stehenden Pose tatsächlich, wie die Beklagten geltend machen, im modernen Ballett weithin verbreitet und üblich wäre. Denn in diesem Fall käme vorhandenen Unterschieden in den beiden Darstellungen ein höheres Gewicht zu. Es kann jedoch in tatsächlicher Hinsicht nicht davon ausgegangen werden, da es sich bei der in Rede stehenden Pose um eine solche handelt, die sich üblicherweise im modernen Ballett wiederfindet. Gerade das von den Beklagten im Verlaufe des Rechtsstreits selbst vorgelegte Bildmaterial belegt das.“
Und noch ein anderes Urteil. Der Kläger war der Ansicht, die Beklagte habe dadurch, dass sie sein Foto "XY" von einem anderen Fotografen habe nachstellen lassen und sodann das nachgestellte Foto verbreitet und öffentlich wiedergegeben habe, seine Urheberrechte verletzt. Er trug vor, es handele sich um eine unfreie Bearbeitung seiner eigenen Fotografie, weil alle Gestaltungsmerkmale, die den Gesamteindruck des Bildes "XY" prägten, von dem Werbefoto übernommen worden seien. Durch diese Übereinstimmung komme das Werbefoto dem vom Kläger geschaffenen Bild so nahe, dass vorhandene Abweichungen im Detail den Gesamteindruck nicht veränderten. Die Beklagte, so meinte der Kläger weiter, habe zumindest fahrlässig gehandelt; sie hätte angesichts des Umfanges, in dem die Fotografie des Klägers veröffentlicht worden sei, bemerken müssen, dass die Bildidee ihres Werbefotos bereits zuvor vom Kläger umgesetzt und publiziert worden sei. Das LG Düsseldorf gab ihm Recht (Urteil vom 08.03.2006 - 12 O 34/05 -): „Eine Fotografie kann auch dadurch in unzulässiger Weise vervielfältigt werden, dass das fotografierte Objekt nachgestellt und erneut fotografiert wird. Wird bei dem Nachstellen einer bereits vorhandenen Fotografie die in der Vorlage verkörperte schöpferische Leistung übernommen, handelt es sich um eine Vervielfältigung in Form der Bearbeitung, die gemäß § 23 UrhG der Einwilligung des Urhebers des bearbeiteten Werkes bedarf Eine solche unfreie Übernahme ist vorliegend geschehen. Alle Gestaltungselemente, die den Gesamteindruck des Bildes "XY" prägen und seine schöpferische Leistung ausmachen, sind im Werbefoto der Beklagten übernommen. Das Arrangement des Ausgangsbildes ist von der Beklagten übernommen. Die Übereinstimmungen zeigen sich nicht nur bei der Positionierung des Mannes vor dem Fernseher und bei der Kameraperspektive, sondern auch bei der Ausrichtung der beiden Fernsehantennen, die beiden Männern wie die Fühler eines Insekts aus dem Kopf zu wachsen scheinen, und sogar bei der Tapete, die auf dem nachgestellten Foto ebenso wie auf dem Foto des Klägers einen grünen Untergrund aufweist und farbig gemustert ist. Aufgrund seiner Symmetrie (die Positionierung des Kopfes genau mittig vor dem Fernseher; die beiden Antennen genau gleichmäßig und in gleicher Länge aus dem Kopf hervortretend) vermittelt das Bild der Beklagten einen "gestylten" Eindruck, eine Abweichung, die den Gesamteindruck indes unberührt lässt. Von den geschützten Elementen im Foto des Klägers ist nach allem Gebrauch gemacht worden; das Foto des Klägers erscheint als Vorlage für das von der Beklagten geschaffene Bild.“
Und was ist, wenn man rein zufällig ein Foto so gestaltet hat, wie ein anderer Fotograf schon zuvor? Das nennt man „Doppelschöpfung“ Grundsätzlich darf man seine „Doppelschöpfung“ dann natürlich ebenfalls veröffentlichen. Nur, der Doppelschöpfer muss beweisen können, dass er tatsächlich nicht kopiert, sondern die gleiche Idee völlig unabhängig vom Erstfotografen bekommen hat. Dazu das OLG Köln: „Der Einwand der Doppelschöpfung, also die voneinander völlig unabhängige Entstehung zweier identischer oder - wie hier - im wesentlichen gleicher Werke, hilft den Beklagten nicht. In einem solchen Fall kann trotz der objektiven Übereinstimmungen der sich gegenüberstehenden Werke von einer unzulässigen Entlehnung und damit einer unfreien Bearbeitung i.S.d. § 23 UrhG nicht ausgegangen werden. Dabei trägt nach allgemeiner Meinung der Urheber des später veröffentlichten Werkes, hier also der Beklagte zu 2), für das Vorliegen einer Doppelschöpfung die volle Beweislast, es sei denn, eine - möglicherweise in das Unterbewusstsein untergetauchte - Kenntnis von dem älteren Werk ist auszuschließen Hierzu reicht es unter bestimmten Voraussetzungen aus, dass der Schöpfer des späteren Werkes darlegen und auch beweisen kann, dass er die nach der Lebenserfahrung zu vermutende Kenntnis des älteren Werks nicht hatte. Diesen Beweis haben die Beklagten nicht erbracht.“ Ja, es ist auch sehr schwer, zu beweisen, dass keine Kenntnis bestand, jedenfalls dann, wenn das Bild des vorhergehenden Urhebers bereits vor der eigenen Aufnahme allgemein zugänglich veröffentlicht wurde.
Kommen wir zum Abschluss noch einmal zur Frage der Bearbeitung zurück. Folgender Fall: Ein Aktionskünstler veranstaltet ein Happening. Wir machen eine Fotoserie davon, vielleicht in schwarzweiß, um mehr zu abstrahieren. Geht das? Nein, das geht nicht, jedenfalls nicht ohne Einwilligung des Künstlers. Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 30.12.2011 - 20 U 171/10 -) hat entschieden, dass eine Serie von Schwarz-Weiß-Fotos, auf der eine Kunstaktion eines gewissen Joseph Beuys im Wege einer dokumentarischen Darstellung abgebildet wurde, eine Werkbearbeitung bzw. Umgestaltung im Sinne von § 23 UrhG darstellt. Die Vervielfältigung des Kunstwerks erfolge, so das Gericht, durch eine körperliche Festlegung der szenischen Aufführung des Künstlers.
Mit meinen Beiträgen zum Thema Fotografie und Recht möchte ich gern mit anderen Fotografen zum Erfahrungsaustausch kommen. Vielleicht hat ja schon jemand (hoffentlich gute) Erfahrungen gemacht und kann diese mitteilen. Ich freue mich jedenfalls auf Kommentare, Anmerkungen und Berichte von anderen my-Heimatlern. Und noch etwas: Ich habe mich bemüht, nichts Falsches zu schreiben. Eine Gewähr für die Richtigkeit übernehme ich jedoch nicht, bin schließlich kein Fachmann in Sachen Urheberrecht. Und eine Rechtsberatung durch einen erfahrenen Juristen kann dieser Artikel natürlich nicht ersetzen.
Weitere Artikel zu Fotografie und Recht:
Wer sich für weitere Aspekte zum Thema Fotografie und Recht interessiert, mag vielleicht meine schon bei myheimat veröffentlichten Gedanken zum Schutz von Urhebern künstlerischer Werke und von Eigentümern fotografierter Sachen lesen.
Eine Auseinandersetzung mit dem Urheberrecht – speziell zur Frage der Panoramafreiheit im Internet findet sich unter
Die Panoramafreiheit – Eine Falle für Fotografen im Internet? Teil 1
http://www.myheimat.de/hannover-doehren-wuelfel-mi...
Die Panoramafreiheit – Eine Falle für Fotografen im Internet? Teil 2
http://www.myheimat.de/hannover-seelhorst/ratgeber...
Ergänzt und abgeschlossen wird das Thema Urheberrecht und Panoramafreiheit mit dem Beitrag
Noch einmal Panoramafreiheit: Ja was darf denn nun fotografiert werden?
http://www.myheimat.de/hannover-seelhorst/ratgeber...
Ein weiterer Artikel – wegen der Länge in 3 Teilen – beschäftigt sich speziell mit der Frage, ob man ohne Erlaubnis fremdes Eigentum fotografieren darf. Zu finden ist dieser Beitrag hier:
Teil 1: Fremde Sachen, eigenes Foto - Darf ich anderer Leute Eigentum einfach so fotografieren?
http://www.myheimat.de/hannover-seelhorst/ratgeber...
Teil 2: Eigene Fotos - fremde Sachen: eine Gratwanderung mit Stolperfallen
http://www.myheimat.de/hannover-seelhorst/ratgeber...
Teil 3: Ferienhäuser und Saunen mit Persönlichkeit
http://www.myheimat.de/hannover-seelhorst/ratgeber...
Mit der Frage, wann Fotos, auf denen andere Menschen zu sehen sind, veröffentlicht werden dürfen, habe ich mich in folgendem Artikel beschäftigt:
http://www.myheimat.de/hannover-doehren-wuelfel-mi...
Und auch etwas zum verwandten Thema Markenrecht und Fotografie habe ich etwas geschrieben. Zu finden ist es hier:
http://www.myheimat.de/hannover-doehren-wuelfel-mi...
Um Designschutz und Geschmacksmuster geht es im folgenden Beitrag:
http://www.myheimat.de/hannover-doehren-wuelfel-mi...
Und auch der weite Bereich des Datenschutzes spielt beim Fotografieren eine Rolle:
http://www.myheimat.de/hannover-doehren-wuelfel-mi...
Bürgerreporter:in:Jens Schade aus Hannover-Döhren-Wülfel-Mittelfeld |
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