Das kann doch nicht wahr sein! EU will Fotofreiheit einschränken!
Dubiose Abmahnanwälte reiben sich schon die Hände. Die Bürokraten in Brüssel wollen unsere Fotofreiheit einschränken.
Die sogenannte „Panoramafreiheit“ dürfte bald bei uns nur ein Fremdwort aus fernen Zeiten sein. Sowohl Profi- als auch Amateurfotografen werden demnächst wohl schon beim Fotografieren beinahe mit einem Bein vor Gericht stehen. Es drohen unlösbare Konflikte mit dem Urheberrecht. Selbst Bildveröffentlichungen auf myheimat – erst recht bei facebook - können uns dann in die Illegalität treiben.
Hintergrund: bislang durften wir urheberrechtlich geschützte Werke – Gebäude, Denkmale, Skulpturen, künstlerisch gestaltete öffentliche Räume und Gärten – ohne Erlaubnis des Künstlers fotografieren und diese Fotos auch veröffentlichen, wenn diese Werke am öffentlichen Straßenraum stehen. Das ist die sogenannte Panoramafreiheit. So ist die Rechtslage derzeit noch in Deutschland und in einigen anderen europäischen Ländern. Doch damit soll bald Schluss sein. Geplant ist, die Panoramafreiheit europaweit zu harmonisieren und die Verbreitung solcher Fotos nur noch im Rahmen nichtkommerzieller Zwecke ohne Einverständnis des Urhebers zu erlauben.
Dabei fing eigentlich alles ganz gut an. In meinen Beiträgen zur Frage, ob die Panoramafreiheit nicht eine Falle für Fotografen im Internet sein kann, habe ich die bisherigen Probleme skizziert. Da schien der Vorstoß des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments eigentlich ein Schritt in die richtige Richtung zu sein. Das Europäische Parlament sollte laut einem vom Rechtsausschuss des Parlamentes verfassten „ENTWURF EINER ENTSCHLIESSUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS zu der Umsetzung der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (2014/2256(INI)“ den Gesetzgeber der EU auffordern, „sicherzustellen, dass die Nutzung von Fotografien, Videomaterial oder anderen Abbildungen von Werken, die dauerhaft an öffentlichen Orten platziert sind, gestattet ist.“
Das klang nicht schlecht. Auch die Begründung dazu ließ sich hören: „Ein wichtiges Beispiel für diese Notwendigkeit der Anpassung ist die Frage, ob und wie Werke der Architektur an öffentlichen Orten geschützt werden. In der Vergangenheit zielten die Rechtsvorschriften darauf ab, vor unangemessener kommerzieller Verwertung von Werken der Architektur durch massenhaft produzierte Postkarten zu schützen; sie wandten sich nicht an die durchschnittlichen Urlauber, die Fotos machen, die nach ihrem Druck höchstwahrscheinlich nur privat genutzt wurden. Heute können Urlauber jedoch digitale Bilder herstellen, diese in soziale Medien hochladen und – vielleicht unwissentlich – der gesamten Online-Community weltweit zur Verfügung stellen. Angesichts der Millionen Europäer, die bereits solchen Tätigkeiten nachgehen, ist es klar, dass das Urheberrecht nur praktisch und fair sein kann, wenn die Darstellung öffentlicher Gebäude und Skulpturen vom Urheberrechtsschutz ausgenommen ist, so dass alltäglichen Online-Tätigkeiten keine unangemessene Belastung auferlegt wird. Die extrem unterschiedliche Umsetzung der in der InfoSoc-Richtlinie vorgesehenen „Panoramafreiheit“ in verschiedenen Mitgliedstaaten zeigt, dass es ein paneuropäisches breit definiertes Nutzerrecht auf Wiedergabe von Werken, die dauerhaft an öffentlichen Orten platziert sind, geben sollte.“
Wäre es doch dabei geblieben! Durch den Änderungsantrag Nummer 421 des französischen Abgeordneten Jean-Marie Cavada , der mit nahezu 3/4-Mehrheit angenommen wurde, wird dieser an sich lobenswerte Vorstoß jedoch ins Gegenteil verkehrt. Jetzt soll das Europäische Parlament nach dem so veränderten Entwurf gegenüber dem EU-Gesetzgeber die Auffassung vertreten, „dass die gewerbliche Nutzung von Fotografien, Videomaterial oder anderen Abbildungen von Werken, die dauerhaft an physischen öffentlichen Orten platziert sind, immer an die vorherige Einwilligung der Urheber oder sonstigen Bevollmächtigten geknüpft sein solle.“
Eine ¾-Mehrheit! Auch wenn es noch nicht die endgültige Abstimmug im Plenum war: Da fragt man sich doch unwillkürlich, wessen Interessen vertreten da eigentlich die von uns gewählten Politiker in Straßburg und Brüssel?
Wer jetzt aber mit den Schultern zuckt und sagt: „ich fotografiere doch gar nicht kommerziell, ist mir alles egal“, kann demnächst ziemlich schnell in die Abmahnfalle tappen. Dass etwa wir Myheimatler nur zum Spaß und zur Freude auf myheimat schreiben und Bilder einstellen, ist rechtlich gesehen nur Nebensache. Die Myheimatseiten enthalten Werbung und sind damit kommerziell. Erst recht kritisch wird es bei facebook. Bekanntermaßen räumen die Nutzer ja alle Rechte an den hochgeladenen Bildern auch den facebook-Betreibern ein. Haben wir aber selbst nicht alle Rechte, ist Ärger vorprogrammiert. Auch wenn in einer privaten Online-Galerie beispielsweise Google-Adwords auftauchen oder auf irgendeinen Service hingewiesen wird, können Abmahnanwälte Einkünfte wittern. In Zukunft - wenn denn die EU-Kommission dem jetzt vorgeschlagenen Votum des Parlaments folgen sollte - wird man nur noch mit einem versierten Anwalt an der Seite im öffentlichen Straßenraum fotografieren können.
Wir müssen uns wehren, versuchen, das Schlimmste zu verhindern! Schreibt Euren Europaabgeordneten, sprecht sie an! Irgendwann sind wieder Wahlen. Wir müssen ihnen deutlich machen, dass mit einer Zustimmung zu den Plänen des Jean-Marie Cavada sie jedenfalls nicht mehr mit unserer Stimme rechnen können.
Außerdem gibt es eine Internet-Petition für alle, die diesen unmöglichen Plänen unserer Politiker entgegentreten wollen:
http://www.change.org/p/european-parliament-save-t...
Bleibt nur zu hoffen, dass das EU-Parlament diese Vorlage nicht beschließt - und wenn doch, dass die EU-Kommission diese Vorschläge nicht aufgreift und in rechtliche Regelungen zu Lasten der in vielen (leider nicht allen) Ländern Europas geltenden Panoramafreiheit umsetzt.
Update: Das EU-Parlament ist in seiner Sitzung am 9. Juli 2015 der Initiative des Abgeordneten Jean-Marie Cavada nicht gefolgt. Die bestehende Situation bleibt vielmehr aufrechterhalten. "Das Parlament hat die Bedenken der Europäer gehört und schließlich den Vorschlag abgelehnt, das Recht zu begrenzen, frei im öffentlichen Raum zu fotografieren", sagte die Berichterstatterin Julia Reda (Grüne/EFA, DE).
Bürgerreporter:in:Jens Schade aus Hannover-Döhren-Wülfel-Mittelfeld |
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