Science Fiction auf MyHeimat: Doppeltes Ich

Eine weitere Science Fiction-Story für lange Tage daheim.
  • Eine weitere Science Fiction-Story für lange Tage daheim.
  • hochgeladen von Jens Schade

Die Corona-Krise lähmt noch immer das öffentliche Leben in Deutschland. Es geschieht nicht mehr viel, über das MyHeimat-Autoren berichten können. Schließlich sollen wir möglichst schön zu Hause bleiben. Für alle, die sich für Science Fiction begeistern  (früher sprach man auch von "Zukunftsromanen" oder utopischen Geschichten), habe ich hier auf MyHeimat schon ein paar alte SF-Erzählungen ins Netz gestellt. Denn es gab einmal eine Zeit, da schrieb ich SF-Stories, einfach so für mich und vor allem für die Schublade. Weil uns jetzt wieder ein Wochenende ohne großes Wochenendvergnügen bevorsteht, fand ich es an der Zeit, noch einmal auf die Suche zu gehen und erneut eine dieser alten Geschichten hervorzukramen. Vielleicht bietet sie ja Kurzweil für den einen oder anderen Leser. Die heutige Story trägt den Titel:

      Doppeltes Ich

Mit zusammengekniffenen Augen betrachte Peter von Fallströhm die Demonstranten durch die getönten Scheiben seines Wagens. Sein Chauffeur zuckte mit den Achseln. „Da kommen wir nicht durch“, meinte er, den Kopf leicht nach hinten gedreht. „Ich fürchte, wir müssen einen Umweg wählen und dann den Hintereingang nehmen.“

„Ja, fahren Sie“, ordnete von Fallströhm an und lehnte sich wieder zurück. Mit einer Hand-bewegung strich er einen Fussel von seinem dunkelblauen Designeranzug ab. „Dass es möglich ist, dass so ein paar hirnlose Spinner andere Leute behindern können“, dachte er bei sich. Es war die heiße Zeit des Wahlkampfes. Am nächsten Wochenende sollte das Europäische Parlament und der Präsident der Kommission gewählt werden. Über den Wahlausgang machte sich von Fallströhm keine Gedanken. Er war sicher, dass die Volkspartei – vielleicht zusammen mit den Europäischen freiheitlichen Liberalen und der kleinen rechten Sozialdemokratischen Internationalen Bewegung wieder die Mehrheit erhalten würde. Für das Häuflein Demonstranten vor ihm schien das aber nur ein Ansporn zu sein, noch lauter zu krakeelen. Die kleine Gruppe mit den Transparenten, die die Straße blockierten, hatte sich die Zentrale der FEY Ltd. als Ziel ihres politischen Eifers ausgesucht. Ein großes Werbeplakat des Unternehmens am Straßenrand war schon mit Farbbeuteln beworfen worden, ohne dass die Luxemburger Polizei eingeschritten wäre. Der englische und französische Text war nun nicht mehr lesbar, aber der deutsche Werbespruch lies sich noch einigermaßen erraten:

„Der beste Schutz vor Siechtum und Verfall im Alter war bisher, jung zu sterben. Die beste Methode im Alter wieder jung zu werden sind nun wir - FEY"

stand darauf oder hatte jedenfalls vor der Farbbeutelattacke darauf gestanden. Gut, von Fallströhm fand auch keinen Gefallen an dem Werbespruch, aber deshalb musste man das Unternehmen doch nicht gleich so hassen.

Die Buchstaben FEY folgenden aus den englischen Begriff „For Ever Young.“ Das war zugegebenermaßen eine leichte Übertreibung. Denn auch dieses Unternehmen hatte keine Methode erfunden, den Alterungsprozess des menschlichen Körpers zu stoppen. Immerhin bot die Firma aber ihren Kunden die Möglichkeit, das Leben doch verjüngt fortzusetzen und nun von neuem zu altern.

Ein ziehender Schmerz durchzuckte seinen Unterleib. Von Fallströhm krümmte sich etwas, atmete vorsichtig aus. Es wurde Zeit, dass FEY ihm einen neuen Körper beschaffte. Sein alter taugte nicht mehr viel als Herberge. Der Krebs hatte ihn zerfressen, ohne Hoffnung auf Heilung. Und selbst wenn, was sollte er im Alter von 73 Jahren eigentlich noch von seinem Organismus erwarten? Er konnte doch nur noch warten, dass der körperliche Verfall in einem Zerfall überging. Von Fallströhm schüttelte unwillkürlich sein schütteres und ergrautes (Färbemittel lehnte er ab) Haupt. FEY jedoch bot die Lösung all seiner Probleme. In den Laboren des Unternehmens wuchs ein genetisch völlig identischer jugendlicher Körper für von Fallströhm heran, gezüchtet aus einer Stammzelle des alten.

Genau das war es, was den Demonstranten an FEY störte. Von Menschenzüchtung war die Rede, jede Demut gegen die Schöpfung sei abhanden gekommen, behaupteten sie. Einige der besonders religiösen Eiferer meinten sogar, mit ihren Aktivitäten gegen FEY dessen Kunden sogar einen Gefallen zu tun. Für sie war der Tod so eine Art Beförderung und brachte die Seelen zu Gott. Und dieser Weg zu Gott, so verbreiteten sie, dürfe keinem Menschen vorenthalten werden. Entweder bringe man ihn damit um das Paradies oder um seine gerechte Strafe in der Hölle. Die Dienstleistungen von FEY waren nun auch nicht besonders billig. Das wiederum bewog besonders sozialengagierte Personen zu der Kritik, GEY sei abzulehnen, weil nur wenige Reiche in den Genuss einer neuen Jugend kämen. Wenn nicht alle, dann eben gar keiner. Für von Fallströhm bewiesen all diese Argumente aber nur sein schon früh herausgebildetes Urteil, dass die meistens Menschen, insbesondere wenn sie als Masse handelten, nicht sonderlich intelligent waren.

Sein Wagen bog nun in eine Seitenstraße ab, um das FEY-Gebäude von der anderen Seite aus anfahren zu können. Ohne größere weitere Störungen erreichte der Wagen von Fallströhms den Hintereingang des FEY-Gebäudes. Weitere Werbeplakate hingingen hier:

„Schlagen Sie den Tod ein Schnippchen“

las von Fallströhm und:

„Sterben tun immer nur die anderen. Aber einmal sind auch Sie der andere. Wir können etwas dagegen tun.“

Von Fallströhm bezeichnete sich selbst nicht als gläubig. Nicht, dass er etwas gegen Religionen hatte. An den Glaubenskrieg des sogenannten Moro-Aufstandes hatte er gut verdient, eigentlich war sein Unternehmen nur deshalb so groß geworden. Sein jüngerer Bruder war damals zum Glück umgekommen. Das hatte den Vorteil gebracht, dass die Sozialbehörden nicht mehr bei ihm anfragten, ob er nicht seinen Verwandten unterstützen könne. Als ob die nicht genau gewusst haben, dass Geschwister untereinander nicht unterhaltsverpflichtet sind. Aber versuchen kann man’s ja. Von Fallströhm hatte natürlich jede derartige Anfrage entrüstet zurückgewiesen. Denn sein Bruder hatte seine Chance in Unternehmen bekommen, aber nicht genutzt. Der gute Manfred versagte natürlich. Nun gut. Von Fallströhm war nicht der Mann, der einem ausgemachten Loser eine zweite Chance gab. Sollten die sozialen Dienste ihren Job machen.

Sein Bruder war inzwischen schon lange tot. Aber von Fallströhm wollte leben. Im Gegensatz zu vielen seiner Mitmenschen, die sorglos in den Tag hineinvegetierten, war von Fallström das eigene Ende schon immer schmerzlich bewusst gewesen. Wahrscheinlich lebte er deswegen immer schon am Rande einer Depression. In jungen Jahren hatte er auf den medizinischen Fortschritt gesetzt. Gut, hier gab es tatsächlich Erfolge zu verzeichnen. Selbst viele Männer erreichen heute schon die Hundert. Aber alle Hundertjährigen waren alte Greise, an der Lebensqualität eines jugendlichen Menschen mangelt es jeden von ihnen. Und alle Mittelchen, die versprachen, das Absterben der Körperzellen zu verhindern, erwiesen sich letztendlich als fatale Fehlschläge. Sicher, man konnte zwischenzeitlich Zellen die Unsterblichkeit geben, aber sie entwickelten sich damit unweigerlich zu Krebszellen. Und was nützte es, wenn einige Körperzellen Jahrhunderte lang in Reagenzgläsern immer weiter wuchern konnten, wenn das sich selbst bewusste Individuum nach wie vor endete?

Ein anderer Rettungsanker war natürlich die Idee, dass irgendetwas von einem den körperlichen Tod überlebte und das Individuum dadurch auf eine unbekannte Art und Weise fortexistierte. Einer bestimmten Religion hatte von Fallströhm sich nie zugewandt. Alle diese Lehren waren ihm zu konstruiert, teilweise sogar bereits wissenschaftlich wiederlegt. Religion war für ihn vor allem ein Herrschaftsinstrument. Zum anderen hatte Religion seiner Ansicht nach  ihren frühen Ursprung darin, dass der Mensch mit übernatürlichen Mitteln etwas zu erreichen hoffte, was er mit eigenen Kräften so nicht schaffen konnte – von Fallströhm dachte dabei an den Jagdzauber der Steinzeitleute – und natürlich sollte das mangels wissenschaftlicher Grundlage Unerklärliche für den einfachen Geist erklärt werden. Wohl  war daneben, weil der Mensch sein Ende bewusst  absehen kann, sicherlich auch ein tröstendes Element von ausschlaggebender Bedeutung in jeder Religion. Gleichwohl hatte von Fallströhm sich gefragt, ob die in den meisten Glaubensrichtungen enthaltene Vorstellung von einer Weiterexistenz nicht doch auf ein Ur-Grundwissen der Menschheit zurückgehen konnte, also mehr als nur ein Trost und unhaltbares Versprechen war. Es gab Berichte von Wiedergeburtsfällen. Aber so-bald die Geschichten konkret wurden – jemand erkannte etwa einen Verwandten aus dem früheren Leben wieder – spielten sie irgendwo in einem fernen Land der Dritten Welt und waren schlichtweg nicht überprüfbar. Und „Rückführungen“ unter Hypnose erwiesen sich als noch weniger aussagekräftig. Einzelheiten konnten nie überprüft werden und alle von im genannten Daten hätte sich der Betreffende auch zuvor anlesen können.

Nahtodeserlebnisse deuteten zwar ebenfalls auf eine Fortexistenz hin, aber gegen sie sprach zum einen, dass alle, die davon berichten konnten, eben noch nicht wirklich richtig tot gewesen und ihre Erlebnisse zum Teil auch geprägt von den eigenen religiösen Überzeugungen waren. Also alles nur Illusion? Selbst Geistergeschichten ging von Fallströhm nach. Nachweisbar war – bis auf Poltergeistphänomene –keine einzige. Und bei den wenigen belegten Poltergeistern sprach alles dafür, dass nicht ein Geist, sondern ein lebender Mensch mit unbewussten telekinetischen Fähigkeiten die übenatürlichen Ereignisse verursachte. Im Übrigen schlossen sich alle drei Theorien für ein Weiterleben nach dem Tode gegenseitig aus. Wer als Geist in alten Gemäuern herumspuckte, konnte schlecht gleichzeitig im Himmel verweilen und wer im Himmel war, konnte nicht als jemand anderes wiedergeboren werden. Und überhaupt: Wie sollte eine Seele ohne Körper eigentlich existieren? Wie sollte sie ihre Umgebung wahrnehmen und ohne neuronale Zellen denken können?

Einzig der Umstand, dass ab und an offenbar tatsächlich unerklärliche paranormale Phänomene wie Telepathie oder Telekinese auftraten, bewog von Fallströhm zu der Annahme, dass es möglicherweise doch irgendetwas außerhalb der normalen Sinneswahrnehmungen gab. Aber das war ihm zu wenig, um mit irgendwelchen Hoffnungen auf eine Weiterleben sterben zu können. Zudem brachte die Natur nur das hervor, für was sie ein Bedürfnis hatte. Einziger Daseinszweck von Lebewesen war nach Fallströhms Ansicht die Aufgabe, sich möglichst oft fortzupflanzen und die Gene weiterzugeben. Die Intelligenz beim Menschen hatte sich nur deshalb herausgebildet, weil er damit besser überleben und sich fortpflanzen konnte und gegenüber anderen konkurrierenden Arten im Vorteil war. Pech, dass ihm damit gleichzeitig auch der unausweichliche Tod bewusst wurde. Aber das war für die biologische Arterhaltung ohne Belang. Nein, eine auch ohne Körper weiterlebende Seele passte da nicht in den natürlichen Lauf der Dinge. Für sie gab es keine sinnvolle Aufgabe mehr. Alle diese Dinge gaben von  Fallströhm keine Hoffnung.

Vor langer Zeit einmal hatte von Fallströhm eine Geschichte eines amerikanischen Horrorautors gelesen. Sein Nachname klang deutsch, aber an mehr konnte sich von Fallströhm nicht erinnern. Dieser Autor schilderte in seiner Erzählung, dass Wesen au-ßerhalb der menschlichen Existenzebene die Menschen-Seelen züchteten, um sich dann an ihnen gütlich zu tun. Diesen Gedanken empfand von Fallströhm als so erschreckend, dass er die Erinnerung an diese Geschichte in die hinterste Ecke seinem Gedächtnis verbannte, wo sie ihn aber weiterhin peinigte, Einmal kam sie sogar wieder erschreckend deutlich hervor, als von Fallströhm über die altägyptischen Vorstellungswelt las, wo nach dem Tode ein Seelenfresser auf die Verstorbenen lauern konnte.

Nicht dass Peter von Fallströhm die Existenz einer Seele an sich verneinte. Das war für ihn nur ein anderer Ausdruck für das Programm, das sich im biologischen Computer, Gehirn genannt, selbst installierte. Aber genau so, wie ein Programm für elektronische Rechner ins Nichts entschwand, wenn sein Trägermedium zerstört wurde, so blieb auch nichts von der Seele übrig, wenn die Substanz, in der sie verkörpert war, außer Funktion geriet. Für diese Ansicht sprach nach von Falltröhms Überzeugung, dass es als Folge von Hirnverletzungen oder –eingriffen immer wieder bei den Betroffenen zu Persönlichkeitsänderungen kam. Wenn aber die Persönlichkeit durch organische Funktionen der Materie gebildet wurde, dann war für eine gesondert und vor allem unabhängig von der Materie existierende Seele kein Raum.

Gerade das Bild, das sich von Fallströhm von der Seele machte, passte zu dem Konzept von FEY. Genau wie ein Programm von einem alten Computer auf ein neues Gerät überspielt werden konnte, so versprach FEY auch, die Persönlichkeit eines Menschen vom alten in einen neugezüchteten Körper zu transferieren. Wie genau das funktionieren sollte, ließ die Werbung von FEY offen. Von Fallströhm wusste auch nur soviel, dass die Methode auf Patente von Jungbrunnen zurückging. Jungbrunnen war ein österreichisches Unternehmen gewesen, das sich demselben Ziel wie jetzt FEY gewidmet hatte. Es war allerdings ziemlich rasch in Konkurs gefallen und FEY hatte sich – wie man hörte – relativ preiswert in das Erbe von Jungbrunnen einkaufen können.

Das Problem von Jungbrunnen lag dabei gar nicht in der Übertragung der Bewusstseinsinhalte in ein anderes Gehirn. Jungbrunnen war an den Körpern selbst gescheitert. Zwar waren Menschen schon seit längerer Zeit problemlos klonbar. Nur niemand konnte – abgesehen davon, dass wohl kaum jemand dies wünschte - in einem Babykörper, dessen Gehirn noch nicht ausentwickelt war, das Bewusstsein eines erwachsenen, älteren Menschen ohne Schaden transferieren. Die Alternative, einfach den Körper von selbst weiter wachsen zu lassen, war nicht gangbar. Denn wie sollte verhindert werden, dass sich in ihm eine eigene Persönlichkeit bildete?. Und die Kunde wollten jugendliche Körper von 18 bis 20 Jahren bekommen. Die wenigsten hatten aber Zeit, solange auf eine Transferierung zu warten. Jungbrunnen meinte, die Lösung gefunden zu haben. Die Körper wurden in einem Schnellverfahren herangezüchtet, dabei aber im künstlichen Koma gehalten. Nach sieben Monaten sollte dann aus einer einzelnen  Zelle ein menschlicher Körper im biologischen Alter von genau siebzehneindreiviertel Jahren entstanden sein.

Das klang gut und kam an. Erste geschäftliche Erfolge von Jungbrunnen blieben nicht aus. Nach rund zwei Jahren Lebenszeit rächte sich allerdings das künstlich beschleunigte Wachstum. Die neuen Körper begannen rapide zu altern und zwei Monate später war das transferierte Bewusstsein wieder in einem zerfallenden greisen Körper gefangen. Keiner der Kunden von Jungbrunnen überlebte das dritte Jahr nach der Transferierung. Das einstige Superangebot von Jungbrunnen war nur noch eine – und dann auch nur kurzfristige - Alternative für Leute, deren Lebenserwartung schon jetzt weit unter zwei Jahren lag.

FEY jedoch versprach, das Problem der Schnellalterung gelöst zu haben. Die ersten Kunden von FEY lebten schon jetzt mehr als fünf Jahre und ihre Körper entsprachen auch in etwa denen von fünfundzwanzigjährigen Menschen. Für von Fallströhm, dessen ganzer Körper von Krebszellen befallen war, wurde das Angebot von FEY zur einzigen Rettungsmöglichkeit. So hatte er einen nicht unerheblichen Teil seines angesammelten Vermögens für einen neuen Körper ausgegeben. Gestern dann war die Nachricht des Unternehmens gekommen. Sein neues Ich war zur Übertragung der Seele bereit.

Von Fallströhm lies seinen Fahrer halten. Der junge Mann im ebenso feinen Anzug wie Fallströhm sprang heraus und öffnete seinem Chef die Tür. Den angebotenen Arm zur Stütze wies von Fallströhm dann aber zurück. Die letzten Meter konnte sein alter Körper auch noch alleine zurücklegen. Dann wurde er nicht mehr gebraucht.

Peter von Fallströhm wurde von einem der Geschäftsführer von FEY und zwei weißgekleideten und ausnahmslos hübschen Krankenschwestern empfangen. Er durfte dann seinen neuen Körper in Augenschein nehmen. Ein junger Mann lag nackt mit geschlossenen Augen in einem mit Nährflüssigkeit gefüllten Tank, der oben durchsichtig war. Ein zum Mund und Nase geführter Schlauch sorgte für die Atemgase. „Ja, ich glaube, so sah ich damals aus“, sagte von Fallströhm, aber ein Kloß in der Kehle sorgte dafür, dass er mehr krächzte als sprach.

„Kommen Sie, der Notar wartet“, sagte der Geschäftsführer.

„Der Notar?“

„Sie wissen doch, formaljuristisch müssen Sie ihr Eigentum und alle ihre Rechte auf den neuen Körper übertragen. Denn er gilt – natürlich wieder nur rein juristisch – als anderer Mensch“, erläuterte der Geschäftsführer mit einem freundlichen Lächeln.

Von Fallströhm sah ihn an. „Ja, wir sprachen seinerzeit darüber. Das geht in Ordnung.“

„Gut dann folgen Sie mir nun bitte. Die Transferierung dauert einundzwanzig Tage, vier Stunden und zwischen fünf und 16 Minuten. Ich hoffe, Sie haben schon als Briefwähler ihre Stimme zur Wahl abgegeben. Denn zum Wahllokal können Sie, wenn wir einmal begonnen haben, nicht mehr gehen.“

Peter von Fallströhm nickte. „Das habe ich. Aber ich denke, ob ich nun es getan habe oder nicht, der Wahlausgang wird keine große Überraschung sein.“

Sein Gesprächspartner nickte zustimmend. „Da haben Sie ganz recht. Die Umfragen sind ja eindeutig.“

Der Notar bestand darauf, von Fallströhm ausführlich über alle juristischen Konsequenzen zu belehren und brauchte dazu geschlagene zwanzig Minuten. Als er endlich fertig war, unterzeichnete von Fallströhm die Dokumente, die sein zukünftiges Ich als seinen Rechtsnachfolger einsetzten. Dann brachten ihn die Krankenschwestern in einem Untersuchungsraum, ihm wurde Blut abgenommen und dann beschäftigte sich ein Arzt noch einmal eingehend mit ihm. Erst war es ihm unangenehm, sich auszuziehen, vor allem weil die Krankenschwestern anwesend waren, dann zuckte er nur mit den Schultern und entledigte sich seiner Kleidung. Denn seinen neuen Körper hatten eh schon alle nackt in dem Tank gesehen. Den Stich der Spritze spürte von Fallströhm nicht. Er blickte in das freundliche Gesicht des Arztes. „Auf Wiedersehen“, sagte dieser, „wenn wir uns erneut sprechen, sind Sie ein junger Mann.“ Die letzten Worte verschwanden allerdings schon in einem Nebel, der sich rasch des Bewusstseins bemächtigte.

„Er wacht nicht auf. Vielleicht krepiert er doch gleich hier. Dann wäre das Problem gelöst.“

Eine andere Stimme antwortete. „Herr von Fallströhm, ich bitte Sie. Schließlich ist er doch ...“

Von Fallströhm stöhnte. Der Krebs fraß wieder ihn ihm weiter und der Schmerz vertrieb die blassen Nebelwolken. Er schlug die Augen auf. Mehrere Personen standen um ihn herum. Langsam wurde das Bild klarer. Der Arzt von vorhin – es war doch erst vorhin gewesen? – blickte ihn ernst an, der Geschäftsführer von FEY stand daneben, sein freundlicher Gesichtsausdruck war jedoch einem zerknirschten und eingefallenen Antlitz gewichen.

„Was ist los?“, krächzte von Fallströhm. „Was hat nicht geklappt. Warum geht es nicht los?“

Der freundliche Geschäftsführer kratzte sich am Hinterkopf. „Geklappt hat eigentlich alles und die Transferierung ist gut gelaufen.“

Von Fallströhm verdrehte die Augen um den Rest von sich selbst zu begutachten. „Das ist nicht der bestellte Körper“, brachte er dann mühselig, aber schon etwas klarer heraus. Langsam wich die Betäubung aus ihm.

„Nein.“ Ein junger Mann, der von Fallströhm irgendwie bekannt vorkam, trat vor. „Meine Transferierung ist gut verlaufen. Ich bin im neuen jungen Körper. Das da...“, er zeigte auf den liegenden von Fallstzröhm, „ist nur der alte Rest von mir, den zu entsorgen sich diese feine Firma außer Stande sieht.“

Der Geschäftsführer breitete hilflos die Arme aus. „Es liegt doch nicht an uns. Die neue Regierung, die ...“

„Kann mir einer endlich sagen, was hier vor sich geht“, schimpfte nun von Fallströhm, zum Teil immer noch benommen. Sein Körper war steif, das Leben wollte sich nicht so recht wieder einfinden. Nur eines war ihm klar geworden. Er befand sich iin seiner alten, kranken Hülle. Deshalb war ihm das Auftreten des jungen Mannes auch nicht so recht verständlich. „Was läuft hier ab? Ein großartiges Betrugsmanöver?“ fragte er schließlich.

„Nein, um Himmelswillen nein“, stieß nun der Geschäftsführer hervor. „FEY ist absolut seriös. Niemand wird hier betrogen.“

Von Fallströhm schaffte es, mit einem Finger auf den jungen Mann zu deuten, von dem ihn immer noch nicht einfiel, wo er ihn schon einmal gesehen hatte. Aber er war ihm bekannt, verdammt bekannt. „Und wer ist das da?“ fragte er dann nach einer Atempause.

Der junge Mann, der einen Edelanzug trug, wie ihn von Fallströhm liebte, zupfte seine Krawatte zurecht. „Ich bin Peter von Fallströhm“, sagte er dann langsam und überdeutlich. Ich wurde transferiert und ich bin in meinem neuen, bestellten Körper.“

„Ich bin hier“, beharrte nun von Fallströhm auf dem Bett. „Also doch Betrug. Ich ...“

Der Geschäftsführer unterbrach ihn. „Lassen Sie es mir erklären. In unserem Gesprächen hatte ich bereits mehrmals darauf hingewiesen, dass die Transferierung der Persönlichkeit unserer Kunden im Prinzip genauso abläuft, wie das Verschieben einer Datei in einem Computersystem.“

„Ich bin aber nicht verschoben worden. Ich bin immer noch ich im alten Körper, verdammt.“

Verlegen lächelte der Geschäftsführer. „Ja und nein. Das Verschieben einer Datei läuft so ab: Erst wird an der neuen Stelle eine exakte Kopie der Datei erzeugt und dann die alte Version gelöscht. Wir haben in Ihrem neuen Körper eine Kopie Ihrer selbst, Ihrer Erinnerungen, Ihrer Gefühle, Ihrer Einstellungen, eben alles, was in Ihrem Gehirn gespeichert war, übertragen können. Mit Fug und Recht ist deshalb dieser Herr hier...“ er deutete auf den jungen Mann im Edelanzug – „dies hier sind Sie! Einzig mit dem Löschen des Datensatzes an der ursprünglichen Stelle, wenn ich bei meinem Beispiel bleiben darf, gibt es ein Problem. Wir haben eine neue Europäische Regierung. Und es ist leider nicht die, die wir alle hier vor der Wahl erwartet haben. Die Umfragen lagen bedauerlicher Weise gänzlich neben der Wirklichkeit. Die Pansozialistische Partei der Arbeit hat in Koalition mit der ökologischen Ethik-Bewegung die Mehrheit im Parlament und die neue Kommission gebildet. Tja, und diese Leute waren schon nie unsere Freunde gewesen. In einer ihrer ersten Verordnungen erklärten sie das „Löschen“ der Persönlichkeit im alten Körper nach der Transferierung zu Mord. Nun, es läuft eine Klage dagegen beim Gerichtshof, aber wir konnten Ihren alten Körper nicht bis zu einer Entscheidung im künstlichen Koma halten. Und jetzt sind Sie, gibt es Sie, nun, wie soll ich sagen ...“

Der junge Mann schob den Geschäftsführer energisch bei Seite. „Ja, lieber Peter. Es gibt mich zweimal. Einmal in der neuen, einmal in der alten Version. Du bist die alte Version. Lege Hand an Dich, dann schonst Du Dein, nein, mein Vermögen und ich brauche Dich nicht noch Monate oder gar Jahre durchzuschleppen. Aber nein, das wirst Du nicht tun, ich kenne mich ja.“

„Wenn wir beim Gerichtshof gewinnen, und ich gehe zuversichtlich davon aus, das wir es tun, dann können wir immer noch...“, begann der Geschäftsführer.

Der junge von Fallströhm lächelte kalt. „Glauben Sie im Ernst, dieser alte Körper wird sich freiwillig zum Löschen bei Ihnen einfinden? Er hängt an seinem Leben und wenn es noch so mickrig ist.“

Für einen Moment schwiegen alle Anwesenden. Der alte von Fallströhm versuchte sich aufzurichten und blickte dabei an sich herunter. „Ich habe nichts an“, stellte er fest. „Gebt mir gefälligst eine Decke! Ich bin schließlich nicht irgendwer, ich bin...“

„Nein, ich bin!“ Der junge von Fallströhm blickte höhnisch auf den Alten herab. „Ich bin Du. Ach ja, alles Vermögen von Dir wurde notariell auf mich übertragen. Du bist jetzt ein Nichts, Du bist weniger als der gute Manfred  je gewesen war.“

Der Geschäftsführer breitete wieder die Arme aus. „Aber meine Herren...“, begann er.

„Nichts da!“ rief nun der junge von Fallströhm aus und zeigte unhöflich mit dem Finger auf den Geschäftsführer. „Sie werden mir helfen, den Alten da in einem billigen Heim unterzubringen. Wenn ich Pech habe, macht er noch zwei Jahre. Ich erwarte eine Beteiligung an den Kosten von Ihnen. Sie müssen mir da im Wege der Kulanz entgegen kommen.“

„Aber unser Unternehmen kann doch nichts dafür. Wir ...“ Die beiden Männer entfernten sich gestikulierend aus dem Raum. Der zurückgebliebene Arzt blickte auf den alten von Fallströhm. „Ich schicke eine Schwester, die Sie mit Kleidung versorgt“, sagte er. Dann ging er ebenfalls zur Tür. Im Türrahmen drehte sich der Arzt noch einmal um. „Es tut mir leid“, sagte er und ging dann hinaus.

**********************************************************************************************************
Wenn Euch / Ihnen diese Geschichte gefallen hat: ich habe schon früher ein paar Erzählungen aus dem SF-Bereich hier auf MyHeimat ins Netz gestellt. Einfach den jetzt folgenden Link anklicken und Ihr seid / Sie sind bei der nächsten Story:

Mit diesem Link es es zur nächsten Geschichte (und zum nächsten Link)

Bürgerreporter:in:

Jens Schade aus Hannover-Döhren-Wülfel-Mittelfeld

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

71 folgen diesem Profil

1 Kommentar

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.