Die kaum entdeckten Inseln vor der Küste Estlands

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Schöne Orte sind oft überlaufen und verändern so ihren Charakter. Wer besondere Orte besuchen möchte, die ihren ursprünglichen Charme noch weitestgehend erhalten haben, kann zum Beispiel zu den Inseln vor der Küste Estlands reisen. Mit dem Mietwagen von Tallinn aus lassen sich auf Hiiumaa, Saaremaa und Muhu menschenleere Küsten, eindrucksvolle Leuchttürme und geschichtsträchtige Orte entdecken. Wer mit dem Auto unterwegs ist kann die drei Inseln bei einer selbst organisierten Rundreise besuchen.

Ein Urlaub in Estland beginnt meist auf dem Flughafen. Als Direktflug oder über nordeuropäische Großstädte wie Kopenhagen wird der in der Nähe der Stadt gelegene Flughafen von Tallinn regelmäßig angeflogen. Für den Weg in die Innenstadt kann man sich beruhigt ins Taxi setzen und für knapp zehn Euro in den nahegelegenen Stadtkern fahren. Der bietet Urlaubern aus aller Welt das Flair einer jungen und modernen Großstadt mit Geschichte. Während auf den ersten Blick die Stadtmauer, die großen Kirchen und das historische Erbe ins Auge fallen, ist Estlands Hauptstadt heute in erster Linie modern. Schon seit Jahren finden Wahlen zum Parlament genau wie viele Verwaltungsvorgänge über das Internet statt. An vielen Orten sorgt W-LAN dafür, dass auch Urlauber kostenfrei ins Netz gehen können.

Um alle Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt besuchen zu können, sollte man dort zwei bis drei Tage verbringen. In der Zeit kann man nicht nur ins nur von Kerzen beleuchtete, mittelalterliche Restaurant „Olde Hansa“ im Stadtzentrum gehen, sondern auch einige der Museen besuchen. Wer nur wenig Zeit hat, sollte nicht versäumen auf einen der hohen Kirchtürme zu steigen und von dort über die Stadt zu blicken. Von der Terrasse des höher gelegenen Dombergs hat man ebenfalls einen schönen Blick über die Stadt und kann anschließend unterhalb der Stadtmauer durchs Grüne gehen. Ein Abstecher in das Künstler- und Kreativviertel Telliskivi lohnt sich für alle, die sich für alternative Geschäfte, Kunst und Kultur interessieren. Auch Galerien, Kunsthandwerk und die Bäckerei „Muhu Pagarid“ mit köstlichem Brot von der Insel Muhu haben in umgebauten Fabrikhallen ein Zuhause gefunden. Besonders günstig unterwegs ist man in Tallinn mit der für verschiedene Zeiträume erhältlichen Tallinn-Card. Diese öffnet die Türen zu zahlreichen Sehenswürdigkeiten und erlaubt die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Wer tiefer hinter die Kulissen der Stadt blicken möchte, entscheidet sich für eine Stadtführung. In der Gruppe oder ganz individuell geht es dann auf eine Tour, auf der man nicht nur die touristischen Hotspots besucht, sondern auch Geheimtipps bekommt und auf Wunsch Hintergründe zum Leben der Esten erfährt. Tourguide Volker Röwer zum Beispiel führt seine Gäste auch in das alte Wohnviertel „Kalamaja“ mit idyllischen Holzhäusern und kennt sich aus mit Politik und Gesellschaft. Am Abend warten zahlreiche Restaurants auf Gäste. Schön ausklingen lassen kann man den Tag zum Beispiel im zentral gelegenen Restaurant Pegasus. Dass man gut gewählt hat, schmeckt man schon, wenn man das vor dem Essen gereichte Brot gekostet hat. Leider bleibt das Rezept geheim; man würde es sonst gleich nachbacken wollen. Wer nach dem Abendessen noch munter ist, macht einen Abendspaziergang durch die beleuchtete Altstadt oder geht zum Beispiel im Nachtclub „Café Amigo“ im Solo Sokos Hotel Estroria tanzen.

Während die Hauptstadt für die gelungene Mischung aus Geschichte und Modernität bekannt ist, kennen nur wenige Urlauber die anderen Teile des Landes. In knapp zwei Stunden erreicht man mit dem Auto über gut ausgebaute Autobahnen und Landstraßen den Hafen Rohuküla in der Nähe der Stadt Haapsalu. Interessant ist in der Stadt insbesondere die auch für Festivals und Konzerte genutzte Burganlage. Der Innenhof der Anlage ist frei zugänglich, sodass man rund um die Burggebäude gehen kann. Oft zu Gast war in Haapsalu der russische Komponist Tschaikowsky. Ihm zu Ehren steht eine nach ihm benannte Bank auf der Promenade. Wer genau weiß, zu welcher Zeit er die Fähre zur Insel Hiiumaa nehmen möchte, kann die auch für PKW günstige Fahrkarte vorher per Internet buchen und so einen Platz an Bord reservieren. Alle anderen können die Tickets zum gleichen Preis im Hafen kaufen. Nachdem das Auto an Bord abgestellt ist, kann man vom Oberdeck aus die Überfahrt genießen und die vielseitige Küste des Festlands und später der Insel betrachten.

Hiiumaa ist die Insel der Leuchttürme. Rund um die Insel mit ihren teils schroffen Felsen wurden einst gewaltige Leuchttürme gebaut, um Schiffen einen sicheren Weg zu weisen. Besonders sehenswert ist der Leuchtturm von Köpu. Der weiße, eckige Turm steht auf dem Hügel einer bewaldeten Landzunge. Tagsüber kann der Turm besichtigt werden und bietet nach dem Aufstieg durch das Treppenhaus einen eindrucksvollen Ausblick. Im Inneren des Turmes sind Bilder zu sehen, in welch schlechtem Zustand der Turm vor seiner grundlegenden Sanierung war. Beschaulicher ist der rote Leuchtturm von Ristna, der in einem Waldgebiet liegt und in dessen Umgebung man einen schönen Strandspaziergang machen kann. Wer Kultur mag, kann den Leuchtturm von Tahkuna ansteuern. Rund um den Turm ist ein Café entstanden, das beliebter Treffpunkt und Veranstaltungsort für gelegentliche Konzerte in den Leuchtturmmauern ist. Ganz in der Nähe liegt mit Blick auf das Meer ein Denkmal für die Opfer des Estonia-Fährunglücks. Eine metallene Glocke wird dort vom Wind in unregelmäßigen Abständen angeschlagen. Als Naturwunder gilt der Sääretip. Diese Landzunge erstreckt sich bis weit in das Meer hinein und wird daher von den meisten Touristen angesteuert. Wer auf Hiiumaa unterwegs ist, entdeckt am Wegesrand immer wieder eindrucksvolle Ruinen von Kirchen aus den vergangenen Jahrhunderten. Dies zeugt von der wechselhaften Geschichte der Religion in der Region. Übernachten kann man auf Hiiumaa in zahlreichen Hotels und Privatunterkünften. Auf der Halbinsel Kassari liegt zum Beispiel das modern umgebaute Gästehaus Dagenhaus, dessen Architekt Bausubstanz aus dem Jahr 1840 mit moderner Architektur verbunden hat.

Da die Fähren zur Nachbarinsel Saaremaa weniger häufig fahren, ist beim Transfer dorthin gute Planung wichtig. Einmal angekommen gibt es viele Möglichkeiten. Gleich neben der Landstraße stehen die Windmühlen von Angla. Auf dem alten Mühlenberg wurden mehrere historische Windmühlen nachgebaut und können besichtigt werden. Während man die Gebäude auch ohne Museumsbesuch gut sehen und fotografieren kann, ist das interessante Innenleben der Mühlen den Eintritt wert. Anschauen kann man nicht nur die in der Region früher weit verbreiteten Bock-Mühlen, sondern auch eine Holländer-Mühle. Ebenfalls anschauen sollte man sich den Leuchtturm von Sörve. Der Rundturm steht auf einer sandigen Landzunge, an der man einen schönen Strandspaziergang machen kann. Kleine Fischerboote aber auch aus dem kalten Krieg übrig gebliebene Bunkeranlagen sind genauso zu sehen wie ein weiter Strand und die Spitze der Landzunge, an deren beiden Seiten sanfte Wellen branden. Einen Abstecher wert sind auch die Meteoritenkrater von Kaali. Vor Jahrtausenden stürzten in der Gegend Meteoriten herab und schlugen bis heute sichtbare Krater in den Boden. Während viele der kleineren Krater selbst mit Karte in Feldern und Büschen kaum auszumachen sind, hat der große Krater einen Durchmesser gut hundert Metern und eine Tiefe von rund 16 Metern. Je nach Witterung ist der mit Treppen für Besucher erschlossene Krater unterschiedlich weit mit Wasser gefüllt. Im Norden der Insel liegt die sehenswerte Steilküste von Panga. Diese erhebt sich rund zwanzig Meter über dem Meeresspiegel. Neben der Natur sind hier die Ausblicke auf die die Sonnenuntergänge besonders eindrucksvoll. Anschließend sollte man in die Inselhauptstadt Kuressaare fahren. Dort kann man dann noch einen Spaziergang durch die am Meer gelegene Bischofsburg aus dem 14. Jahrhundert machen. Im modernen Stadtzentrum gibt es verschiedenen Hotels wie das Boutique Hotel Arensburg mit seinem rustikalen und etwas günstigeren Gästehaus, in denen man übernachten kann.

Über eine Brücke erreicht man am nächsten Tag die Insel Muhu. Auf dieser sind die Entfernungen kurz. Dafür lohnt sich eine ganz genaue Vorbereitung der Anreise, denn nicht jedes Hotel gibt eine für Navigationsgeräte verständliche Anschrift an. In Englisch und mit Händen und Füßen gelingt es dennoch sich mit Hilfe der wenigen Einwohner zum Hotel durchzufragen. Gut versteckt liegt zum Beispiel der Bauernhof Nautse-Mihkli. Er bietet seinen Gästen rustikale Zimmer auf einem alten Gutshof. Wer mag kann ein Menü buchen und sich vom Geschmack des Straußen-Fleischs von der nahegelegenen Straußenfarm überraschen lassen. Eine schöne Abwechslung ist eine Radtour durch die Umgebung. Auf Feldwegen und einsamen Landstraßen kann man die dünn besiedelte Kulturlandschaft entdecken. Im Heimatmuseum von Muhu präsentiert Rutt Veskimeister historische Gebäude und Exponate mit langer Geschichte. So sieht man ein über die Mauer gelegtes Boot. Dies ist auf Muhu Tradition, denn die Fischer gingen stets davon aus, dass ihr Boot eine Seele hat. Daher werden die Boote, wenn sie nicht mehr seetüchtig sind, nicht entsorgt, sondern bekommen einen Ehrenplatz in der Nähe der Fischerhäuser. Erst wenn gar keine andere Verwendung mehr denkbar ist, wird die Seele des Bootes beim Johannisfeuer verabschiedet.

Am letzten Tag geht es mit der Fähre zurück zum Festland. Von dort bis in die Hauptstadt Tallinn sind es mit dem Auto bei einem Tempolimit von 90 km/h rund zwei Stunden. Auf dem Weg zurück nach Hause kann man aus dem Flugzeug einen letzten Blick auf die Küste des bisher kaum entdeckten Reiseziels im Osten Europas werfen. Viele sagen dann in Gedanken „Head aega“ - denn in Estland gibt es noch viel zu entdecken.

Bürgerreporter:in:

Christian Kolb aus Essen

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