Christian-Rauch-Schule, Bad Arolsen: Projektwoche 2008 - "Große Träume"
Erhard Blanck, ein 1942 geborener deutscher Heilpraktiker, Schriftsteller und Maler hat den Satz geprägt: „Bildung nennt man, was dir partout nicht mehr aus dem Kopf geht.“ Das hier beschriebene Projekt lässt den, der nicht an der aktiven Umsetzung beteiligt war, nur erahnen, welche Möglichkeiten Bildung ergreifen kann, um nachhaltig motivierend, Erfahrungen, soziale Kompetenzen, fächerübergreifendes Wissen mit Freude und Engagement zu vermitteln. Deshalb gilt unser dickes Lob all denen, die das Projekt mit gestaltet haben. Der Förderverein der
Christian-Rauch-Schule, als einer der finanziellen Unterstützer, ist stolz darauf, an der Verwirklichung beteiligt gewesen zu sein. (Heidrun Preiß)
Experimenteller Geschichtsunterricht - eine Forscher-Vision selbst
erleben: Nachbau des Ozean-Floßes KON TIKI (ein Bericht von A. Erdmann)
Eine Trompetenfanfare verklingt in der morgendlich herbstlichen Nebelatmosphäre über dem Twistesee. Die darauf folgenden Stille, in der man nur die Wellen und ein paar Vogelrufe und das Rauschen des Windes in den Bäumen hört, wird abrupt durch das Zerbersten einer Kokosnuss am Mast des fertig gestellten Ozean-Floßes unterbrochen. In Anwesenheit von Eltern, Presse und Fernsehen sowie einigen schaulustigen Spaziergängern erhält das Floß bei dieser feierlichen Taufe den Namen KON TWIKI. Darin klingt der Name des vielleicht berühmtesten Floßes mit, das Thor Heyerdal 1947 baute, um damit in 100 Tagen den Pazifik zu überqueren. Und darin klingt ganz bescheiden durch die Wortverschmelzung TWI unser (nicht ganz so voluminöser “Großer Teich”), der Twistesee mit.
Am 24. Oktober 2008 hatten es die 30 Schülerinnen und Schüler aus den Klassen 8 und 9 geschafft. Im Wasser des Twistesees schwamm ein naturgetreuer Nachbau des Ozeanfloßes. Im Maßstab 2:1 maß es immer noch 7m in der Länge, 2,40m in der Breite und mit dem markanten A-Mast ca. 5m in der Höhe und es wog schätzungsweise zwei Tonnen. HR3 berichtete mit einer Kurzreportage in der Hessenschau über die letzten Bautage und die Sendung ist nach wie vor auf der HR3 Seite im Internet zu finden (google: Kon Tiki HR3).
Wie war es zu diesem Projekt gekommen? - Ein solches Projekt braucht viele Schultern und mehr als einen Kopf, um Realität zu werden. Hier haben Lehrer (A. Erdmann / A. Neuwöhner), ein Forstpädagoge (H. Dippel) und ein besonders engagierter Elternvater (D. Menke) in Teamarbeit dicht zusammengearbeitet. Dem voraus ging eine Odysee durch die verschiedenen Banken und Firmen Arolsens, weil der Förderverein die Bausumme nicht allein tragen sollte.
Nach einigen Wochen des bangen Wartens kamen die ersten positiven Nachrichten der Arolser Firmen. Essex spendete prompt einen ansehnlichen Betrag, wofür wir dem Geschäftsführer, Herrn Schaumburg, sehr danken möchten. Die Firma Hewi wollte uns gern vorher auf den Zahn fühlen und lud zu einem Treffen in der Direktion im großen Konferenzzimmer ein. Die Geschäftsleitung, Herr Fenski und Herr Stute, erkundigte sich genau, wie und was und in welcher Weise, um dann offenherzig einzugestehen , dass sie selbst als Schüler gerne die Gelegenheit zu so einem Geschichtsunterricht gehabt hätten. Auch hier möchte ich mich für die gespendete Summe bedanken. Den Löwenanteil der Bausumme trug die Sparkasse Waldeck-Frankenberg und ich möchte mich für diese großzügige Förderung (v. a. bei Herrn Schüttler) bedanken. Eine Privatspende kam von einem Bausparkassen-Mitarbeiter, Herrn Fischer aus Twistesee und der Förderverein trug die noch erforderlichen Restkosten. Besonderes Engagement zeigte auch Herr Bangert, der in den Sommerferien zusammen mit dem Projektleiter ein dutzend Bäume auf seinem Grund und Boden fällte und sie uns frei zur Verfügung stellte. Das Startkapital war unser erstes “Kap Horn” in diesem Projekt.
Der nächste große Unsicherheitsfaktor lag in der Tatsache, dass es nirgends Baupläne zu diesem Floß gab. Alles was sich nach gründlicher Recherche und vielen Telefonaten und Emails an die Universität Berlin, das Thor Heyerdahl Museum Oslo und diverse andere Quellen finden ließ, war der in Romanform abgefasste Bericht und ein auf der Fahrt gedrehter Dokumentarfilm. Wir fanden über das Telefonbuch die Adresse von Olav Heyerdahl, dem Sohn Thor Heyerdahls. Er reagierte sehr herzlich und hilfsbereit, erklärte aber zu seinem Bedauern, dass sein Vater wohl überhaupt keinen Plan angefertigt hatte. Er selbst hat im Jahr 2007 Im Kielwasser seines Vaters die Überquerung mit einer neuen Crew und natürlich auch einem neuen Floß wiederholt. Um dies zu bauen hatte auch er alle Unterlagen durchgesehen und nichts gefunden. Wir mussten also mit den wenigen Momenten arbeiten, in denen der Film Gesamtaufnahmen des Floßes und der verschiedenen Details liefert bzw. einigen Fotos und schriftlichen Angaben. Sie wurden in mühsamer Arbeit in einen nachgezeichneten Bauplan übertragen. Nun könntet ihr meinen, ein Floß kann ja nicht so kompliziert zu bauen sein. Weit gefehlt, an diesem Floß befindet sich kein einziger Nagel und keine einzige Schraube. Alles ist aus Holz oder Tau zusammengefügt, wie es von den Ureinwohnern Südamerikas vermutlich auch gebaut worden ist. Und dieses Floß kann im Gegensatz zu den Tom Sayer Versionen auf dem Mississippi oder der Weser einem Sturm auf hoher See trotzen und auch bei widrigen Winden vorwärts kommen (“kreuzen”). Auch wenn die Belastungen auf dem Twistesee nicht denen eines vom Sturm aufgewühlten Pazifik tausende Kilometer weit weg von jedem Land gleichen, so war es doch das Ziel möglichst authentisch zu rekonstruieren, was den Erfolg dieser Pazifik-Überquerung ausgemacht hat. Heyerdahls Theorie ist übrigens heute weitgehend widerlegt, aber sein praktischer Ansatz imponierte und imponiert nicht nur Jugendlichen und Abenteurern, sondern auch erstzunehmenden Wissenschaftlern und verbeamteten Pädagogen. Niemand hat damals daran geglaubt, dass es überhaupt möglich ist, mit einem Floß über 7000 km Ozean zu fahren. Und kaum jemand hat es bisher für durchführbar gehalten, dass 30 Kinder eine Rekonstruktion in solchen Dimensionen noch dazu innerhalb einer Woche herstellen können.
Von morgens bis weit in den Nachmittag hinein haben die Schüler den Füller mit der Axt und das Geo-Dreieck mit dem Hobel oder der Säge vertauscht. Sie haben weitere Bäume gefällt. Als ganze Gruppe mussten sie die Arbeitsschritte selbstständig diskutieren und planen. Nachdem die schweißtreibende Anfangsarbeit, das Zurechtsägen, das Einschlagen der Kerben und das Schälen der Bodenstangen erledigt war, sollten nach Beschluss der Schüler Einzelteams gleichzeitig verschiedene Baubereiche abdecken, um effektiver zu arbeiten (Team Masten und Segel, Team Kajüten-Hütte, Team Baumfäller, Team Weidenschneider, Team Floßkorpus, Team Bugkonstruktion); Natürlich ging es dann nicht so reibungslos und effizient, wie geplant. Plötzlich schwamm unsere große Plastiktonne auf dem See und trieb ab und ich musste etwas lauter werden. Oder die männlichen Jugendlichen wollten den weiblichen durch besonders souveränes, ja waghalsiges Handhaben der Hackbeile imponieren. Es gibt Menschen, die behaupten, dass das mit Hormonen zusammen hängt. Das nutzte uns Projektbegleitern aber gar nichts, wenn man von weitem sah, wie ein Jüngling seinen Tomahawk in die Luft warf, um ihn lässig wieder aufzufangen oder eine vorher noch nicht dagewesene Kerbe in der Bank prangte, auf der die Floßbauer (betont harmlos kauend) ihr Mittagsmahl verzehrten. Dennoch glaube ich, dass neben dem gerechten Zorn bei solchen Überschreitungen von Grenzen die Grundstimmung ungewöhnlich gelassen und entspannt war - trotz oder gerade weil so hart gearbeitet wurde.
Das Wetter erregte beim ein oder anderen Missmut, mancher arbeitete aber sogar in der Mittagspause bei strömendem Regen weiter und so konnten wir am Freitag den Mast aufrichten, die Hütte aufs Floß setzen und - nein, nicht beruhigt nach Hause gehen. Denn nun würde es sich erweisen, was nie hatte geprobt werden können. Ob unser schweres und massives Floß überhaupt zu Wasser gebracht werden kann. Wir hatten das stundenlang überlegt und mit Strohhalmen ausprobiert, aber das war experimentelle Theorie - mehr nicht. Am Strandbad hatten wir einen für unsere Zwecke sehr günstigen Ort gefunden, weil das Floß vom dort aufgeschütteten Sand ohne viel Gefälle ins Wasser gezogen werden konnte. Zu diesem Zweck hatten wir die ganze Floß-Konstruktion auf einer Schiene gebaut, auf der wiederum acht Rollhölzer auflagen. Der Physikunterricht wurde hier angewandt: Rollreibung, Hebelwirkung, etc. Die alles entscheidende Frage war: würden wir es schaffen, dieses 7m lange Floß nur durch unsere gemeinsame Kraft bis in fahrbares Wasser zu rollen und zu schieben? - Mit lautem Hauruck wurde am Freitag geschoben, an Tauen gezogen, mit großen Stangen und Klötzen gehebelt und die erste Rollstange brach, kurz darauf die zweite. Es ging zentimeterweise voran. Das Floß drückte die Schienen tief in den Sand hinein und wir verloren im Untergrund reihenweise den Halt. Das war Schwerstarbeit und wir haben auch ein bisschen geflucht und gleichzeitig spürten wir, dass es jetzt auf die Kraft von uns allen ankam. Jetzt aufgeben? Nach all den überwundenen Hindernissen?
Die Bugkonstruktion war schon im Wasser, wir legten Schienen und Rollen nach, wateten bis weit über die Knie im kalten Seewasser und noch immer ging es nur stoßweise voran. Ich weiß nur noch, dass am Schluss plötzlich der See zu helfen begann, Auftrieb spürbar wurde und einige Schüler bis zur Hüfte im Wasser standen. Dann schwamm unser Floß. Es schwamm mit seinem stolzen Doppelsegel und dem herausragenden Bug, den Rudern und der etwas wackeligen Hütte und jeder, der mit daran gebaut hat, das behaupte ich einfach, war in diesem Moment stolz wie ein König.
Ein Effekt des noch relativ jungen Holzes (Balsa war nicht im Budget und wir haben Fichte verwendet) war der zu große Tiefgang. Mit fünf Schülern an Bord sank unsere schöne Kon Twiki relativ weit ab. Damit war auch die Manövrierbarkeit nicht einfach. Kurzerhand ließen wir uns von einem kleinen Ruderboot auf Bahn bringen und genossen dergestalt vom Ufer oder auf dem hohen See die Jungfernfahrt.
Im Frühjahr sah man auf dem Floß in der Nähe des Spielplatzes häufig kleine Kinder spielen oder Senioren flanierten, nachdem sie das Informationsschild gelesen hatten, mit einem milden anerkennenden Lächeln vorbei.
Unerfreulicherweise haben einige Betrunkene Anfang dieses Jahres in einer schlechten Nacht einen guten Teil der Floß-Aufbaufbauten und des Bugs zerstört, weggeschleppt und als Feuerholz genutzt. Zurück blieben nur die Kronkorken und der unverwüstliche Teil unseres Floßes (Korpus und Masten). Ohne die Hilfe von Herrn Einax, ebenfalls ein besonders engagierter Elternvater, hätten wir dann auf Anraten der Stadt das Floß verbrennen müssen. Die Stadt machte sich Sorgen, weil bei möglichen Unfällen am Floß - z. B. ein Kind klettert und fällt unglücklich - sie haftbar gemacht werden würde.
Momentan liegt das Floß noch im “Trockendock” in Volkmarsen-Ehringen, soll aber schon Ende des Jahres an den Edersee kommen, wo es vom Team Verbal im Rahmen der Jugendarbeit wieder flott gemacht wird und endlich (gut getrocknet) ganz einsatzfähig sein sollte.
Ach ja und damit sie sich jetzt nicht über die “Raudis” empören: Aus der zufälligen Bekanntschaft mit Herrn Dippel, ebenfalls einem Elternvater der CRS, entstand schon während der Kon Tiki Bauphase der Gedanke: Wenn Schüler ein solches Floß bauen können, warum sollten sie dann nicht auch ein Segelschiff bauen können? Herr Dippel ist nebenberuflich Bootsbauer und bietet seit Jahren Workshops für den Bau von arktischen Booten an. So wird eins im andern geboren, der ins Wasser geworfene Stein zieht schon den zweiten Kreis und während ich diesen Bericht schreibe, haben 28 Schüler bereits seit fast fünf Wochen an diesem neuen Projekt gearbeitet. Der Kinderkanal hat uns angeschrieben und darum gebeten, ob er eine Sendung darüber drehen darf (sechs Drehtage begleitet uns das Fernsseh-Team aus Berlin) und unser Ziel ist ein sehr leichtes Wasserfahrzeug zu konstruieren, zwölf Meter lang, 2,50 Meter breit und mit Segel, dass allen Schülern unserer Schule als “Schul-Schiff” zur Verfügung gestellt werden soll. Man kann einen Wandertag auch auf dem Wasser machen und ein eigenes Schiff für knapp 20 Personen soll Kanukosten sparen und Klassen freiwillig zusammenschweißen. Die Segelschiffvorlage ist übrigens wieder ein Stück Geschichte, weil mit solchen Skinboats oder Umiaks die Inuit in der Arktis unterwegs waren und ein Mönch namens Brandan tausend Jahre vor Kolumbus den Atlantik überquert hat. Auch diese Fahrt wurde 1977 rekonstruiert und wiederholt, aber das ist eine andere Geschichte und sie soll ein andermal erzählt werden.
Wer war dabei: Die Floßkonstrukteure und -bauer aus Jahrgang 8 und 9
Yannick Augstein, Dominik Bachmann, Wieland Bracht, Leonard Dravoj, Florian Eckert, Arthur Einax, Marco Engemann, Annika Fox, Jannik Gutmann, Nathanael Königs, Markus Kümmel, Jessica Lamotte, Alexander Leis, Min Hai Lo, Jonas Melcher, Nils Melcher, Markus Melcher, Raphael Menkel, Marlen Meckelburg, Chiara Miesel, Andreas Newidomskich, Finn Ohm, Marcel Okel, Pascal Perrot, Nicolas Schmand, Louis Schwarze, Jonas Schönfelder, Torben Sinemus, Fabian Steiner, Björn Westphal, Lena Wetekam
Projektbegleitung:
Herr Erdmann und Herr Dr. Neuwöhner, Herr Menke, Herr Dippel, Herr Deuermeier
Projektunterstützung aus dem Hintergrund:
Olav Heyerdahl, Herr Kisselbach, Herr Bangert u. a.
Vor allem möchte ich mich bei den Schülern für ihre ungewöhnliche Leistung bedanken, denn alles wäre ein bloßes Luftschloss, ein lebloser Gedanke geblieben, wenn sich diese Schüler nicht auf das Projekt eingelassen hätten oder mit weniger Engagement und Leidenschaft bei der Sache gewesen wären.
A. Erdmann
Falls sich jemand fragt, warum ich den Artikel über das Boot-Bau-Projekt „Kon Tiki“ unter der myheimat-Rubrik „Politik“ veröffentlicht habe, ist das ganz einfach zu erklären. Politik, und somit auch Bildungspolitik, soll laut der weitverbreiteten Meinung in verschiedenen Lexika, so auch im „Politiklexikon von Klaus Schubert und Martina Klein“, jegliche Art der Einflussnahme und Gestaltung sowie die Durchsetzung von Forderungen und Zielen in privaten und öffentlichen Bereichen und die aktive Teilnahme an der Gestaltung und Regelung dessen, was alle Bürger betrifft, sein.
Raymond Walden, ein 1945 geborener Kosmopolit, Pazifist und Autor meint: „Ein erfolgreiches Bildungssystem befähigt zum lebenslangen Autodidakten.“ Diese und ähnliche Projekte sind ein Schritt in die richtige Richtung.
Trotzdem oder gerade deshalb bleibt die Frage an die Bildungspolitik: Wohin geht unser Bildungssystem? Gibt es überhaupt eine Rechtfertigung für die geplanten Einsparungen auf dem Bildungssektor? Muss nicht eine wirklich gute Bildung unserer Kinder oberstes Ziel von Politik sein? Oder stimmt die Behauptung von Manfred Grau, einem 1948 geborenen deutschen Betriebswirt und Publizist: „Bildungspolitik: Je dümmer der Staat seine Bevölkerung hält, umso einfacher kann er sie manipulieren.“?
Weitere Informationen zum Förderverein der Christian-Rauch-Schule findest Du hier
Bürgerreporter:in:Heidrun Preiß aus Bad Arolsen |
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