ELECTRONIC CITY – LIEBE IN DEN ZEITEN DER GLOBALISIERUNG

Die Premiere von Falk Richters Electronic City in der Inszenierung von Fabian Alder findet am 21. März 2009 am Theater Augsburg statt. Als Vorabinformation hier ein Interview, das Autor und Regisseur Falk Richter mit der Zeitschrift HINZ UND KUNST geführt hat.
(Abgedruckt in HINZ UND KUNST, Hamburg – Februar 2003 – zur Lesung von Electronic City im Deutschen Schauspielhaus Hamburg)

Gibt es wirklich Leute, die so völlig losgelöst im virtuellen Raum leben wie Tom und
Joy?
Natürlich sind die Figuren überzeichnet, natürlich leben nicht alle so.
Aber wenn man ein aussagekräftiges Bild für die heutige Zeit sucht, wäre das schon so
eine Reihe Manager, die alle gleich aussehen und in der Business-Lounge sitzen, auf
ihre Laptops einhacken und gleichzeitig telefonieren - so wie Tom. Und hinter ihnen
läuft CNN und man sieht, wie gerade Afghanistan bombardiert wird oder irgendwo
anders Truppen aufmarschieren, um Handelswege für sie freizuräumen.
Und wofür steht Joy?
Sie ist die eigentlich vielschichtigere Figur, eine Frau die schon die verschiedensten
Jobs gemacht hat, das auch interessant fand. Sie ist den Verheißungen von flexibler
Arbeitszeit und “was von der Welt sehen“ gefolgt.
Jetzt steht sie im Auftrag einer Warenhauskette täglich in einer anderen Stadt an der
immer gleichen Scannerkasse und merkt, dass ihr Verwurzelung und Zusammenhalt
fehlen. Sie hat jeglichen Bezug zu irgendetwas verloren.
Joy erweckt Mitgefühl, aber gerade solche Typen wie Tom sind einem spontan erst mal
unsympathisch. Warum widmen Sie sich ihnen trotzdem?
Es geht mir darum, die Herrschaftsklasse darzustellen, die Leute, die die eigentlich
wichtigen Entscheidungen in der Welt fällen – die Manager und ihre Wirtschaftskriege -
aber ich fände es zu einfach, diesen Lebensstil nur lächerlich zu machen. Mich
interessiert immer, was aus einem Menschen hätte werden können, wenn er andere
Chancen gehabt hätte. Ein Schauspieler kann dieses andere, in Toms Fall eben auch
liebenswerte, Potential, zum Vorschein bringen. Tom versucht zu singen und hat kaum
eine Stimme, es gibt keine Verbindung zwischen dem ständigen Finanzrauschen in
seinem Hirn und seinen Gefühlen – in diesen Momenten spürt er die Abwesenheit von
allem Menschlichen in ihm, er ist nur noch Funktionsträger. Da merkt man, dass da
Emotionen vorhanden sind, die sich aber aufgrund des Lebens das er führt, nie
entwickeln konnten. Mich interessiert, wie viel Widerstand da ist, sich gegen die
herrschenden Strömungen aus der Wirtschaft zu behaupten.
Hat in dieser globalisierten Welt die Liebe noch eine Chance?
Es ist schwer, auf jeden Fall! (lacht) - aber das war es natürlich immer. Aber bestimmte
Formen der Globalisierung bewirken eine Ortlosigkeit, die irgendwann auch zu einer
Verantwortungslosigkeit führt. Man spekuliert beispielsweise an der Börse auf
irgendetwas, ohne je mit den direkten Folgen konfrontiert zu sein. Ein Fond steigt, weil
ein afrikanisches Land unter die Armutsgrenze stürzt oder 100000 Arbeiter entlassen
werden. Der Spekulant merkt davon nichts. Das spielt natürlich auch im Privaten eine
Rolle, aus so einer totalen Bezugslosigkeit entsteht letztlich eine völlige persönliche
Leere.
Die auch die Liebe nicht mehr füllen kann?
Zuerst glaube ich, ganz banal, dass man sich einfach ab und an einmal persönlich
sehen muss. Auch wenn immer behauptet wird, mit Bildhandy und Internet könne die
virtuelle Welt die reale irgendwann ersetzen. Das stimmt einfach nicht! Deshalb mache
ich auch so gerne Theater, weil man da eben direkten Kontakt hat.
Wie ist das bei Ihnen selbst? Sie pendeln ständig zwischen Zürich, Berlin und Hamburg.
Wissen Sie immer, wo Sie sind?
Das schon - obwohl sich ja die Städte durch die überall gleichen Werbeplakate und
Läden tatsächlich immer ähnlicher werden. Manchmal nähere ich mich den Zuständen
von Joy und Tom durchaus an.
Was tun Sie dagegen?
Ich ziehe mich öfter tagelang von allem zurück, bin nicht mehr erreichbar und ich
arbeite ja tatsächlich immer noch mit denselben Leuten zusammen, mit denen ich vor
sieben Jahren hier auf Kampnagel angefangen habe. Und ohne die würde ich das auch
gar nicht können. Das ist meine Familie, ohne die meine Inszenierungen auch gar nicht
entstehen würden. Wobei wir eben auch nicht an einem Ort leben, aber wir kommen
immer wieder zusammen, und in dem Moment ist die Verbindung dann sehr stark.
Kann man dieses Prinzip des Halts in der Gruppe auf andere Arbeits- und
Lebensbereiche übertragen?
In der Wirtschaft gibt es eher den Gedanken des flexiblen Teams, das sich je nach
Anforderung auflöst und in anderer Besetzung neu zusammen kommt. Ein beständiger
persönlicher Zusammenhalt ist da gar nicht erwünscht. Dieses völlig vereinzelte
Unglück von Tom ist eben auch gut auszubeuten. Er verhält sich seinen Kollegen
gegenüber völlig unsolidarisch, ein Karrierekrieger, der sich niemals gemeinsam mit
anderen gegen seinen Chef auflehnen würde. Die Angst, fallengelassen zu werden, ist
zu groß. Er schaut sich Pornos an, weil er keinen Sex mehr hat und muss sich ständig
irgendwas kaufen, um sich zu belohnen.
All Ihre Stücke sind sehr politisch, wo hat das seine Wurzeln?
Ich komme aus einem sehr staatstragenden Elternhaus. Mein Vater war ein
einflußreicher Hamburger Geschäftsmann der Erhard-Zeit. Wir sind in fast allen Fragen
aneinandergeraten. Ich erinnere mich an meine erste Demo: Eine Flugwaffenshow am
8.Mai, mein Vater und ich standen uns da auf den unterschiedlichen Seiten gegenüber,
kurz bevor die übliche Polizeiklopperei losging, und meine Mutter panisch
dazwischen.
Dann habe ich in St. Pauli Zivildienst gemacht und damals da auch in einer grossen
WG gewohnt, wo die unterschiedlichsten Leute gelebt haben: Eine Frau, die sich stark
in der ANTIFA engagiert hatte, war sozusagen die WG Mutti, ein Mann, der gerne
Heroin zu sich nahm, ein schwuler Heizungsmonteur und ein Kulturwissenschaftler,
der einen Hang zum Okkulten hatte und sehr belesen war (lacht), und noch zwei freie
Künstler – kurz nachdem ich da auszog, ist übrigens Nicoals Stemann in dieselbe WG
gezogen – das war damals Reeperbahn 65, genau über WORLD OF SEX. Das hat mich
insofern geprägt, als es in St Pauli in all diesem Hardcore-Kommerz und diesem ganze
Pornotainment eine Lokalkultur gibt, die eine grosse Widerstandskraft gegenüber dem
System hat. Leute in St Pauli sind an sich sehr skeptisch gegenüber allem, was von
irgendwelchen Obrigkeiten an sie rangetragen wird, sie lassen sich nichts vormachen,
ausserdem wissen sie, wie abgefuckt unser System ist – das sehen sie ja nun jeden Tag
– es gibt ein grosses lokales Zusammengehörigkeitsgefühl dort. Leute, die sich in eine
Gruppe eingebunden fühlen, lassen sich auch politisch nicht so leicht weg fegen.
Das ist ja eine Mindesthoffnung, dass Menschen skeptisch gegenüber den
Verhältnissen sind, die uns über die Werbung und Fernsehen immer als hervorragend
dargestellt werden und darin sehe ich eine zentrale Aufgabe von
Kunst. Das System darzustellen ohne werbeästhetische Mittel zu benutzen. Im
Fernsehen sehe ich nur noch hysterisch applaudierende Menschen in Studios, die
klatschen und jubeln und unentwegt Optimismus und gute Laune vorspielen müssen.
Damit verdeckt das System seine Mißstände, klatscht sie sozusagen weg. Das Theater
kann den umgekehrten Weg gehen: Dinge sichtbar machen, die sonst niemand zeigen
will.
Wollten Sie deshalb schon immer Theaterautor werden?
Was ich beruflich machen will, davon hatte ich lange keine konkrete Vorstellung. Denn
wenn man heute davon träumt, Schriftsteller oder Autor zu werden, traut man sich ja
kaum, das zu formulieren, weil es ja gar nicht als Beruf anerkannt ist. Ich hatte eine
Ahnung, was ich will, aber dafür gab es keine Berufsbezeichnung. Dann habe ich
Philosophie und Linguistik studiert, mit 19 hatte ich bei einer freien Theatergruppe in
der Roten Flora gespielt, habe immer viel eigene Texte geschrieben, aber nie jemandem
zu lesen gegeben, irgendwann bewarb ich mich am Studiengang Schauspiel-Theater-
Regie und wurde angenommen. Da hatte ich dann vier Jahre Zeit, mich mit all dem zu
beschäftigen, was mich interessierte, dabei kristallisierte sich so ein Berufsbild raus.
Und dann kam auch schon die erste Inszenierung: Mein erstes eigenes Stück im Foyer
des Thalia Theaters und dann fing ich bald an auf Kampnagel.
Zurück zum Anfang: Was wäre Ihr Ideal von Liebe in den Zeiten der Globalisierung?
Wenn man eine Liebesgeschichte schreibt, gibt es darin immer einen Teil, der uralt ist,
Grundtypen, die bleiben, aber die Bedingungen ändern sich eben und verändern die
Personen auch. Wenn man heute Beziehungen haben will, die diesen Namen noch
verdienen und nicht zur Ware werden, muss man sich, glaube ich, immer wieder dafür
entscheiden und damit gegen bestimmte Zumutungen der globalisierten Wirtschaft.
Also gegen einen bestimmten Erfolgsdruck standhalten, was bestimmt nicht einfach ist.
Man muß wohl ziemlich viel aushalten, wenn man eine Beziehung wirklich will.
Und auf der Bühne?
Ein ideales Liebespaar in einem modernen Theaterstück wären vielleicht zwei junge
Leute, die gemeinsam in Genua oder Seattle, Prag oder Davos gegen den
Weltwirtschaftsgipfel protestieren, sich dabei kennenlernen, wie sie beide Konzepte für
eine gerechtere Weltordnung vorlegen, und vor der Polizei flüchten, sich ihren Weg
durch dieses Polizeigemetzel bahnen, ein paar Nächte im Gefängnis miteinander
verbringen und sich allmählich dabei ineinander verlieben, anschließend träumen sie
davon, ein paar Banken in die Luft zu jagen oder weltweit die MacDonalds Filialen
abzufackeln, dann schlafen sie Arm in Arm ein und hören Radiohead – das wäre doch
romantisch.

Bürgerreporter:in:

Marion Buk-Kluger, lic.rer.publ. aus Wertingen

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

10 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.