Göttingen verliert den Bahnanschluss
Weitgehend unbemerkt hat am Samstag abend (3.7.2010) der letzte Zug der Kurhessenbahn am Ortsrand von Göttingen gehalten.
Laut Fahrplan hatte Göttingen im Gegensatz zum Nachbardorf Sarnau keinen Bahnhof. In der Praxis sieht das anders aus: Der Bahnhof Sarnau steht nämlich nicht dort, wo die Bahnstrecke dem Dorf am nächsten kommt, sondern etwa einen Kilometer entfernt direkt vor Göttingen. Diese Lage hatte einmal einen Vorteil gehabt, da sich bei Göttingen die aus Erndtebrück und Frankenberg kommenden Bahnstrecken treffen und gemeinsam zur Main-Weser-Bahn nach Cölbe führen. So konnte man vom Bahnhof Sarnau aus sogar in drei Richtungen fahren. Über den Bahnhofsnamen kann man spekulieren, dass eine Verwechslung mit dem gleichnamigen Ort in Niedersachsen vermieden werden sollte. Es kann aber auch sein, dass schon damals das Bahngelände auf Sarnauer Gebiet lag und daher Sarnau in den Besitz des Bahnhofs kam.
Wegen der geringen Nachfrage in den kleinen Dörfchen nahe des Bahnhofs hielten jedoch schon lange keine Richtung Frankenberg fahrenden Züge mehr am Bahnhof Sarnau. Bei der anderen Bahnlinie wurde der Bahnhof später zum Bedarfshalt abgestuft, und die auf dieser Strecke verkehrenden Züge hielten nur dann noch, wenn jemand am Bahnsteig stand oder beim Fahrer des Triebfahrzeugs einen Haltewunsch geäußert hatte.
Am 3. Mai 2010 wurde laut einer Pressemeldung mit dem Bau eines Bahnsteigs am Ortsrand von Sarnau begonnen, welcher ab dem 4. Juli den Bahnhof Sarnau ersetzte. Der Bahnsteig ist 55cm hoch und verfügt über einen behindertengerechten Zugang zur Straße. Die Haltestelle trägt außerdem den neuen Namen "Lahntal-Sarnau". Die Anlagen am alten Bahnhof sollen zurückgebaut werden, so dass ein überzähliges Gleis, die Unterführung, Wartehäuschen und Bahnsteige wohl bald der Vergangenheit angehören. Eine sehr große Veränderung des Bahnhofsgeländes bedeutet auch der Bau einer um Göttingen führenden Umgehungsstraße, da nach den vor einigen Jahren veröffentlichten Plänen dafür das Bahngelände im Weg ist und die Eisenbahn verlegt werden muss.
Am 3. Juli 2010 war der letzte offizielle Halt am Bahnhof Sarnau. Laut Plan wäre dies um 18:33 Uhr gewesen. Der Zug war jedoch zu spät in Marburg abgefahren, da er Fahrgäste von verspäteten Zügen warten musste. Der RegionalExpress nach Kassel war etwa fünf Minuten später, weil der vorher fahrende InterCity eine halbe Stunde zu spät war. Nach der Abfahrt der beiden Züge kam jedoch die Anweisung, noch etwas zu warten, wohl auf den InterCity aus Kassel, welcher kurz darauf einlief. Als der Zug gegen 18:41 Uhr hielt, stieg nur ein Fahrgast aus. Nur ein Eisenbahnfreund mit einer Kompaktkamera, welcher sich ans Bahnsteigende gestellt hatte, nahm davon Notiz.
Der erste offizielle Halt am neuen Bahnsteig gegen 8:38 Uhr fand etwas mehr Beachtung. Einserseits waren wieder die schon am Vortage anwesenden Personen dabei: Der Triebfahrzeugführer, der zufällig nicht nur die letzte Schicht am Samstag, sondern auch die erste am Sonntag hatte, der Eisenbahnfan, der wieder mit einem Fotoapparat Bahnsteigende stand, und der Fahrgast, der mit dem Triebwagen von Marburg nach Sarnau fuhr, allerdings dieses Mal am hinteren Ende des Triebwagens ausstieg. Dazu kam nun auch ein Mitarbeiter der Bahn, welcher mit dem Dienstwagen gekommen war und nahe dem Fahrkartenautomat am Bahnsteig wartete. Der Bahnmitarbeiter erzählte dem Fahrgast, dass er der erste Nutzer des neuen Bahnsteigs sei - der Fahrgast hingegen erwiderte, dass er auch der letzte Nutzer des alten Bahnhofs war.
Der Triebwagen, welcher als letzter am Bahnhof Sarnau einen Halt einlegte, war übrigens 628 255. Er war 30. August im Vorjahr beim Bahnhofsfest in Bad Laasphe getauft worden und trägt seitdem das Logo dieser Stadt.
Übrigens ist nicht nur Sarnau von einer Stationsverlegung betroffen. Auch die nahe Frankenberg liegenden Stationen Birkenbringshausen und Simtshausen werden verlegt. An ihnen hielt bereits am 2. Juli der letzte Zug. Auf dem betroffenen Streckenabschnitt wird jedoch wegen Bauarbeiten erst am 4. Oktober wieder Zugverkehr stattfinden. So schöne Bahnanlagen wie in Sarnau werden dort jedoch nicht verschwinden.
Bürgerreporter:in:Sören-Helge Zaschke aus Stadtallendorf |
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