Die fünf Tugenden von Hatzbach
Ende Juli 1867 trafen schwerbeladene Fuhrwerke in Hatzbach ein. Sie waren mit fünf überlebensgroßen Sandsteinfiguren, die jeweils zwischen 900 und 1.000 kg Gewicht hatten, dazu noch die Postamente, beladen. Die Figuren standen zuvor auf der Fasanerie-Insel in der Lahn in Marburg. Dort hat sie August von Knoblauch zu Hatzbach seit dem 22. Juli 1867 demontieren lassen, um sie nun im Garten seines Gutshofes in Hatzbach aufzustellen. Für den Transport hat August von Knoblauch die für die damalige Zeit stattliche Summe von 112 Reichstaler und 20 Silbergroschen gezahlt. Vermutlich war ihm gar nicht bewusst, was für bedeutende Kunstwerke er nach Hatzbach hatte schaffen lassen.
Tatsächlich wurden die Figuren bereits rund 150 Jahre zuvor von dem Marburger Bildhauer Johann Friedrich Sommer (1684-ca. 1746/47) geschaffen. Den Auftrag dazu erhielt er im Sommer 1718 vom Landkomtur des Deutschen Ordens in Hessen, dem Kardinal Damian Hugo von Schönborn. Seit 1258 war Marburg der Hauptsitz des Ordens im heutigen Hessen. Seine Gebäude standen um die Elisabethkirche herum. Daran angrenzend ließ Damian Hugo von Schönborn eine barocke Parkanlage mit einem Lustgarten anlegen Neben außergewöhnlichen Pflanzen, Wasserspielen und Gewächshäusern, sollten dort fünf überlebensgroße, steinerne Tugendfiguren auf stattlichen Sockeln die Blicke der Betrachter auf sich ziehen.
In der abendländischen Tradition gibt es sieben Tugendenden. Ursprünglich waren es die drei Tugenden Glaube, Hoffnung, Liebe, die auf einer bekannte Lehre des Apostels Paulus beruhen (1. Korinther 13,13): „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Diesen drei theologischen Tugenden wurden unter Papst Gregor dem Großen (590-604) die Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Tapferkeit und Weisheit angefügt. Für seinen Lustgarten in Marburg wählte von Schönborn neben den theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung, Liebe die Kardinaltugenden Gerechtigkeit und Mäßigkeit aus.
Als Vorlage für seine Figuren verwendete Johann Friedrich Sommer Kupferstiche aus der Serie „Sieben Tugenden“, die der niederländische Kupferstecher Jakob Matham (1571-1631) um 1600 schuf. Die Tugenden können über ihre allgemeingültigen Symbole identifiziert werden. Die Hoffnung wird durch einen Anker und einen Falken symbolisiert. Die Gerechtigkeit wird durch Schwert und Waage symbolisiert. Sie trägt auf der Stirn eine Augenbinde. Schwert und Waage sind abhanden gekommen. Die Liebe wird durch eine Frau mit Kindern symbolisiert. Die Mäßigkeit wird dargestellt, wie sie Wein mit Wasser mischt und dabei das richtige Maß treffen muss. Der rechte Arm mit der Kanne ist nicht mehr vorhanden. Der Glaube wird durch das Kreuz und die Bibel symbolisiert. Der rechte Arm mit dem Kreuz ist nicht mehr vorhanden. Zum Teil sind diese Symbole bei den Hatzbacher Tugenden abhanden gekommen. Anhand der Kupferstiche lässt sich aber das ursprüngliche Aussehen rekonstruieren.
Durch die Enteignung des Deutsche Ordens 1809 unter Napoleon gelangten die fünf Tugenden in Privatbesitz. Seit 1824 waren sie Eigentum des kurhessischen Offiziers Heinrich Otto Ries. Dessen Tochter Caroline heiratete 1860 August von Knoblauch zu Hatzbach und erhielt die fünf Barockfiguren samt der wappengeschmückten Sockeln als Mitgift. 1867 kamen dann die Skulpturen in den Gutsgarten der Familie von Knoblauch nach Hatzbach, wo sie bis 2011 für die Öffentlichkeit unzugänglich standen. Seit 2013 stehen diese Abgüsse dieser einzigartigen Zeugnisse bildhauerischer Kunst an dem repräsentativen Standort beim Gutshof der Familie von Knoblauch zu Hatzbach. Die Originale stehen seit dem in der Nähe der Elisabethkirche in Marburg.
Es spricht vieles dafür, dass die schriftlich überlieferte Aufstellung der Figuren bei der Neuaufstellung der Tugenden 2013 in Hatzbach und Marburg falsch interpretiert wurde. An beiden Standorten beginnt die Aufstellung links mit der Hoffnung, es folgen Gerechtigkeit, Liebe, Mäßigkeit und Glaube. Richtig dürfte daran nur der Standort der Liebe in der Mitte sein. Wenn es in der überlieferten Beschreibung heißt, die Gerechtigkeit stand Rechts von der zentralen Liebe, so war damit nicht die Blickrichtung der Liebe gemeint, sondern die Beschreibung erfolgte vermutlich aus der Position des Betrachters. Dann ist aber die Aufstellung komplett seitenverkehrt. Dies erklärt auch, warum sich die Blicke der Hoffnung und Gerechtigkeit von der Liebe abwenden. Stünden sie auf der anderen Seite, so würden sie die Liebe anschauen, was sicher die Intention des Bildhauers war. Hierfür spricht auch die Reihenfolge „Glaube, Hoffnung, Liebe“ bei Paulus. Es liegt nahe aus der Sicht des Betrachters den Glauben links und die Hoffnung rechts der Liebe zu platzieren. Außerdem liegt es nahe, die drei theologischen Tugenden zusammen zustellen und die zwei Kardinalstugenden Mäßigkeit und Gerechtigkeit an den Rand zu stellen.
Trotz dieses kleinen Makels sind die fünf Tugenden in Hatzbach einen Besuch wert. Leider hat es die Stadt Stadtallendorf in den über 12 Monaten seit der Neuaufstellung in Hatzbach noch nicht geschafft, ein Hinweisschild zu den fünf Tugenden aufzustellen. So müssen sich Interessenten noch immer den Weg zum Standort vor Ort erfragen. Gibt man im Navi Ohrgasse 7 ein, so wird man direkt an ihren Standort geleitet.
Am 29. Mai 2014 (Christi Himmelfahrt) können die fünf Tugenden im Rahmen der „Sagenhaften Hatzbachtalwanderung“ besichtigt werden. Dann werden extra für die Wanderer Erläuterungstafeln bei den Hatzbacher Tugenden aufgestellt. Weitere Informationen zur Hatzbachtalwanderung und Karten von den Wanderstrecken gib es auf der Seite http://www.wanderfreundehatzbachtal.de.
Bürgerreporter:in:Eike Erdel aus Stadtallendorf |
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