Eine Harzwanderung
"Eine Winterreise"
Letztes Jahr fasste ich den Entschluss, im Januar eine mehrtägige Harzwanderung zu machen. Dieses Jahr setzte ich den Entschluss in die Tat um und ging ich los. Unser schneesicherstes norddeutsches Gebirge bietet manchmal Schneemassen, die beeindruckend sind. Darauf hoffte ich und freute mich auf zugeschneite Nadelbäume, die unter ihrer weißen Last geheimnisvollen Märchenwesen gleichen und phantastische Fotomotive abgeben würden. Ich sah mich am Abend durchgefroren mit glühenden Wangen die Unterkunft erreichen, einen Grog trinken und in tiefen, traumlosen Schlaf versinken.
Gute Freunde hatten gutgemeinte Ratschläge parat. Sie warnten mich Alleinwanderer vor Wegen, auf denen man im Schnee bis zur Brust versinkt und um dem vorzubeugen, empfahlen sie mir, Schneetellerschuhe mitzunehmen. Mein Handy sollte ich einschalten, um im Notfall Hilfe herbeirufen zu können und sie rieten mir, eine Schneebrille mitzunehmen, um nicht hilflos durch die Harzwälder irren zu müssen. Aber besonders aufmerksam sollte ich auf hungrige Wolfsrudel achten. Die Vorstellung, Wölfe könnten mich als Leckerbissen in handliche Portionen zerlegen, löste bei mir einen Heiterkeitsanfall aus. Ob das wirklich ernst gemeint war, sei dahingestellt, aber ganz Ängstliche meinten, ich solle die "riskante" Wanderung auf das Frühjahr verschieben.
Risiko? Na ja, wir wollen es nicht übertreiben...Eine Harzwanderung ist keine Hochgebirgstour. Meine Frau schmunzelte nur. Sie wusste: Ich würde sowieso wandern. Sie hatte recht. Ich wanderte und es wurde eine wunderbare Tour.
Einen Rat meiner Freunde befolgte ich allerdings: Ein Handy fand in meiner Jacke Platz, welches sich dann störrisch zeigte und nach einer halben Stunde seinen Dienst einstellte. Schneetellerschuhe hatte ich nicht angeschafft. Mein Traum von schneegebeugten Tannen schmolz in der frühlingshaften Sonne dahin, der Harz präsentierte sich grün und ich kam beim Marschieren ordentlich ins Schwitzen.
In Wernigerode stieg ich aus dem Zug, spendierte mir in der Bahnhofsbäckerei eine Tasse Kaffee und eine Mohnschnecke, schwang dann so gestärkt meinen 20 kg Rucksack auf den Rücken und marschierte los. Aber wohin genau? Meine Wanderkarte war voller bunter Zeichen vom Schmetterling bis zum Eichhörnchen und nüchterne Zahlenkolonnen sollten auch etwas bedeuten.
Mir bedeuteten die bunten Bilder nichts, stattdessen fragte ich mich bei Passanten durch und nach einigem Probieren und kurzen Umwegen fand ich einen einen gangbaren Weg.
Mein Ziel war Blankenburg und ich erreichte es am frühen Abend. Müde, ausgelaugt und vor mich hinstolpernd kam mir der Gedanke, das ein hungriges Wolfsrudel - wie meine Freund es ankündigten - in meinem abgeschlafften Zustand leichtes Spiel hätte. Mein Rucksack entpuppte sich als Marterinstrument und nachdem ich ihn im Hotel abgeworfen hatte, schlief ich ein. Dann, Stunden später, war der Drang, weiter zu schlafen fast übermächtig, aber der Hunger ebenfalls und hin- und hergerissen zwischen diesen Naturkräften siegte schließlich der Hunger. Ich war außer Form, das wurde mir bei der Rückkehr vom Essen ins Hotelbett schmerzhaft klar.
Der nächste Tag bescherte mir die doppelte Entfernung und erst spät am Abend streckte ich meine schmerzenden – wirklich schmerzenden! - müden Beine auf dem Hotelbett aus. Ich war immer noch außer Form. Am dritten Tag, auf dem Weg zum Bahnhof Aschersleben, machten sich die Lauftrainingseinheiten positiv bemerkbar, aber meine Zeit lief ab. Ich musste Nachhause, so wie es geplant war.
Die „kleine Wanderung“ durch den Niederharz im Januar mit seinen grünen Wiesen, seinen lieblichen Bergen - die Teufelsmauer bei Blankenburg mit seinen Felsformationen und das "Hamburger Wappen" nördlich von Timmerode mit dem Ausblick tief ins Sachsen Anhaltische Agrarland, war ein besonderer Höhepunkt. Die moosbewachsenen oder kahlgewaschenen Felsen auf den Bergkämmen und die Burgruinen und Schlösser machten rundeten alles zu einem „großen Erlebnis“ ab. Sicher, achtzig km in 3 Tagen ist für "Routiniers" wenig. Für mich war die Wanderung nicht nur Kilometer treten, sie war Leben pur! Der strahlende Sonnenschein, der Sonnenbrand, den ich mir auch ohne Schnee holte und nicht zuletzt die vielen kleinen Beobachtungen und Erlebnisse am „Wegesrand“, der tiefe Blick in die Schlitzaugen einer Ziege und die Gespräche mit den Menschen, die mir begegneten, machten diese Wanderung für mich zu etwas ganz Besonderem. Zuhause angekommen, kam ich mir vor, als wäre ich wochenlang weggewesen. Das spricht für die Fülle der Eindrücke, die ich aufnehmen und genießen durfte. Besser kann eine Reise nicht enden, oder?
Bürgerreporter:in:Wolfgang Nieschalk aus Nordstemmen |
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