Spontanausflug in ein unbekanntes Deutschland
Die Idee, diesen Kurzausflug zu unternehmen, kam mir auf dem Liegestuhl bei strahlendem Sonnenschein am frühen Nachmittag vor zwei Tagen. Plötzlich wurde mir bewusst: Das schöne Sommerwetter liegt mit Sicherheit "in den letzten Zügen!" Und mir wurde klar, in diesem Jahr viel zu wenig auf Foto- und Entdeckungstour gegangen oder gefahren zu sein.
Noch hatte ich die Chance, etwas "in den Kasten" zu holen. Aber nur dann, wenn ich die Trägheit abschütteln, mich erheben und auf den Weg machen würde - sofort und ohne Ausreden zu suchen. Ich sprang so plötzlich auf, das meine Frau mich erschrocken ansah und fragte, was oder wer mich in meinem Schlummer an irgendeiner empfindlichen Stelle gestochen habe.
Ihr Kopfschütteln ignorierte ich, als ich den Grund für meine plötzliche Aktivität nannte. Dann schwang ich mich auf mein kleines Motorrad, welches bei 90 km/h an seine Grenzen kommt und steuerte ein Ziel an, das außerhalb der technischen Möglichkeiten meines Fahrzeuges lag. Blankenburg am Harz tippte ich in den Navigator ein und wusste im gleichen Moment, ich würde mich entscheiden müssen zwischen "nur fahren" oder "fahren, geniessen und fotografieren."
Ich entschied mich für die zweite Variante. Auf diese Weise ließ ich den Harz im Süden liegen und bewegte mich ausschließlich auf zick-zack Kursen in östlicher Richtung auf Strassen, die ganz sicher selten von "Neugierigen" befahren werden.
Liebenburg mag manchem bekannt sein, aber wer kennt schon Lüttgenrode, Osterwieck oder Zilly in Sachsen Anhalt?
Ich erfuhr und erlief mir diese kleinen Schmuckkästlein im Nirgendwo und auch die Landschaft zwischen den Ortschaften erschien mir keineswegs so, wie man sich Sachsen Anhalt vorstellt: Langweilig. Im Gegenteil! Im Süden, vielleicht 25 km entfernt, begleitete mich deutlich sichtbar die markante Erhebung des Brockens.
Aber rechts und links der Strasse verzauberte mich die Landschaft durch ihre meist abgemähten, ungewohnt großen Getreidefelder, die in der schon tief am Horizont stehenden Sonne goldgelb glänzten. Sie waren es, die mich immer wieder auf den Auslöser meiner Kamera drücken ließen. Ein bezaubernder Anblick und die großen Rollen aufgerollten Strohs lösten eine etwas melancholische Stimmung bei mir aus. Das Ende des Sommers ist bei ihrem Anblick nahe und vielleicht war es dies, was meine Stimmung beeinflusste. Vielleicht war es auch der Anblick der Getreidestoppeln beim Fotografieren, die mich intensiv an meine Kindheit erinnerten. Ich spürte ihr Stechen fast wieder körperlich. So wie damals, als wir barfuß und mit schmerzenden Füßen unternehmungslustig durch die Felder streiften, um irgendwelchen verborgenen Geheimnissen in ihnen nachzujagen. Geheimnissen, die nur in Kinderherzen zu finden sind.
Hübsch und in schönem Kontrast zu den Feldern harmonierten die überall in der Landschaft stehenden kleinen Wäldchen, die der Gegend mit den sich um sie herum schlängelnden Nebenstraßen und Bächen einen besonderen Charme verliehen, den man schlecht beschreiben, den man aber unbedingt erlebt haben muß.
Liebenburg, ein Städchen in Niedersachsen, war mein erster Haltepunkt. Die in der Karte eingezeichnete Burg wollte ich besichtigen. Doch sie entpuppte sich nur noch als sanierter Rest der ehemaligen Burganlage. Ttrotzdem lohnte es sich, den Hügel hinauf gefahren zu sein. Eine schmucke, schloßähnliche, aufwändig restaurierte Schloßkirche füllte den höchsten Punkt des Hügels fast vollständig aus. Schön anzusehen, aber schlecht zu fotografieren, weil zu wenig "Sichtfeld vorhanden war, um alles das zu erfassen, was "fotografisch wertvoll war. Meine "Standortsuche" hätte um ein Haar einer Schlange das Leben gekostet, oder, im weniger günstigen Falle, mich ins Krankenhaus befördert. Ich trat neben die Schlange uned wurde erst auf sie aufmerksam, als sie versuchte, sich über meine Schuhe zu schlängeln. Vielleicht hatte sie auch meine Hosenbeine als dunklen Unterschlupf im Visier. Wer weiß. Sie erkannte rechtzeitig, dass ich als Beute oder Unterschlupf nicht taugte und schlängelte sich ohne große Eile in die Sicherheit der angrenzenden Hecke.
Das kleine Liebenburg hat noch mehr zu bieten. Ein Rittergut mit wundervoll gepflegten Herrenhäusern, für die man sich - hat man die Absicht dort zu heiraten - anderthalb Jahre vorher anmelden muss!
"Dann ist die erste Liebe ja schon Vergangenheit"scherzte ich mit dem Bräutigam, der eben dies am nächsten Tag tun wollte und eifrig Stühle heranschleppte.
Lüttgenrode versprach ebenfalls eine Burg auf einem Hügel. Die von unten, von der Strasse sichtbare Burg, entpuppte sich als wenig attraktiver Flop und die von unten gesehen imposante, zweitürmigeSchlosskirche als Ruine, die nur noch von gut getarnten Abstützungen aufrecht gehalten wurden.
Weiter. Kennt jemand Osterwieck? Nein? Der Ort ist eine Puppenstube. Ein historisches Gebäuden reiht sich an das andere. Dicht an dicht säumen sie die historische Altstadt und viel zu viele sind noch sanierungsbedürftig. Ein lohnender Abstecher, ganz bestimmt und wenn ich mal mehr Zeit habe, erkunde ich die Altstadt zu Fuß.
Doch nicht die Häuser lockten mich in die Stadt. Mich lockte der Hunger. Die Stadt konnte meinen Appetit nicht stillen, denn ich fand - man glaubt es nicht - kein Kaffee oder zumindest eine Bäckerei. Das fand ich erst außerhalb in einem dieser überall vorhandenen, gesichtslosen Einkaufszentren.
In Zilly - ein komischer Name - aber ein liebenswerter, kleiner Ort mit freundlichen Menschen - wurde ich nochmals fündig. Eine weitläufige, gut erhaltene Schlossanlage und ein kurioses Museum, privat betrieben und offensichtlich deutschlandweit bekannt, wie mir mehrere Einwohner im Gespräch berichteten, lädt zum Besuch dieser kleinen Gemeinde ein. Doch das Museum hier vorstellen zu wollen, sprengt den Rahmen dieses Artikels und ich werde darüber ein gesondertes Album darüber anlegen.
Bürgerreporter:in:Wolfgang Nieschalk aus Nordstemmen |
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