Ein Beginn mit Überraschungen
"Was steht da, Omi?" fragte ich als Fünfjähriger so manches Mal, wenn eine der seltenen Zeitungen ins Haus kam, die in der Sowjetzone wohl eher Propagandamaterial als Nachrichten enthielten. Und meine Oma wusste mein Interesse zu nutzen: "Ich werde Dir jetzt das Lesen und Schreiben beibringen. Hättest Du Lust?" "Oh ja", war die Antwort, "dann kann ich selbst heraus finden, was in der Zeitung steht." "Du musst aber viel schreiben üben."
Das klingt heute einfacher als es damals war, denn es herrschte Papierknappheit. Wenn mein Bruder oder ich etwas zeichnen wollten, so mussten wir uns die Papiertüten auftrennen lassen, in denen die losen Waren beim Kaufmann damals noch verpackt wurden oder den unbedruckten Zeitungsrand nutzen.
Meine Oma schrieb das Alphabet auf eine Innenseite ihres Adressbuchs, das wohl noch aus den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts stammte und das sie aus Ostpreußen hatte mitnehmen können. Ich besitze dies Adressbüchlein heute noch. Und dann begann für mich das Schreiben Üben, was zu Anfang nicht immer leicht war, denn die Hand war noch recht ungelenk für die neue Aufgabe. Doch es wurde gemeistert und bald las ich auch die Überschriften in der Zeitung: Vorwärts auf dem Weg zum Sozialismus! "Was ist Sozialismus, Omi?"
Im September kam dann der Anmeldetag für die Volksschule. Wohl vorbereitet erschien ich also mit meiner Mutter in der Schule. Der Hauptlehrer, der die Anmeldungen vornahm, wies uns allerdings zurück: "Sie können Ihren Sohn noch nicht anmelden, er ist noch nicht sechs!" "Aber er wird doch dies Jahr noch sechs und lesen und schreiben kann er auch schon." "Bis er sechs wird, ist es ja noch mehr als ein Vierteljahr hin. Das geht nicht! Die Bestimmungen sind eindeutig!" Und so durfte ich noch ein weiteres Jahr im Kindergarten verbringen.
Endlich war es dann soweit: Ich durfte in die Schule gehen. Die Volksschule Altenbrak, mit der Kirche in einem Gebäude untergebracht, war eine zweiklassige Zwergschule. Die Klassen 1-4 wurden in einem Raum unterrichtet und "die Großen" der Jahrgänge 5-8 in einem zweiten.
Unser Lehrer war ein junger, netter Neulehrer - ein Begriff, mit dem ich damals noch nichts anfangen konnte. Er trug immer die Anstecknadel der FDJ am Aufschlag und unterrichtete uns, soweit es ging, im sozialistischen Sinn. Natürlich fing es mit dem Alphabet an, das ich ja bereits kannte. Doch nun stellte sich heraus, dass mir zwar die Form der Buchstaben nicht fremd war, aber meine Oma hatte mir nicht erzählt, wie sie zustande gekommen waren. Mein Lehrer malte ein T an die Tafel und zwei Strichmännchen mit großen Hämmern: "Die Arbeiter hämmern nun aus dem T ein P." Und ein L aus dem I, ein M aus dem N u.s.w. "Die Arbeiter haben alles geschaffen, auch das Alphabet!" So lernten wir also gleichzeitig etwas über die Wichtigkeit der Arbeiterklasse.
Nachmittags, inmitten der älteren Kinder, wurde man dann auf die Probe gestellt: "Kannst Du schon schreiben, Peter?" "Natürlich! Ich kann schon lange schreiben." "Ja, vielleicht einzelne Buchstaben aber keine Wörter, Du ABC-Schütze." "Natürlich kann ich Wörter schreiben, z. B. Kuh." "Du spinnst! Schreib's doch an!" Und ich malte ein großes Q an die Schieferwand am Haus des Bäckers Reulicke. Eine Viertklässlerin konnte sich vor Lachen gar nicht beruhigen: "So schreibt man das: Kuh!" Und sie schrieb das Wort an die Wand. "Du spinnst! Bist in der 4. Klasse und kannst noch nicht mal richtig Q schreiben!" Und wütend verließ ich den Platz.
Das Rad kann nicht wieder neu erfunden werden, aber es ist individueller.
Die Kinder können je nach Lerntyp lange selbst überlegen, wie das Wort nach der Buchstabenanalyse wohl klingt, oder sich erst einmal das Wort anhören. Jedes Kind kann seinen Weg finden – ganz allein, aber ohne benachteiligt oder vernachlässigt zu sein! Schafft das mit ähnlicher Effektivität und Lesefreude die klassische Methode?
Eine Binnendifferenzierung wegen der Inklusion, etc. ist überflüssig. Dann eilen eben die „Guten“ durch die Kapitel, die „Schwächeren“ können, ohne sich abgehängt zu fühlen, in Ruhe im angemessenen Tempo arbeiten und lernen denselben Stoff. Förderunterricht mit Spezialbeschulung dürfte wohl nur in wenigen Ausnahmefällen erforderlich.
Entsprechende postive Erfahrungen wurden an der Grundschule Mardorf mit sog. Förderkindern vom Programmentwickler lerne lesen gemacht.