Schule damals: Der Doppelkopf
Wer heute die Schule besucht, lernt sie nicht mehr kennen, die Tracht Prügel oder die Backpfeife. Zurecht ist es verpönt, Schülerinnen oder Schüler anzufassen oder ihnen gar einen "körperlichen Verweis" zu erteilen. Es gibt andere, ausgefeiltere Methoden, um Lernende, gleich welchen Alters, zur Räson zu bringen.
Zu meiner Schülerzeit wurde allerdings noch gelegentlich geschlagen. Nicht, dass ich jemals darunter wirklich leiden musste, denn es traf mich nur zweimal und einmal dazu noch durch bloßen Zufall.
Es war in der 2. Klasse als unsere Klassenlehrerin Fräulein Bley (auch die Anrede 'Fräulein' gibt es ja nicht mehr) Bilder als Anschauungsmaterial mitbrachte und zunächst auf dem Lehrertisch ablegte. Auf das Stichwort 'Bilder' hin stürmte die gesamte Klasse nach vorne, begierig sie sich anzuschauen. Wir waren damals immerhin 60 Schülerinnen und Schüler und man kann sich das Gedränge vorstellen, das um den Lehrertisch entstand. "Setzt Euch sofort wieder hin!", versuchte Fräulein Bley die Ordnung wieder herzustellen. Aber das wurde natürlich "überhört". Nach dreimaliger fruchtloser Aufforderung schlug sie ihre Rechte einfach in die Menge. Ich, der ich in der ersten Bankreihe saß und natürlich ebenfalls aufgestanden war, traf es dann - unherausgegriffen, aber wirkungsvoll. Alle liefen wieder auf ihre Plätze.
Beim zweiten Mal muss ich wohl in der 9. Klasse gewesen sein. Wir hatten neben den normalen Sportstunden an einem Nachmittag in der Woche sogenanntes Spielturnen, bei dem unser Klassenlehrer Ewald Hamann, ein ehemaliger Marine-Berufsoffizier, uns körperlich ertüchtigen sollte. Da gab es dann auch mal außergewöhnliche Übungen, wie beispielsweise das "Butterwiegen". Dazu mussten sich zwei Schüler Rücken an Rücken aufstellen, beider Arme ineinander verschränken und sich dann abwechselnd nach vorne beugen, wobei der Wiegepartner jeweils auf den Rücken geladen wurde. Meinem Klassenkameraden Uwe und mir kam das recht albern vor und wir fingen bei der Übung an zu lachen.
Das genügte bereits. Wir mussten beide vortreten und jeder bekam seine Backpfeife: "Das sind hier keine Albernheiten!"
Ein wirklich gefürchteter "Schlagmann" aber war der Sport- und Erdkundelehrer Studienrat Kukat, einst Ostpreußenmeister im Eisschnelllauf. In den Fünfzigerjahren wusste man noch, wie der Name mit der litauischen Endung '-at' ausgesprochen werden musste, nämlich mit mit langem 'a', auf dem auch die Betonung liegt. Herrn Kukat zeichneten eine Reihe von Besonderheiten aus:
Bei wärmerer Witterung unterrichtete er schon mal in Hemdsärmeln, während alle seine Kollegen natürlich immer ein Jackett trugen. Er war bekannt für seine progressiven Erziehungsansichten. So sorgte er als Klassenleiter dafür, dass seine gesamte 6. Klasse an einem Kurs in der Tanzschule teilnahm, was ansonsten erst in der 9. Klasse üblich war.
Berühmt-berüchtigt aber war sein "Doppelkopf". Fiel jemand im Unterricht wirklich unangenehm auf, so hieß es: "Komm mal her!" Und wenn der Übeltäter vor ihm stand, folgte die Frage: "Willst nen Doppelkopf?" Natürlich wollte jeder auf die Gabe verzichten. Wenn Herr Kukat aber sagte, "Du hast ihn verdient!", breitete er beide behaarten Arme aus - uns kamen sie wie die eines Gorillas vor - und ließ dann seine Hände gleichzeitig auf die Wangen des Opfers knallen.
Aber die Schüler wussten sich zu rächen. In den schuleigenen Diercke-Atlanten, in denen damals auf der Afrika-Karte am Tschadsee noch die Oase Kuka eingetragen war, fand sich zur Befriedigung der Schülerseele überall ein handschriftliches 't' hinter dem Namen.
In einem einschlägigen Zusammenhang erzählte ich meinen Schülern der 11. Klasse letztes Jahr vom "Doppelkopf" - mit unvorhergesehenem Erfolg. Hielt sich irgend jemand nicht strikt an die Regeln, was bei älteren Schülern so gut wie gar nicht vorkommt, stellte jemand in der Klasse sofort die Frage: "Willst nen Doppelkopf?"
Bürgerreporter:in:Peter Perrey aus Neustadt am Rübenberge |
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