Sprachliches vom 'Scheinen'

In gewöhnlichem Sinne bedeutet ‚scheinen’: Licht und Helligkeit verbreiten.
Die Sonne scheint.
Der Mond scheint.
Die Sonne scheint auf Gerechte und Ungerechte; seine sie nur auf Gerechte, so bräuchte sie vermutlich überhaupt nicht zu scheinen.
Manch einer sieht vom Sonnenschein nur den Staub, der darin wirbelt.
Scheint die Sonne auf einen Misthaufen, so stinkt er lediglich.

Im übertragenen Sinne heißt scheinen: ein mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmendes Ansehen zu haben. Mancher scheint ein Heiliger zu sein und ist bei näherer Betrachtung doch nur ein Scheinheiliger.

Der Schein trügt, meint ein Sprichwort.

Bei manchen Menschen scheint die eingebildete Ausbildung nur eine ausgebildete Einbildung zu sein.
Besser ist: Mehr Sein als Schein!

Scheintote stehen heutzutage nicht mehr aus den Gräbern auf, da die Medizin zu große Fortschritte gemacht hat.

Das Wort ‚Scheinen’ gilt als Ausdruck für eine persönliche Ansicht.
Dort, wo das Scheinen in der Mathematik anfängt, da scheint die Mathematik eigentlich schon aufzuhören und die Philosophie anzufangen.
Dagegen haben die Wörter ‚Scheinen’ und ‚wahrscheinlich’ in den

Wissenschaften, die mit vielen Hypothesen arbeiten, ihre Berechtigung.
Descartes sagte in seiner ‚Methode des richtigen Vernunftgebrauchs’: „Als ich überlegte, wie viele verschiedene Ansichten es über ein und dieselbe Sache geben kann, deren jede einzelne ihren Verteidiger unter den Gelehrten findet, und wie doch nur eine einzige wahr sein kann, da stand für mich fest: Alles, was lediglich wahrscheinlich ist, ist wahrscheinlich falsch!“

Auch das Wort: ‚erscheinen’ muss heutzutage fälschlicherweise für ‚scheinen’ herhalten.
Erscheinen heißt sichtbar werden. Es wird demnach, wenn beide Wörter verwendet werden, das Wort der Gegenständlichkeit ‚erscheinen’ für das Wort Mutmaßung, der persönlichen Ansicht ‚scheinen’ verwendet.
‚Es erscheint notwendig, dass der Vertrag einer näheren Prüfung unterzogen wird…?’
Der Satz muss aber richtig heißen: ‚es scheint notwenig (zu sein), dass der Vertrag einer näheren Prüfung unterzogen wird.’

‚Das Buch erscheint mir wertvoll???’
‚Bindende Anordnungen erscheinen nicht angezeigt???’
Beide Sätze sind falsch!

‚Das Buch scheint mir wertvoll zu sein.’
‚Bindende Anordnungen scheinen nicht angezeigt.’ (zu sein)
Anders ist es dagegen wenn ein Buch auf dem Markt erscheint, d.h. wenn es tatsächlich zur Ausgabe gelangt.

Der Mond scheint. Aber er scheint heute wegen der Wolken nicht mehr zu erscheinen.
Wir erscheinen in einer Gesellschaft, weil wir damit dort in der Tat sichtbar werden; wir scheinen aber unpünktlich zu sein, wenn wir nicht rechtzeitig erscheinen!

Bürgerreporter:in:

Wolfgang Kreiner aus München

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