Märchen (V)
Rotkäppchen
Es war einmal eine junge Motocross- Fahrerin, die stets einen roten Helm trug. Jeder kannte sie unter dem Namen Rothelmchen.
Als sie eines Tages wieder einmal zu einer Trainingsfahrt durch den Wald aufbrach, wurde sie von ihrer Mutter gebeten, der Großmutter einige von den Isotonic-Drinks vorbeizubringen.
Sie packte die Dosen in ihre Seitentasche, schwang sich auf die Sitzbank und fuhr los. Sie freute sich schon auf die Unterhaltung mit der Großmutter über den neuen Rahmen ihrer Rennmaschine.
Auf einem Seitenweg entdeckte Rothelmchen plötzlich einen Motorbiker mit einer 500er Enduro, der eine Panne hatte.
Er stellte sich als Wolf Mehrgang vor und erzählte ihr, dass soeben seine Bremse am Vorderrad blockiert und er einen Überschlag gemacht habe. Freimütig erzählte ihm Rothelmchen, dass sie auf dem Weg zur Großmutter sei. Als sie jedoch die Geländemaschinen im Keller der Großmutter erwähnte, sah sie die Augen des Endurofahrers begierig aufblitzen.
Da erzählte er ihr, er habe vorher schöne Waldblumen an der Böschung gesehen und fragte das Rothelmchen, weshalb es der Großmutter nicht welche mitbrächte. Er erklärte ihr noch die Stelle, verabschiedete sich, ließ seine Enduro aufheulen und preschte mit aufsteigender Maschine auf dem Hinterrad davon.
Rotkäppchen suchte die gesamte Böschung ab, aber es waren keine Blumen zu sehen gewesen. Da gab sie die Suche auf und machte sich weiter auf den Weg.
Schon kurze Zeit später hatte sie das Haus der Großmutter erreicht, an dem zu ihrer Überraschung eine verdreckte 500er Enduro lehnte. Als sie eintrat hörte sie ein Stöhnen aus dem Motorradkeller zu ihr herauf dringen und sie ging vorsichtig die Stufen hinab.
Sie sah eine Gestalt in Motorradkleidung auf der Trainingsbank liegen und dachte, dass die Großmutter sich bestimmt wieder beim Training überanstrengt hatte.
Rothelmchen sagte zu ihr: „Hallo Großmutter, hast es wohl wieder einmal übertrieben mit deiner 750er?“
„Ach, du bist es Rothelmchen. Ja, ich habe mir wohl mal wieder zuviel zugemutet. Ich habe zehn Runden gefahren und das Gelände war weiß Gott nicht einfach heute.“
Als Rothelmchen näher kam, erkannte sie, dass dort nicht die Großmutter liegen konnte, sondern der Endurofahrer, und dass das mit den Blumen an der Böschung nur eine Lüge war. Wolf Mehrgang wollte sie nur ablenken, um die Großmutter zu überfallen.
Da sprang Rothelmchen blitzschnell vor, schnappte sich aus dem Regal eine Vordergabel und zog diese Wolf Mehrgang kräftig über den Schädel.
Nachdem sie ihn so ausgeschaltet hatte, machte sie sich auf die Suche nach der Großmutter, die sie wenig später mit Gas- und Kupplungszügen gefesselt im großen Werkzeugschrank fand.
Nachdem sie die Großmutter wieder befreit hatte, stopften sie das Top-Case und die Seitentaschen der 500er voll mit alten schweren Motorradteilen, schnallten Wolf Mehrgang mit Kabelbindern auf seiner Enduro fest, zwickten mit dem Seitenschneider die Bremsseile durch und ließen ihn mit verbundenen Augen und blockiertem Vollgas den Hügel hinab Richtung Bundesstraße rollen.
Als sie die Haustür wieder schlossen und sich glücklich in die Arme fielen, hörten sie von der Bundesstraße her das Quietschen von Autoreifen und dann einen lauten Knall.
Und wenn sie nicht gestorben sind, so knattern sie noch heute mit ihren Geländemaschinen durch den Wald...
Bürgerreporter:in:Wolfgang Kreiner aus München |
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