Märchen (II)
Tischlein, deck dich!
Ein Tischler, ein Müller und ein Drechsler saßen missmutig, wie schon so oft in diesem Jahr, im Handwerkerstübchen des „Goldenen Hirschen“ zusammen. Auf Grund der allgemeinen Rezession hatten sie ein schlechtes Geschäftsjahr hinter sich. Sturm hatte zudem die Felder und Häuser verwüstet. Wer brachte da noch Korn zur Mühle? Wer ließ sich einen Tisch zimmern, wenn es kaum noch etwas draufzustellen gab? Oder wer hätte sein halb eingefallenes Haus denn schon mit kunstvollen Drechselarbeiten verzieren sollen?
Als sich der Tischler, der Müller und der Drechsler in lauter Klagen ergingen und sich durch einen Blick in ihren Geldbeutel versicherten, ob sie auch noch die sieben Euro für das Krüglein Wein bei sich hätten, wurde draußen von einem Knaben ein großes Pappschild durch die Straßen getragen.
„SCHLAF HIMMLISCH UND SOLID -
SCHLAF IM BETT VON HOLLE-RIETH“
Die Firma Holle-Rieth, Federkissen und Rheumadecken, hatte sich durch diese Art Werbung am schnellsten aus der Rezession erholt.
Und eine Story wurde durch alle Gassen der Stadt erzählt, eine ziemlich absurde Geschichte in der eine Frau Holle vorkam, die mit Vorliebe Federkissen vom Himmel schüttelte.
Die Firma Holle-Rieth kam dadurch in aller Munde. Wenn’s noch ein Jahr so weiter ginge, gehörten die Holles und die Rieths, die einst mit einem Krimskrams-Laden begonnen hatten, bestimmt zu den drei reichsten Familien in der Stadt.
Der Tischler sagte: „Das, was die jetzt Werbung nennen, hat doch auch seinen Vorteil, oder...?“
Der Müller sagte: „Der Wohlstand der ganzen Stadt wird angekurbelt.“
Der Drechsler sagte: „Also, gut, aber wir machen kein solches Pappschild und schicken es durch die Gassen.
Wir setzen eine Anzeige in die Zeitung:
DRECHSLERMEISTER HEINRICH PFLUNDER
DRECHSELT AN DEIN STUHLBEIN WUNDER
damit es auch die mitkriegen, die nicht auf der Straße unterwegs sind“
„Nein, nein, nein, sagten die anderen beiden, man müsse es wie die Holle-Rieths machen, man müsse erst eine fabelhafte Story aushecken, etwas, das andere Leute gerne weitererzählen... Also wie wäre es mit... Na, sagen wir mal... Ein Vater hat drei Söhne... Der erste macht auf Tischler... der beendet seine Lehre, der Meister schenkt ihm ein tolles Möbelstück...
Die drei waren sich einig: Es musste eine ganz verrückte Geschichte sein, sonst erzählen sie die Leute nicht weiter...
... der Meister schenkt ihm einen Tisch, der sich selbst mit Kaffee und Croissants decken kann, mit Weißbier und Kalbshaxen, sofern... ja, - sofern man vorher einen flotten Spruch loslässt...
Da hatte der Tischler die Idee: „Nein, nix Pappschild, nix Zeitungsanzeige, nein - wir stellen die Story ins Internet. Ihr werdet sehen, wir werden noch über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt.“
Die drei tranken an jenem Tag noch mehrere Krüglein vom Allerbesten, brüteten halb betrunken ein Ding aus, bei dem Meiers Pferd Euromünzen scheißen konnte und ein Drechsler-Knüppel von selbst auf die Bösewichter losschlug...
Als sie im Goldenen Hirschen gar zu laut scherzten, lachten und grölten, und als der Wirt vorab schon mal die Zwischenrechnung der Zeche auf den Tisch legte, bauten sie noch einen bösen, betrügerischen Wirt in ihre Geschichte ein, dem mit einem vollautomatischen Knüppel die Visage verbeult wurde.
Die Werbe-Story hatte im Verlaufe des Jahres, sicherlich wegen ihrer Absurdität, etwas gewirkt und der Müller, der Tischler und der Drechsler sind aus den Miesen herausgekommen.
Wären sie aber vielleicht auch ohne diese Story, denn das Wirtschaftswachstum lag allgemein in dem Jahr erstmals wieder bei über drei Prozent.
Bürgerreporter:in:Wolfgang Kreiner aus München |
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