Kein Netz...
Oma Bertram feierte ihren dreiundachtzigsten Geburtstag.
Schon seit Tagen überlegten ihre beiden Enkel Felix und Susanne, mit welchem Geschenk sie denn die Oma zu ihrem Geburtstag überraschen könnten. Es war schwer, ein passendes Geschenk zu finden, denn die Oma hatte eigentlich alles, was sie für ihre bescheidene Lebensführung brauchte.
Da hatte Felix eine zündende Idee:
„Wir legen zusammen“, schlug er vor, „und kaufen der Oma ein Handy!“
Beide waren sofort begeistert und diskutierten die Vorzüge, die ein eigenes Handy für die Oma mit sich bringen würde.
„Schau“, meinte Felix, „wenn die Oma spazieren geht und hinfällt, oder am Friedhof überfallen wird, dann kann sie sofort Hilfe rufen!“
„Und wenn sie beim Arzt fertig ist und ich sie mit dem Auto abholen soll“, sinnierte Susanne, „dann kann sie mich in Zukunft direkt anrufen oder ein SMS schicken, und muss nicht jedes Mal zur Telefonzelle laufen.“
Also beschlossen beide, ihr Erspartes zusammen zu legen und der Oma ein neues Handy zu kaufen.
An ihrem Geburtstag packte die Oma voller Erwartung das Paket aus und schaute dann zunächst etwas irritiert auf den Inhalt.
„Aber Kinder“, meinte sie dann, „was soll ich denn damit – mit so einem neumodischen Zeug kenn ich mich doch überhaupt nicht aus!“
Eifrig erklärten die Enkel ihr, welche Vorzüge doch so ein Handy in der heutigen Zeit hat.
„Schau Oma“, meinte Susanne, „wenn du mal Hilfe brauchst, der Bus nicht kommt und du irgendwo abgeholt werden willst, dann kannst uns sofort erreichen. Und nicht zu vergessen, wenn du zum Beispiel einen Spaziergang machst und wir dich erreichen wollen.“
„Lauter Vorteile“, meint Felix, „in der heutigen Zeit kommt doch fast niemand mehr ohne Handy aus. Denke nur daran, Oma“, wollte er sie weiter überzeugen, „was es dir alleine für eine Hilfe ist, wenn du mal was vergessen hast!“
Und Susanne nickte beipflichtend mit dem Kopf.
„Ehrlich?“ meinte die Oma erstaunt „Auch wenn ich mal was vergessen habe? Also, was es heutzutage alles gibt! Na gut, wenn ihr meint“, resignierte die Großmutter, „dann probier ich es halt mal aus.“
Oma Bertram ließ sich in den darauf folgenden Tagen von Felix, der ein Technikfreak ist, die Bedienung des Handys erklären und er speicherte ihr auch gleich alle Telefonnummern der Familie und ihrer Freundinnen ein.
Und so war Oma Bertram fortan nur noch mit ihrem Handy unterwegs. Sie hat sich auch schon mal von Susanne aus der Stadt abholen lassen, als die U-Bahn ausfiel, und ihre Freundin Clementine zuhause angerufen, als sie einen Spaziergang machte und ihr unbedingt mitteilen musste, wie schön die Sonne im Park sei.
Ein paar Tage später ging Oma Bertram wieder einmal zum Einkaufen. Schon auf dem Weg dorthin und vor dem Supermarkt war es ihr, als hätte sie etwas vergessen. Aber es fiel ihr nicht ein, was es sein könnte.
Auf dem Gehsteig schaute sie mehrmals in ihre Handtasche, aber Portemonnaie, Taschentuch, Schlüssel, Einkaufszettel und natürlich das Handy, alles war da.
Aber sie hatte etwas vergessen, das spürte sie ganz deutlich.
Im Supermarkt kaufte sie ihren Lieblingskäse, eine fettarme Milch, ein paar Äpfel und ein paar Eier für den Kuchen, den sie backen wollte. An der Kasse legte sie alles wieder schön in ihren Einkaufswagen zurück und schob ihn weiter in die angrenzende Backwarenabteilung. Aber noch immer quälte sie der Gedanke, etwas vergessen zu haben.
Aber was?
Als sie in der Backwarenabteilung in der Reihe der wartenden Kunden stand, fiel ihr ein, dass doch ihr Enkel Felix damals etwas davon gesagt hatte, dass ein Handy auch helfen kann, wenn man mal etwas vergessen hat.
Sofort kramte sie in ihrer Handtasche nach dem Handy und schaute auf das Display:
‚KEIN NETZ’
Und tatsächlich!
Jetzt fiel es ihr wieder ein. Sie hatte ihr Einkaufsnetz zuhause liegen lassen!
„Toll!“ murmelte sie vor sich hin, als sie die Bäckerei verließ „was es heutzutage schon alles gibt!“
Bürgerreporter:in:Wolfgang Kreiner aus München |
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