Der Quartalsbericht

„Das hätte ich von Ihnen nicht erwartet“, schrie der Direktor, „gerade von Ihnen nicht! Sie sind mir stets als besonnen und umgänglich aufgefallen und Ihr Umgang mit den Kolleginnen und Kollegen war stets geradezu vorbildlich.
Was ist nur in Sie gefahren, dass Sie plötzlich so ausgerastet sind, mit Büroutensilien nach Ihren Kollegen geworfen und einige Computer in Ihrer Umgebung völlig zerstört haben? Ganz zu schweigen von den Beleidigungen und Obszönitäten, die Sie einigen ihrer weiblichen Kolleginnen entgegenschleuderten. Dies wird übrigens auch noch ein Nachspiel für Sie haben!
Was also soll dieses unglaubliche Verhalten, Herr Friedrichsen?“
Blass stand der Jüngling vor des Direktors Mahagonischreibtisch, bebte, wurde von Weinkrämpfen geschüttelt, nestelte nervös an den Knöpfen seines Jacketts herum und flüsterte:
„Ich werde Ihnen alles erklären Herr Direktor. Zum ersten Mal in meinem Leben... so etwas... Aber ich konnte wirklich nicht mehr länger... ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten.“
„Was konnten sie nicht?“ fragte der Direktor misstrauisch. „Was heißt das, Sie haben es nicht mehr ausgehalten? Nun reden Sie schon!“
„Unter diesen Bedingungen arbeiten. Das geht nun schon sehr lange so und wurde von Tag zu Tag immer schlimmer.“
„Was denn, was meinen Sie? Herr Friedrichsen, nun kommen sie doch endlich auf den Punkt!“
Friedrichsen schüttelte sich angesichts der für ihn schrecklichen Erinnerungen und begann:
„In unserem Büro sitzen mit mir noch sieben Personen. Morgens, wenn alle da sind, beginnt gewöhnlich folgendes Gespräch:
Na, dann müssen wir halt mal wieder ein bisschen arbeiten, sagt Meier täglich.
Daraufhin lacht Frau Kowalsky jedes Mal laut drauf los und ruft: Sie sind mir vielleicht ein witziger Mann, Herr Meier!
Dann rührt sich Weber hinten in seiner Ecke und meint: Ob der Meier ein Mann ist, davon haben Sie sich doch noch gar nicht überzeugt, Frau Kowalsky, oder vielleicht doch?
Der Rest der Bürogemeinschaft brummt dann jeweils ahnungsvoll: Nichts ist sicher, etwas Genaues weiß man eben nicht.
Dann tritt für ein paar Minuten Schweigen ein. Bis Frau Wandinger aufhört zu schreiben und sich an Frau Fuchs wendet: Also, was meinst du, wie soll ich es machen – mit Zopfmuster, Norweger oder eher ganz ohne Muster?
Worauf dann Frau Fuchs antwortet: Also, wenn schon Muster, dann Norweger. Aber du kannst ja ganz einfach zwei links, zwei rechts und dann nur n’ Goldfaden mitlaufen lassen, sieht auch schön aus.
Dann mischt sich Fräulein Lechner in das Gespräch ein und man hört nur noch einzelne Wortfetzen wie: Raglanärmel, hellblauer Batist, Schweinefleisch, blödes Weib, Thymian, Zitronenkuchen, dunkle Punkte und Frauenparkplatz.
Nach etwa einer halben Stunde herrscht gewöhnlich eine Weile Schweigen, welches Frau Kirchner dann aber sofort wieder bricht, indem sie zu mir sagt: Aber Herr Friedrichsen sieht heute irgendwie traurig aus, nicht wahr?
Nein, aber wieso denn? antworte ich und arbeite weiter. Meier und Weber heben die Köpfe und schauen mich vorsichtig an.
Meier sagt: Wenn ich mir unseren Kollegen so anschaue, dann fällt mir ein ganz ordinärer Witz ein. Aber wegen den anwesenden Damen kann ich ihn nicht...
Bitte, bitte! rufen die Damen darauf im Chor. Alle hören auf zu arbeiten, hören zu, lachen, und inzwischen kocht die Lechner Kaffee.
Dann sagt Weber: Ich weiß auch einen, hab ich gestern in der Kneipe gehört. Aber den kann ich hier nun wirklich nicht erzählen. Wieder schreien alle im Chor: Heraus damit, komm schon!
Minutenlanges Lachen und Schenkelklopfen. Dann wird Kaffee getrunken.
Danach kommen vereinzelt Telefongespräche herein. Dann die Bemerkungen jedes Mal nach dem Auflegen des Hörers wie: Blöder Sack, Arschloch, dummes, unbefriedigtes Weib mit Fistelstimme, so eine blöde Sau, der kann mich mal, den hat wohl schon lange keine mehr rangelassen, Wichser.
Später dann ruft vielleicht jemand hier bei Ihnen im Chefsekretariat an und schimpft: Na, wie lange dauert denn das noch? Bohren die da oben beim Chef denn alle nur in der Nase den ganzen Tag?
Dann ruft Meier dazwischen: Nee, der Chef ist gerade mit der Sekretärin beschäftigt und will sich nicht stören lassen.
Eine von den Damen ruft bei einer Firma an und schreit dann in den Hörer, so, dass es alle hören können: Was ist denn los, ihr Wichser, will da nicht vielleicht mal jemand rangehen!
Dann stecken die Frauen wieder die Köpfe zusammen, tuscheln und kichern. Dazwischen gehen auch immer wieder mal zwei oder drei hinaus, um eine Zigarette zu rauchen.
Und so geht das beinahe den ganzen Vormittag, Herr Direktor. Und wenn dann Meier auch noch mit seinen Hämorrhoiden anfängt und Weber erzählt, wie er vor zehn Jahren in der Stadt mit seinen Kumpels zum Weiber-Aufreißen ging, dann bin ich im Kopf vollends verwirrt.
Wenn sie mich nur ruhig arbeiten ließen!
Aber nein, ständig: Herr Friedrichsen nimmt uns das wohl übel? So ein Streber, unser Herr Friedrichsen! Oder: Herr Friedrichsen braucht nur mal eine gescheite Frau... und so weiter!
Heute habe ich den Quartalsbericht geschrieben. Als ich ihn fertig hatte, legte ich ihn dem Abteilungsleiter auf Zimmer hundertzehn vor, was er dazu meint.
Nach etwa zehn Minuten kommt der Abteilungsleiter in unser Büro, geht auf mich zu, wirft mir den Bericht auf den Schreibtisch, tippt sich mit dem Finger an die Stirn und sagt ganz laut, dass er so ne Scheiße noch nie gelesen hat und macht mich vor allen anderen zur Sau.
Vor Scham ist mir dann das Blut in den Kopf gestiegen und eben da bin ich total ausgerastet, habe dem Meier den Locher an den Kopf geworfen, dem Weber und der Kirchner den Computer zerlegt, das Fräulein Lechner an den Haaren gezogen und zur Frau Kowalsky gesagt, dass sie eine alte vertrocknete, frigide und fette Sau sei, die sich nicht mal mehr zur Zucht eignet.
Dann habe ich gerufen: Zum Teufel mit euch allen, und habe bitterlich weinen müssen.“

Der Direktor nahm Friedrichsen das Blatt mit dem Quartalsbericht aus der Hand und las:

Quartalsbericht mit Raglanärmel
über die Tätigkeit Schweinefleisch
für den Monat März

Im Zusammenhang mit den zopfmusterfarbenen Frauenparkplätzen zur speziellen Erforschung von frigiden Aufreißern in der Stadt, die im engen Zusammenhang mit Zitronenkuchen gesehen werden müssen, sollte das spezielle Augenmerk gleichzeitig auf mitlaufende Goldfäden gerichtet werden. Die Ausnützung einer zunehmend traurigen Raglanproduktion hat Auswirkungen auf Wichser, Deppen und blöde Kühe. Da andere Produktionsmöglichkeiten wegen Katzenfutter und Fistelstimme kaum.........

Der Rest des Manuskriptes war unleserlich, weil die Tinte des Tintenstrahldruckers von Friedrichsens Tränen zerflossen waren.

Zwischenzeitlich war unten vor dem Firmengebäude ein Wagen des Bezirkskrankenhauses mit dem Bezirksarzt, sowie zwei Pflegern vorgefahren.

Bürgerreporter:in:

Wolfgang Kreiner aus München

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