Das neue Glück - (auch sowas gibt's)
Irgendwann kam ich an den Punkt, da dachte ich, das Leben ist vorbei. Es hat ganz einfach seinen Sinn für mich verloren. Ich habe versagt, kläglich versagt, obwohl ich mich stets bemühte. Mir fehlte einfach die notwendige Entschlusskraft, der Elan, der richtige Glaube.
Dann aber immer wieder diese bohrenden Zweifel über die Richtigkeit meines Tuns.
Wie soll ich die letzten Monate, ja sogar Jahre mit dieser Tag für Tag neu in mir aufkommenden Verzweiflung, die täglich neue Hoffnung und mein jeweils erneutes Scheitern überhaupt beschreiben.
Meine Tage und die halben Nächte verbrachte ich vor dem Fernseher. In den Pausen zwischen den langweiligen Spielfilmen, geistlosen Talkshows oder endlosen Serien, jeweils die Offenbarungen des wirklichen Lebens:
Werbung mit Familien, sympathischen Menschen, die mir allesamt wirklich helfen wollten.
Fassungslos starrte ich in diese glücklichen Gesichter und ich konnte in der Tat sogar ein kleinwenig daran teilhaben.
Das Leben schien für mich plötzlich so einfach, so übersichtlich und ich wusste nun: Das Glück musste von diesen Produkten abhängen, die man mir täglich zeigte. Oder wodurch sonst sollten diese Menschen dort so glücklich geworden sein?
In den folgenden Tagen und Wochen bereitete ich mich sorgsam darauf vor, ein anderer, glücklicherer Mensch zu werden.
Aufmerksam studierte ich jeden Werbespot, notierte mir die wichtigsten Produkte und verglich die Zufriedenheit in den Gesichtern derer, die diese Produkte ebenso nahmen.
Dann zog ich in festem Glauben an eine schönere Zukunft los. Ich besorgte mir das nö¬tige Kleingeld, denn nur mit Geld, so dachte ich, steht einem die Welt wirklich offen.
Die allerletzten Zweifel wollte ich sogleich im nächstbesten Einkaufscenter abschütteln und griff mir selbstsicher den erstbesten Einkaufswagen.
Aber anstatt einer Fahrt mit diesem Wagen ins Glück, wurde es zu einem Horrortrip.
Die Fülle der Produkte raubte mir förmlich den Atem, ließ mich zweifeln und brachte meine Unentschlossenheit erneut an den Tag. Ich war hin und her gerissen zwischen Super und Ultra, Magnum und Jumbo, Meeresbrise und Tropensonne, superkonzentriert, umweltfreundlich, Einweg- Mehrweg- Doppel- oder Nachfüllpacks, Nudeln, Waschmittel, Eiskonfekt, Fruchtsaft, Duschgel oder Zahnpasta betreffend.
Aus den Lautsprechern über mir die Tagesangebote, in den Regalen vor mir jeweils die Angebote der Woche und in den Wühltischen ringsum die Preisknüller.
Ich bekam Atemnot.
Mir verschwammen die Produkte vor den Augen.
Mit letzter Kraft schleppte ich mich von Gang zu Gang. Badeträume wurden wahr, während sich immer weißer waschende und dennoch immer kleiner werdende Waschmittelpäckchen, cholesterinfreie Wurstkonserven, biologisch abbaubare Putzmittel, und kalorienarme Lightcräcker in meinem Wagen türmten.
Keinen meiner Freunde und Helfer wollte ich vergessen und riss mein Glück wie im Traum aus den übervollen Regalen und befriedigte damit, was einzig eine überaus glückliche und sinnvolle Zukunft versprach.
Später dann zuhause, kam ich wieder zu Bewusstsein, verdrängte aber rasch die aufkommenden Zweifel und den Misserfolg. Ich gab mich der irrigen Hoffnung hin, dass eben aller Anfang schwer sei.
Und so kämpfte ich monatelang um eine sinnvolle, glücklichere und zufriedenere Zukunft, wie sie offensichtlich all die anderen Menschen durch diese Produkte auch hatten.
Nun aber gebe ich endgültig auf.
Vielleicht, so denke ich, soll es einfach nicht sein.
Bürgerreporter:in:Wolfgang Kreiner aus München |
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