Balkontheater
Missmutig tritt die alte Witwe Bertram durch die Ladentür ihres kleinen Kurzwarengeschäftes auf den Gehsteig hinaus.
Seit annähernd zwei Stunden ist nun schon kein Kunde mehr da gewesen. Aber vermutlich denkt auch kein Mensch an diesem heißen Sommernachmittag daran, sich mit Knöpfen, Gummibändern, Wolle, Reißverschlüssen oder Nadeln einzudecken.
Ja....., Badehosen, Sonnenöl oder Softeis sollte sie jetzt führen, denkt sie so bei sich, aber so.....?!
Das Viertel wirkt wie ausgestorben an diesem Nachmittag. Nur der Verkehrslärm und das immer wieder kehrende Bimmeln der Straßenbahn dringt von der nahen Kreuzung in die kleine Seitenstraße zu ihr herein.
Die Witwe geht in den Laden zurück und kommt kurz darauf mit einem Stuhl wieder heraus, auf dem sie sich sogleich nieder läßt. Im Sitzen rückt sie mit ihrem Stuhl noch etwas in den kurzen Schatten, den die Markise vor ihrem Geschäft auf den Gehsteig wirft. Zaghaft streckt sie ihre wollbestrumpften Beine aus dem Schatten in die steil herab scheinende Sonne hinaus. Die Wärme tut ihren von Gicht geplagten Füßen gut, auf denen sie tagein, tagaus von früh bis spät in ihrem kleinen Laden steht.
Neugierig sieht sie nun links und rechts die Straße hinauf und hinunter. Es durfte ihr einfach nichts entgehen. Aber es tut sich einfach nichts, worüber sich die alte Witwe hätte Gedanken machen können oder das dafür getaugt hätte, es morgen einer ihrer Kundinnen quasi als Gratisbeigabe mit auf den Weg geben zu können.
Überhaupt, ihr Leben war ja so leer geworden seit dem Tod des alten Bertram vor nicht ganz drei Jahren. Wie oft hatte sie in all den Monaten schon den Entschluß fassen wollen, das Geschäft ganz aufzugeben und sich auf ihr Altenteil zurückzuziehen.
War aber doch gerade ihr Geschäft die einzige Möglichkeit, noch etwas Kontakt mit Menschen zu bekommen und damit wenigstens noch etwas an Abwechslung in ihr Leben zu bringen.
Und so betrieb sie das Geschäft eben weiter, Woche für Woche, Monat für Monat, obwohl es ja nun wirklich nicht mehr so viel einbrachte, seit es diesen neuen Supermarkt um die Ecke gibt. Nur noch ein paar Stammkunden mit diesen ganz individuellen und oftmals recht ausgefallenen Wünschen sind ihr treu geblieben, von denen sie allerdings mehr schlecht als recht leben kann.
Aber was soll’s, seufzt sie innerlich wie schon so oft. So ist es halt nun mal, das Leben!
Nachdenklich sieht sie hinüber zur Häuserfront auf der gegenüber liegenden Straßenseite. Es ist ein vierstöckiges Wohnhaus, in dem, wie sie oft sagt, ‘alles mögliche’ wohnt.
Normalerweise herrscht auf den zahlreichen Balkonen zur Straße hin meist recht viel Leben. Man hört Kindergeplärr und so manches Mal läßt sich durch die geöffnete Balkontür auch der eine oder andere Ehestreit gut verfolgen.
Heute allerdings scheint dieses Haus menschenleer zu sein. An manchen der Fenster sind sogar die Jalousien herabgelassen, um die Räume dahinter vor der sengenden Mittagshitze zu schützen.
Mein Gott.....! so denkt sie in diesem Moment bei sich, wie viele Menschen hat sie in den letzten vier Jahrzehnten dort drüben nicht schon ein- und ausziehen sehen, haben geheiratet, sich so manches Mal auch wieder scheiden lassen, sind geboren worden und gestorben. An jeden einzelnen kann sie sich schon gar nicht mehr so recht erinnern.
Die Haustür neben Ihrem Geschäft wird plötzlich geöffnet. Heraus treten jene jungen Leute, jenes junge Paar, welches erst vor wenigen Wochen mit ihrem kleinen Mädchen in der Wohnung über ihrem Geschäft eingezogen war.
Sie grüßen die alte Witwe im Vorübergehen knapp und diese sieht ihnen nach, bis sie um die Ecke des Hauses an der Kreuzung verschwunden sind.
Erneut richtet sie ihren Blick auf das gegenüber liegende Haus, läßt ihn von einem Fenster, von einem Balkon zum andern schweifen. Hoffend darauf, daß es vielleicht doch etwas zu entdecken gäbe, worüber sich dann morgen hätte ausgiebig klatschen lassen.
Aber nicht einmal Wäsche hatte jemand draußen!
So hält sie noch eine ganze Weile bei ihren Betrachtungen und den in ihr dabei aufkommenden Gedanken inne.
Plötzlich wird die Jalousie eines Fensters im obersten Stockwerk hochgezogen und wenige Augenblicke später auch die der angrenzenden Balkontür, worin auch gleich darauf blinzelnd der Wohnungsinhaber erscheint.
Es ist jener alte Mann, der ebenso erst vor kurzem dort eingezogen war, von dem man aber bisher so gut wie nichts in Erfahrung bringen konnte. Niemand konnte sagen, woher er kam, was er sonst so tut und wovon er eigentlich lebt.
Überall im Viertel begegnet man ihm daher mit Mißtrauen, sowie einiger Zurückhaltung. So, wie man dies hier gegenüber allen Fremden hält, deren äußere Erscheinung zunächst kaum Aufschluß über irgendwelche geordnete Verhältnisse gibt.
Um die Person des Alten rankten sich daher schon die sonderbarsten Gerüchte und Mutmaßungen. Unzählige Male gab dieser Alte in den vergangenen Wochen schon Anlaß für Klatsch und Tratsch im Laden der alten Witwe. So soll er schon einmal im Gefängnis, ja sogar in einem Irrenhaus gewesen sein, wie man in Erfahrung gebracht haben wollte. Eine ihrer Kundinnen hatte zudem über mehrere Ecken gehört, daß er früher einmal dem sogenannten fahrenden Volk angehört hat. Einem Zirkus also, in dem er als Clown oder etwas ähnliches aufgetreten sein soll.
Früher, als sie noch ein kleines Mädchen war, so denkt sie sich in diesem Augenblick, da kannte sie auch einmal einen Jungen vom Zirkus, in den sie sogar ein wenig verliebt war.
Valentin hieß er – ein Name, der zu ihm passte Am Zirkuszaun, an dem sie ihn seinerzeit oftmals heimlich und ohne Wissen der Eltern besuchte, gab er oft eine Vorstellung seiner Kunststücke nur für sie alleine. Aber das war nun schon sehr lange her und man war eben noch sehr jung und unerfahren damals.
Über diesen Alten aber weiß keiner etwas Genaues und in derartigen Fällen ist es allemal besser, seinen Mund zu halten und sich seinen Teil zu denken. Man muß eben nur etwas auf der Hut sein vor solchen undurchsichtigen Menschen.
Der Alte tritt auf den Balkon in die Sonne hinaus. Mit einem breiten Lachen auf seinem Gesicht verbeugt er sich in Richtung der alten Witwe.
„Der meint doch nicht etwa mich?“, murmelt diese vor sich hin. Aber es ist ja sonst niemand auf der Straße, das junge Paar mit dem Kind ist auch noch nicht wieder zurückgekommen und sonst wohnt ja weiter niemand in ihrem Haus.
„Der meint tatsächlich mich!“
Der Alte geht zurück in seine Wohnung, erscheint aber gleich darauf wieder. Diesmal aber mit einer Blume in seiner Hand. Abermals verbeugt er sich tief, wobei er nun die Blume mit ausgestrecktem Arm - einer geschenkdarbietenden Geste gleich - weit über die Balkonbrüstung in ihre Richtung hält. Nun steckt er die Blume in den leeren Blumenkasten vor sich und fängt an, heftig zu winken.
Wieder dreht er sich um und geht in die Wohnung zurück.
Erneut kommt er, diesmal mit einem Zylinder auf dem Kopf und einem weißen Schal, den er sich um den Hals gewunden hat, heraus. In seinen Händen hält er nun drei Äpfel, mit denen er sogleich anfängt, zu jonglieren. Weit über die Balkonbrüstung gebeugt wirft er zwischendurch immer wieder einmal einen der Äpfel bis beinahe hinauf in Höhe der Dachrinne, um ihn dann mit ausgestrecktem Arm wieder zu fangen, während er mit seiner anderen Hand weiter die beiden übrigen kreisen läßt.
Wo der das nur gelernt haben mag? denkt sich die Witwe beinahe schon etwas bewundernd.
Wieder taucht er zurück ins Dunkel des Zimmers, um kurz darauf erneut zu erscheinen. Diesmal hat er einen Handbesen und einen Kleiderbügel mit heraus gebracht. Jetzt hält er den Handbesen unters Kinn geklemmt, wie eine Geige, wobei er mit dem Kleiderbügel wie mit einem Bogen über den Besen streicht. Zu diesem imaginären Geigenspiel tanzt er nun auch noch auf dem Balkon umher und wirbelt dabei mehrmals um die eigene Achse.
Ihm scheint dies alles sehr viel Spaß zu bereiten.
Die alte Witwe Bertram hingegen weiß jedoch nicht, was sie von all dem halten soll.
Tief verbeugt sich der Alte nun, als er sein Spiel beendet hat und, indem er Besen und Kleiderbügel noch in Händen haltend weit von sich streckt, kneift er sein rechtes Auge verschwörerisch lächelnd zu. Gerade so, als gäbe es eine heimliche Verbindung zwischen ihm und der alten Witwe.
Dieser jedoch ist all das längst nicht mehr geheuer.
Was will der denn nur von mir? denkt sie, und was möchte dieser blöde Kerl nur mit diesem ganzen Zirkus bezwecken?
Der Alte indes legt seine Requisiten beiseite.
Nun lächelt er zu ihr herüber. Ja, beinahe schon ein Grinsen in seinem Gesicht! Im gleichen Moment fährt er sich mit einer Hand über das lachende Gesicht, betrachtet mit nun ernster Mine das Lachen in seiner Hand und wirft es gleich darauf, weit ausholend, mit großem Schwung herüber in ihre Richtung.
Zwar wird die alte Witwe schon ganz unruhig auf ihrem Stuhl, irgendwie kann sie sich aber doch nicht losreißen von diesem Schauspiel. Ein paarmal tut sie zwar so, als ob sie dies alles überhaupt nichts anginge, indem sie immer wieder einmal in eine andere Richtung die Straße hinauf oder hinunter sieht. Und doch wird sie immer wieder aufs neue in den Bann der Ereignisse dort oben unter dem Dach gezogen.
Der Alte wirft plötzlich einen Kuß in die Luft. Mit einer flatternden Handbewegung seiner Rechten deutet er an, daß der Kuß nun, eines Schmetterlings gleich, in der Sommerluft tanzen würde. Sogleich fängt er ihn jedoch mit seiner Linken wieder ein, setzt diesen imaginären Kußschmetterling auf seine Flache Hand, flüstert ihm, in Richtung der alten Dame deutend, scheinbar zu, wohin er zu fliegen habe und läßt ihn flatternd wieder frei. Mit seinem Taschentuch, welches er aus seiner Hosentasche zieht winkt er ihm heftig nach.
Kurz darauf dreht er sich um und geht wieder in seine Wohnung zurück.
Der ist wirklich nicht ganz richtig im Kopf!, denkt sich die Alte. Jedoch wartet sie weiterhin gespannt, mit welcher neuen Spinnerei er nun gleich wieder heraus kommen würde.
Insgesamt wirkt dies alles grotesk auf die alte Witwe und sie fragt sich erneut, was das Ganze denn überhaupt soll.
Als Gedanken an die Mutmaßungen mit dem Irrenhaus in ihr aufkommen, findet sie in diesem Verhalten des Alten dort oben scheinbare Erklärung und offensichtliche Bestätigung genug.
Nun tritt der Alte wieder auf den Balkon heraus. Er winkt noch kurz herüber und verschwindet Augenblicke später vollkommen hinter der Balkonbrüstung.
Plötzlich, die Witwe traut ihren Augen kaum, ragen seine Beine zappelnd und radfahrend in die Höhe. Seine beiden Hosenbeine sind ihm bis zu den Kniekehlen herunter gerutscht und geben nun den Blick auf seine nackten Schenkel frei.
Nun wird es der alten Witwe Bertram doch langsam zuviel. Wer weiß, so denkt sie in diesem Augenblick, was der noch alles vor hat? Vielleicht steht er im nächsten Moment sogar nackt auf seinem Balkon. Nicht auszudenken!
Zutrauen würde sie ihm dies ja, nachdem, was er bisher schon alles gezeigt hat, vor allem aber, was man bisher über ihn glaubte, in Erfahrung gebracht zu haben. Vielleicht ist er aber nur krank und braucht Hilfe. Man will ja niemandem etwas Böses, denkt sie, aber irgend jemand muß sich doch einmal darum kümmern. Auf jeden Fall muß da endlich einmal etwas geschehen, denkt sie entschlossen, damit das alles nicht noch unvorhersehbar schlimm endet!
Verdammt, es ist aber auch niemand da, den sie um Rat fragen oder um Hilfe hätte bitten können!
Sie steht von ihrem Stuhl auf und geht in den Laden zurück. Beim hineingehen sieht sie sich nochmals über ihre Schulter nach dem Alten um, der noch immer seine nackten Beine in die Höhe streckt. Eifrig wählt sie die Nummer der Polizei und erzählt in kurzen Sätzen, was sie bisher beobachtet hat. Ihrer Schilderung dadurch vielleicht auch etwas mehr Gewicht verleihend, läßt sie dabei auch ganz bewußt mehrmals die Worte ‘Irrenhaus’ und ‘Gefängnis’ fallen!
Als sie wieder auf den Gehsteig hinaus tritt und zu dem Alten empor sieht, steht dieser gerade mit vor Anstrengung hochrotem Kopf wieder auf dem Balkon und wirft erneut Kußhändchen herüber. Kaum daß sich die alte Witwe wieder auf ihrem Stuhl nieder gelassen hat, sieht sie bereits den über Funk verständigten Streifenwagen von der Kreuzung her einbiegen. Unruhig und voller Neugierde, was denn nun geschehen würde, rutscht sie auf ihrem Stuhl hin und her.
Nun hält der Streifenwagen auf der gegenüber liegenden Straßenseite.
Sogleich springt die alte Witwe wieder hoch von ihrem Stuhl, schließt vor Aufregung regelrecht zitternd ihren Laden ab und eilt sofort hinüber zu den beiden gerade aus ihrem Streifenwagen steigenden Polizisten. Einer der Beamten tritt kurz zur Mitte der Straße hin und sieht hinauf zum Balkon, um sich von dem Schauspiel des Alten zu überzeugen, der noch immer zappelnd und gestikulierend dort oben steht.
„Seit zwanzig Minuten geht das nun schon unaufhörlich so!“ ereifert sich die alte Witwe nun ganz aufgeregt, während sie mit ihren Händen herumfuchtelt.
Augenblicklich wird die Hausmeisterin heraus geklingelt. Diese wird kurz von dem Vorgefallenen in Kenntnis gesetzt und fängt ebenfalls sofort an, zu keifen. Von Anfang an hätte sie gewußt, daß mit dem Kerl dort oben irgend etwas nicht stimmen würde. In einer alten Schachtel kramt sie nach dem Zweitschlüssel zur Wohnung des Alten, da dieser doch, wie sie den beiden Beamten beteuert, beinahe taub ist und das Klingeln sowieso nie hört.
Gemeinsam steigen sie nun die Treppe der vier Stockwerke empor, wobei die Hausmeisterin wiederholt „nein so etwas…, Polizei im Haus!“ vor sich hin jammert. Die alte Witwe bemüht sich eifrig, den Anschluß nicht zu verlieren, um ja nichts zu verpassen und schleppt sich mit ihren Gichtfüßen ebenfalls die Treppe hinauf.
Ziemlich außer Atem kommen sie an der Wohnungstür des Alten an. Einer der Beamten versucht, vielleicht auch nur um den gesetzlichen Vorschriften zu genügen, den Wohnungsinhaber heraus zu klingeln. Mehrmals hintereinander drückt er den Klingelknopf neben der Tür. Erst als sich nach einigen Versuchen hinter der Wohnungstür noch immer nichts rührt, tritt er zur Seite und gibt der Hausmeisterin ein Zeichen, die Tür mit dem Nachschlüssel zu öffnen.
Eilig stürmen die Vier in die Wohnung.
Als sie die angelehnte Tür zum Wohnraum des Alten aufschieben, sehen sie diesen in sich zusammengesunken auf einem Sessel vor der noch immer weit geöffneten Balkontür sitzen. Er wirkte nachdenklich und traurig gleichermaßen. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.
Zunächst bemerkt er die hinter ihm eintretenden Menschen nicht.
Gerade, als die beiden Beamten ganz dicht hinter ihm sind und zupacken wollen, richtet sich der Alte in seinem Sessel auf, so als hätte er nun doch etwas bemerkt, und sieht sich verwundert im Raum um. Sein Blick fällt zuerst zur Tür, in der er die alte Witwe Bertram stehen sieht. Augenblicklich geht ein Strahlen über sein Gesicht und seine Augen leuchten wie die eines glücklichen Kindes. Er steht von seinem Sessel auf und geht langsam auf sie zu.
„Schön, dass du mich endlich wieder einmal besuchst. Kennst mich denn nimmer?“
Die alte Witwe Bertram stutzt einen Moment, versucht sich zu erinnern und schüttelt dann aber stumm und verwundert nur den Kopf. „Ich kenne den Mann nicht, wendet sie sich an die beiden Beamten, „bitte helfen Sie mir!“, schreit sie plötzlich völlig hysterisch auf, „halten Sie mir den Mann vom Leib!“
Im gleichen Augenblick springen die beiden Beamten auf ihn zu, packen ihn und führen ihn im Polizeigriff aus der Wohnung. Vom Balkon aus sieht sie zusammen mit der Hausmeisterin noch, wie sie den Alten ins Polizeiauto schubsen, das wenig später mit Blaulicht davon fährt.
Die alte Witwe Bertram brauchte einige Zeit, um das Erlebte zu verdauen. Zitternd und völlig aufgelöst geht sie zurück in ihr Geschäft.
In den darauffolgenden Tagen war die Festnahme des alten Mannes das Gesprächsthema im gesamten Viertel, aber vor allem im Laden der alten Witwe.
All die vorher schon vorhandenen Gerüchte und Mutmaßungen in Bezug auf diesen alten Mann fanden in ihrer Ausschmückung nun ihren jeweiligen Höhepunkt.
In den folgenden Wochen glätteten sich die Wogen allerdings wieder, andere Gesprächsthemen lösten die Episode mit dem Alten ab. Niemand dachte mehr an diesen Vorfall. Die Wohnung des Alten war längst vom Sozialdienst geräumt worden und neue Mieter waren dort bereits wieder eingezogen.
Wochen später erhält die alte Witwe Bertram einen Brief.
„Wer sollte mir denn schon schreiben?“, murmelt sie vor sich hin, als sie den Brief verwundert und ungläubig in ihren Händen hin und her drehte. Seit Jahren hatte ihr schon kein Mensch mehr auch nur eine Zeile geschrieben. Zitternd vor Aufregung und Neugierde gleichermaßen öffnete sie den Brief, holte ihre Brille und setzte sich auf den Stuhl hinter der Ladentheke.
Dann las sie:
„Liebe, verehrte Martha,
verzeih’ bitte – aber ich hätte mir denken müssen, dass Du Dich nicht mehr an mich erinnern würdest.
Anders als vermutlich Du, habe ich Dich weder aus meinem Herzen, noch aus meinen Gedanken entlassen können. Jede meiner vielen tausend Zirkusvorstellungen in meinem Leben habe ich in Gedanken an Dich gegeben und nur deshalb konnte ich erfolgreich sein.
Ich hatte Dich mein Leben lang gesucht und endlich wieder gefunden.
Ich weiß aber nun, dass man die unbeschwerten und glücklichen Tage der Kindheit nicht mehr zurückholen kann.
Meine letzte Vorstellung sollte nur für Dich alleine sein!
Dies machte mich glücklich!
In ewiger Liebe
Dein Valentin
Ps.: Die Ärzte und Pfleger sind gut zu mir und ich habe nun endlich Ruhe gefunden.
Bürgerreporter:in:Wolfgang Kreiner aus München |
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