Sturm
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Sturm 02
© Brigitte Obermaier, Muenchen, 2009-03-05
Der morgendliche Sonnenaufgang war traumhaft schön. Darum wollte ich einkaufen gehen.
Ich überflog den Einkaufszettel und schob diesen in die rechte Jackentasche. Ich schnappte mir meinen Weidenkorb und ging die zwei Kilometer Richtung Bahnhof. Am Spielplatz unterhielten sich zwei Mütter und die Kinder spielten friedlich im Sandkasten. Ich machte kurz halt und setzte mich auf die Bank. Ich habe doch Zeit, wollte den Kinder zusehen und dachte dabei an meine Enkelkinder. Vögel flogen vorüber und nahmen auf dem Ast von einem bunten Herbstbaum platz. Die Blätter raschelten leise vor sich hin. Eine sanfte Brise erhob sich und ich ging weiter.
Beim Metzger kaufte ich für uns Wurst und Braten. Ich lies alles einpacken und kontrollierte meinen Einkaufszettel. Beim Kaufmann um die Ecke kaufte ich Obst ein. Durch den Lautsprecher wurde man von Rock und Pop-Musik umnebelt. Ich wollte gerade nach frischen Bananen fragen als die Musik unterbrochen wurde, wegen einer wichtigen Information.
“Sturmwarnung ist für Nachmittags angesagt, hauptsächlich die Regionen Ammer- und Starnberger See”. Die letzten Sommertage lockten die Segler auf das Wasser hinaus. Ich dachte das ist weit weg von uns, da kann uns nichts passieren.
Auf dem Heimweg wurde der Wind kräftiger. Die Herbstblätter raschelten lauter und der Spielplatz war leer. Daheim angekommen kochte ich das Mittagessen.
Nachmittags kam meine Freundin vorbei und lud mich zu einem Spaziergang rund um den Lerchenauer See ein.
Die Sturmwarnung war vergessen. Wir stellten das Auto ab und wir waren die einzigen die spazieren gehen wollten.
Der Wind umfächelte uns etwas stärker als am Vormittag. Unsere Haare ließen sich wellig im Wind wiegen. Auf einer Parkbank ließen wir uns nieder und beobachteten die Wolken. Es machte richtig Spass.
Sieh da, das sieht aus wie eine lange Wäscheleine. Eine Wolke verwandelte sich in eine Ente und so versuchten wir den Wolkenbildern Bedeutungen anzudichten. Was es da alles gab und welche Phantasie im Menschen liegt. Ob Phantasienamen oder reale Namen, es ist ein besonderes Gefühl den Himmel zu beobachten. Der Wind fing mehr und mehr an zu blasen. Als erstes erkannten wir es an den sich zu zerfetzenden größeren Bildern. Aus der Ente wurde eine Löwe mit großer Mähne. Aus der langen Wäscheleine wurde eine sich schlängelnde Schlange, die immer breiter wurde, wie von einer Dampfwalze überrollt.
Ich erinnerte mich an den Vorabend, an den traumhaften Sonnenuntergang und an eine einzelne Wolke die langsam von Süden nach Norden wanderte. Sie sah aus wie eine goldene Feder. Ich wollte ein Foto machen, aber leider stand der Baum davor. Trotzdem fing ich das berauschende Gold ein. Hundert Meter weiter konnte ich den ganzen Himmel betrachten, sowie die Feder im Bild einfangen. Leider war das sonnige Gold durch den Sonnenuntergang verschwunden und die Feder wurde grau. Die Feder erinnerte mich an Kanada, an die First Nation und die Sehnsucht an die Ferne, an Urlaub und Meer, einfach an Kanada.
Mit einem Rempler wurde ich an die Erinnerung unterbrochen, weil ich zu laut seufzte. Woran denkst du? Das war die Frage und ich erzählte von der Feder.
Sie unterbrach mich nochmals und zeigte hinauf zum Himmelsgewölbe. Sieh mal da hinten, eine hellgraue Wolke kam in unsere Richtung. Breit war sie und wir konnten keine einzelne Figur darin entdecken. Es waren keine Kumulus oder Schäfchenwolken.
Der Himmel wurde so nach und nach überzogen von diesem hässlichen dunklen grau. Was sollte das werden? Wir sahen uns an und ich erinnerte mich an die Nachricht im Supermarkt. Ich glaube das ist das Unwetter, dass sich über den bayerischen Seen zusammenbraut.
Meinst Du das das Wetter zu uns kommt? Wir diskutierten, meinten das wird bestimmt nicht kommen, aber beschlossen lieber zum Auto zurück zu gehen.
Wir hatten nicht viel Zeit, um den Rest um den See zu wandern, denn wir befanden uns auf der anderen Seite. Von Norden Richtung Süden trabten wir immer schneller zurück, immer das einstweilen drohende dunkle Grau im Blickfeld zu haben. Es rückte immer näher. Kurz vor dem Parkplatz kamen die ersten Tropfen herab. Wir fingen an zu rennen, da wir keinen Schirm dabei hatten. Es war immer noch ein schönes Stück zu laufen. Wir bekamen beide Seitenstechen.
Wer ist schneller das Unwetter oder wir? Jetzt waren wir überzeugt davon, dass das Unwetter nicht nur den Seenkreis sondern auch uns erwischen wird. Die aus Süden kommenden Fahrzeuge betätigten bereits die Scheibenwischer. Die Regentropfen wurden mehr und mehr. Schnell stiegen wir ins Auto ein und der Regen prasselte mit einem dicken Schwall auf uns hernieder. Wir waren gerettet und fuhren nach Hause.
Das Wetter hat seine eigenen Regeln. Das musste ich am nächsten Tag in der Stadt spüren. Zuerst sah ich die Überschriften vom Unwetter über dem Starnberger See der großen Schaden in der Landwirtschaft angerichtet hat. Eine Windhose hatte sogar von einem Bauernhof das Dach teilweise abgedeckt und die Kühe standen im Freien. Die Kühe haben sich darüber gefreut, denn die lieben den Regen, der ihren Schmutz abwusch. Der Bauer hatte bestimmt keine Freude daran, das konnte man auf dem Foto in der Zeitung erkennen. Auf der letzten Seite war ein kompletter Bericht darüber und gleichzeitig las ich vom Hurrikan in Virginia, der eine regelrechte Schneise nicht nur durch einen Campingplatz zog. Dort haben die Einwohner sogar spezielle Sturmkeller eingerichtet um den sich plattwalzenden Sturm zu entgehen. Essensvorräte und das nötigste ist dort verstaut, um dem danach nicht ohne da zu stehen.
Nachdem von mir veranstalteten Kirchenspaziergang beschloss ich noch nach Germering zu fahren. Dort sollte eine Lesung stattfinden. Am Abend sollte ich dort sein. Ich ging von der Asamkirche Richtung Marienplatz, also Richtung Osten. Nichtsahnend dass sich hinter mir wieder eine Regenwand zusammenbraute. Man konnte das gar nicht sehen, weil die Häuserschluchten zu tief sind. Der Himmel sich wie ein Schal über den Häuserschluchten windet. Aus den erst sanften Regentropfen wurden größere, dickere Tropfen. Hoffungsvoll setzte ich auf den Endspurt zur S-Bahn. Als sich die dicken Tropfen plötzlich in Hagelkörner verwandelten. Das hatten wir wirklich nicht verdient. Patschnass hüpften die Fußgänger hastig über die schnell zunehmenden Pfützen und unter vorstehende Dächer. Leider gab es nicht genug davon, weil ich zu langsam war. Meine frische Dauerwelle vom Morgen löste sich in Afrolook auf. Der Regen hinterließ an meiner ganzen Kleidung triefend nasse Spuren, der sich in die wollene Kleidung einfraß. Ich fing an zu frieren und sah mit Schrecken im nächsten Schaufenster mein Konterfei. Wie eine getaufte Maus sah ich aus als ich endlich die S-Bahn erreichte und beschloss die S1 nach Hause zu nehmen. Dort wurde ich mit einem herzhaften Grinsen empfangen und ich verschwand sofort in die Badewanne.
Die Lesung habe ich verpasst.
Der Sturm hatte mich voll erwischt.
Bürgerreporter:in:Brigitte Obermaier aus Ismaning |
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