Anton, Teil 11 (Die Sonnenfinsternis)
Wer erinnert sich nicht an den 11. August 1999? Eine totale Sonnenfinsternis, die von München aus sichtbar war. Darauf hatte ich seit 1962 gewartet, als ich in einem Astronomie Buch vom Dolphin Verlag zum ersten mal davon las. Mit dem Buch hat es etwas Besonderes auf sich: In der McGraw Facility in München gab es vor der Treppe hinunter zum Krankenhaus einen Zeitschriftenstand. Da meine Cousine etwas arg anfällig für Unfälle aller Art war, landete sie alle paar Wochen im Krankenhaus, ich fuhr oft mit, wartete aber oben bei den Zeitschriften. Die beiden Leute aus dem Kiosk waren ausgesprochen freundlich, man durfte, zumindest als Kid, die Comics lesen, auch ohne sie zu kaufen. Aber dort gab es nicht nur Comics, sondern auch Dolphin Bücher. Und die beschäftigten sich mit naturwissenschaftlichen Themen, wie Astronomie, Insektenkunde, Wildpflanzen und dergleichen, alles Dinge, die mich extrem begeisterten.
Eines Tages kaufte mir meine Tante zwei dieser Bücher, da sie der Ansicht war, ich müsse mehr lesen. Comics hielt sie offensichtlich nicht für die geeignete Lektüre. In diesen Astronomiebüchern war nun eine Tabelle mit Sonnenfinsternissen abgedruckt, und zwar von 1950 bis 1999. Und die letzte Finsternis war die besagte totale Sonnenfinsternis vom 11. August 99. Für München war damals 98% Verfinsterung ausgerechnet worden, für Starnberg 100%. Mir war sofort klar, dass ich das Ereignis beobachten würde. Ich plante eine Reise nach Starnberg, stellte mir vor, wie ich – uralt und mit weißem Vollbart in meiner Vorstellung – jede Menge Teleskope, Kameras und noch zu erfindende Messgeräte nach Starnberg transportieren, aufstellen und benutzen würde. Das war der am weitesten in der Zukunft liegende Punkt in meiner Lebensplanung.
Wie wir heute wissen, waren die Berechnungen aus den 50er Jahren – mangels Computer – nicht besonders genau, vermuteten den Verlauf der Finsternis etwas zu weit südlich. Was war das für eine Überraschung, als ich in den 80ern feststellte, dass die Sonnenfinsternis genau hier verlaufen würde. Und, wie es der Zufall will, zog ich Mitte der 80er wieder nach München, nach Waldperlach um genau zu sein, baute mein Labor auf und blieb.
In den Tagen vor der Finsternis teste ich alle Geräte, verlegte Kabel, da ich nicht alle Computer hoch schleppen wollte und führte mehrere Probeläufe durch. Immer begleitet von Anton, dem vor allem die Kabel faszinierten. Als ich am 11. August, kurz nach Sonnenaufgang alles betriebsbereit machte, dauerte es nicht lange, bis auch Anton dazu kam, sich auf den Hocker für eine 180° Kamera setzte und mir angespannt zusah. Er blieb bis etwa halb 11, dann wurde es ihm offensichtlich zu hektisch. Zu viele Leute die kamen und gingen, sich unterhielten, mit seltsamen Geräten hantierten, eben Dinge taten, die Anton nicht mochte.
Ich hatte eigentlich gehofft, ihn während der Finsternis beobachten zu können, da es mich interessiert hätte, wie er sich dabei wohl verhalten würde. Aber Anton zog es vor, einen langen, ausgedehnten Spaziergang zu unternehmen. Ich habe dann später herumgefragt, ob ihn jemand gesehen hatte, und erfuhr, dass er ganz normal wie jeden Tag an den Orten aufgetaucht war, an denen er immer aufzutauchen pflegte. Die Sonnenfinsternis scheint ihn nicht die Bohne interessiert zu haben.
Am späten Nachmittag, ich hatte bereits alles wieder abgebaut, da es schon den ganzen Tag zwischendurch immer wieder kurz geregnet hatte – zum Glück nicht während der Totalität, die war durch ein großes Wolkenloch gut zu beobachten – kam Anton wieder in den Garten, um mich zum üblichen Streifzug abzuholen. Nur fiel der an diesem Tag etwas kürzer aus als sonst, da ich noch jede Menge Daten sichten und sichern musste.
Als ich irgendwann sehr spät in der Nacht schlafen ging, stellte ich im Badezimmer im Spiegel fest, dass mein Vollbart doch noch nicht weiß war. Damit unterschied sich meine Planung von vor 35 Jahren deutlich von der Realität. Aber mir wurde auch bewusst, dass dieser 11. August der letzte Tag meiner Lebensplanung war. Ab jetzt begann die Zukunft! Und die war offen wie ein Hilbertraum...
Ein Gedanke, der mich auch in den folgenden Tagen nicht losließ. Und anscheinend hat Anton gemerkt, dass in mir etwas vorgeht., vermutlich wirkte ich nachdenklicher als sonst. Jedenfalls fand ich ein paar Tage danach eine Maus vor dem Lichtschacht zum Labor. Und zwar in einer Schnappfalle! Ich dachte zuerst, die arme Maus wäre irgendwo in eine Falle getappt, hätte sich mit letzter Kraft hierher geschleppt und sei dann gestorben.
Aber weit gefehlt. Von Antons Menschen erfuhr ich, dass er öfters Mäuse mitsamt Falle nach Hause bringt und dort auf der Terrasse deponiert. Wer diese Plastikschnappfallen aufgestellt hat, habe ich nie herausgefunden. Das wusste also nur Anton. Und der hat sich zu diesem Thema nie geäußert – wie das bei Katern eben so üblich ist. Aber damit war auch klar, dass Anton mir die Maus geschenkt hatte, etwas, das er vorher noch nie getan hatte. Es scheint innerhalb eines Katzenrudels nicht die Regel zu sein, dass man sich gegenseitig Mäuse schenkt. Klar habe ich mich revanchiert: Mit Trockenfisch.
Ob jedoch die Mäuse in der Gegend sicherer leben konnten, nachdem die tödlichen Schnappfallen eine nach der anderen verschwand und entsorgt wurde, wage ich zu bezweifeln. Auf Antons Terrasse lag praktisch immer mindestens eine Maus. Er benutzte zwar Fallen, konnte sie aber auch ohne erwischen. So im Nachhinein denke ich, dass Anton vermutlich der einzige Kater in sehr weitem Umkreis war, der Mausefallen benutzte...
Bürgerreporter:in:B Göpfert aus München |
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