Nebel
„Nichts, aber rein gar nichts sieht man hier oben bei dem Nebel.“
„Sie haben Recht, man sieht überhaupt nichts“, erwidert der andere, „aber man kann wenigstens hören, wie es kracht.“
Beide setzten sich an den Rand, ließen die Beine von der Wolke baumeln und lauschten.
„Stimmt. Gerade wieder! Haben Sie’s gehört? Denke mal, es kam aus mehr aus Osten.“
„Hier oben scheint es in der Tat kein Fleckchen Himmel mehr zu geben, an dem man die Autobahn nicht hört.“
„Ja, in der Tat, überall kann man sie hören, vor allem aber, wenn es kracht. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, am Anfang, als ich hier her kam, hat mich das schon bisschen gestört. Aber, mit der Zeit gewöhnt man sich daran.“
„Wieso? Sie sind wohl schon länger hier?“
„Gut dreieinhalb Jahre. Nürnberger Kreuz damals, wenn Sie sich noch erinnern. Nagelneuer 7er BMW, Nebel bei 25 Meter Sicht und über 160 auf’m Tacho.“
„Respekt, Respekt!“
„Ach was, einer mit nem Daimler SLK war noch schneller an mir vorbeigezogen.
Dem hab ich’s dann aber gezeigt. Paar hundert Meter weiter hatte ich ihn. Direkt in die Leitplanken reingedrückt, sage ich Ihnen. Der hat vielleicht ausgesehen! Der hatte noch ne Gesamtlänge von höchstens einem Meter! Der ist übrigens auch hier oben, redet aber nicht mit mir!“
Und Sie, wie sind Sie denn hier herauf gekommen?“
„Ach, eigentlich wollte ich mit gar niemandem darüber sprechen, hab mich nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert dabei, weil ich ja kaum was zu der Karambolage beitragen konnte. Waren aber irgendwie alle nett verkeilt dort!“
„Doch nicht die neulich auf der A-8 Richtung Stuttgart, bei Adelzhausen?“
„Leider nicht. Meine war zwar auch auf der A-8, aber hinter München, Richtung Salzburg, kurz vorm Irschenberg.“
„Das ist doch auch erst ein paar Tage her, oder? Ich erinnere mich, da hingen ja auch mindestens siebzig Wagen ineinander.“
„Ne, neunundsechzig. Meiner war der siebzigste, aber ich konnte noch rechtzeitig bremsen.“
„Wie dumm aber auch, oder?“
„Na ja, Gott sei Dank hat mich dann aber ein Vierzigtonner, gerade als ich aussteigen war und das Warndreieck aus dem Kofferraum holen wollte, doch noch ungebremst reingeschoben in den Haufen. Aber das bleibt unter uns! Damit haben wir nämlich den Crash vom letzten Jahr auf der A-81 bei Stuttgart zahlenmäßig eingeholt.“
„Na ja, nur die Schrottmenge macht es auch nicht immer. Aber seien Sie froh, dass Sie jetzt hier sind und das alles von oben betrachten können – gewissermaßen drüber stehen dürfen!“
„Na ja, Sie haben Recht, nicht nur das Blech zählt, aber wenn bei uns nur zwei mehr gestorben oder verletzt gewesen wären, dann hätten wir diesmal nämlich auch den Rekord in Personenschäden gehabt.
Den halten nämlich seit 1990 die dort oben in Oberfranken in der Münchberger Senke. Waren damals 170 Fahrzeuge ineinander gekracht.
Aber, seit der Jahrtausendwende wird ja ohnehin neu gezählt.“
„Aber jetzt klart es langsam wieder auf, sehen Sie?“
„Ja, lassen Sie uns hinstellen, vielleicht kann man schon mehr erkennen, wo es vorhin so gewaltig gescheppert hat.“
„Da, wie ich vorhin schon vermutete... auf der A-181 bei Halle hat’s diesmal gekracht.“
„Ja, jetzt seh ich’s auch. Und wie’s da gescheppert hat, du meine Güte! Das sind doch bestimmt auch über fünfzig Fahrzeuge, die da ineinander gekracht sind, oder?“
„Kann man gar nicht so richtig erkennen diesmal, sosehr sind die ineinander verkeilt. Aber so um die fünfzig, denk ich, sind’s schon.
Na ja, blechmäßig kommen die an unseren Crash aber trotzdem nicht heran.“
„Stimmt.
Aber sehen Sie, wenn’s jetzt nicht so schnell aufgeklart hätte, dann wären Sie vermutlich Ihren Blech-Rekord auch schon wieder los. Wären bestimmt noch etliche hineingekracht dort. War auf jeden Fall knapp.
Jetzt würd’ mich nur noch interessieren, ob die diesmal wenigstens den Rekord mit den Toten von der Münchberger Senke damals geknackt haben.“
Bürgerreporter:in:Wolfgang Kreiner aus München |
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