Wolfgang Borchert: Dann gibt es nur eins! Sag NEIN!

Foto: Rudolpho Duba www.pixelio.de
3Bilder
  • Foto: Rudolpho Duba www.pixelio.de
  • hochgeladen von Hajo Zeller

Am nächsten Dienstag (1. September) ist der Weltfriedenstag. Hierzu dieser Beitrag. Denn der Text von Wolfgang Borchert ist aktueller denn je.
Zitiert von der Website von Jörg Albrecht: deutschedichter.de

Dann gibt es nur eins!

Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtoepfe mehr machen - sondern Stahlhelm und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Maedchen hinterm Ladentisch und Maedchen im Buero. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Granaten fuellen und Zielfernrohre fuer Scharfschuetzengewehre montieren, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst statt Puder und Kakao Schiesspulver verkaufen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie Dir morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Dichter in deiner Stube. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Liebeslieder, du sollst Hasslieder singen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Arzt am Krankenbett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst die Maenner kriegstauglich schreiben, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Kapitaen auf dem Dampfer. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keinen Weizen mehr fahren - sondern Kanonen und Panzer, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Bomben und Phosphor ueber die Staedte tragen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Schneider auf deinem Bett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Uniformen zuschneiden, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen, Du sollst zum Kriegsgericht gehen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Mann auf dem Bahnhof. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst das Signal zur Abfahrt geben fuer den Munitionszug und fuer den Truppentransporter, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du, Mutter in Frisko und London, du am Hoangho und am Missisippi, du, Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo - Muetter in allen Erdteilen, Muetter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebaeren, Krankenschwestern fuer Kriegslazarette und neue Soldaten fuer neue Schlachten, Muetter in der Welt, dann gibt es nur eins:

Sagt NEIN! Muetter, sagt NEIN!

Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn IHR nicht nein sagt, Muetter, dann:

In den laermenden dampfdunstigen Hafenstaedten werden die grossen Schiffe stoehnend verstummen und wie titanische Mammutkadaver wasserleichig traege gegen die toten vereinsamten Kaimauern schwanken, algen-, tang- und muschelueberwest, den frueher so schimmernden droehnenden Leib, friedhoeflich fischfaulig duftend, muerbe, siech, gestorben -

die Strassenbahnen werden wie sinnlose glanzlose glasaeugige Kaefige bloede verbeult und abgeblaettert neben den verwirrten Stahlskeletten der Draehte und Gleise liegen, hinter morschen dachdurchloecherten Schuppen, in verlorenen kraterzerrissenen Strassen -

eine schlammgraue dickbreiige bleierne Stille wird sich heranwaelzen, gefraessig, wachsend, wird anwachsen in den Schulen und Universitaeten und Schauspielhaeusern, auf Sport- und Kinderspielplaetzen, grausig und gierig unaufhaltsam -

der sonnige saftige Wein wird an den verfallenen Haengen verfaulen, der Reis wird in der verdorrten Erde vertrocknen, die Kartoffel wird auf den brachliegenden aeckern erfrieren und die Kuehe werden ihre totsteifen Beine wie umgekippte Melkschemel in den Himmel strecken -

in den Instituten werden die genialen Erfindungen der grossen aerzte sauer werden, verrotten, pilzig verschimmeln -

in den Kuechen, Kammern und Kellern, in den Kuehlhaeusern und Speichern werden die letzten Saecke Mehl, die letzten Glaeser Erdbeeren, Kuerbis und Kirschsaft verkommen - das Brot unter den umgestuerzten Tischen und auf zersplitterten Tellern wird gruen werden und die ausgelaufene Butter wird stinken wie Schmierseife, das Korn auf den Feldern wird neben verrosteten Pfluegen hingesunken sein wie ein erschlagenes Heer und die qualmenden Ziegelschornsteine, die Essen und die Schlote der stampfenden Fabriken werden, vom ewigen Gras zugedeckt, zerbroeckeln - zerbroeckeln - zerbroeckeln -

dann wird der letzte Mensch, mit zerfetzten Gedaermen und verpesteter Lunge, antwortlos und einsam unter der giftig gluehenden Sonne und unter wankenden Gestirnen umherirren, einsam zwischen den unuebersehbaren Massengraebern und den kalten Goetzen der gigantischen betonklotzigen veroedeten Staedte, der letzte Mensch, duerr, wahnsinnig, laesternd, klagend - und seinefurchtbare Klage: WARUM? wird ungehoert in der Steppe verrinnen, durch die geborstenen Ruinen wehen, versickern im Schutt der Kirchen, gegen Hochbunker klatschen, in Blutlachen fallen, ungehoert, antwortlos, letzter Tierschrei des letzten Tieres Mensch -

all dieses wird eintreffen, morgen, morgen vielleicht, vielleicht heute nacht schon, vielleicht heute nacht, wenn -- wenn -- wenn ihr nicht NEIN sagt.

Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

49 folgen diesem Profil

12 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.